Börsengebäude,
das öffentliche Gebäude, welches die gesamte kaufmännische Welt einer Stadt zu bestimmten Stunden in sich aufzunehmen bezweckt. Als Zentralpunkt des Geschäftslebens vermittelt die Börse den persönlichen Verkehr der Geschäftsleute untereinander und bietet durch ihre Einrichtungen und Anstalten alle möglichen zur Geschäftsvereinfachung und somit Zeitersparnis dienenden Mittel. Die Börsen der großen Handelsstädte stehen untereinander in telegraphischer Verbindung; aus allen Weltgegenden strömen hier die Nachrichten über die Ereignisse des Tags zusammen; das Fallen und Steigen der Kurse, die »Stimmung« der Börse, gibt täglich ein Bild der allgemeinen Weltzustände. Die Bedeutung des Börsengebäudes geht somit weit über die eines einfachen Bedürfnisbaues hinaus; die Neuzeit erblickt in ihm ein Repräsentationsgebäude der hervorragendsten Art. Die Ausdehnung und architektonische Gestaltung der Börse gibt ein Bild von der Entwickelungsstufe, auf welcher sich die betreffende Stadt in Beziehung auf den hochwichtigen Kulturzweig des Handels und kaufmännischen Verkehrs befindet. Für die Disposition des Börsengebäudes sind jedoch naturgemäß die praktischen Bedürfnisse in erster Linie zu berücksichtigen. Ein großer Saal, welcher den regelmäßigen Versammlungen dient, und dessen Benutzung einem jeden freisteht, bildet den Kern der Anlage. In diesem Saal pflegt jeder Geschäftsmann seinen bestimmten Platz einzunehmen. In neuern Börsen werden sogar vermietbare reservierte Standplätze in Form von kleinen Logen für einzelne Geschäftshäuser hergestellt. Für die Makler, welche eine der wichtigsten und bedeutendsten Rollen des Börsenverkehrs in den verschiedensten Geschäftsbranchen spielen, enthält der Börsensaal in der Regel eine größere Anzahl kleiner, offener Büreaus. Um das rasche Auffinden der einzelnen Standplätze zu erleichtern, gibt es verschiedene Einrichtungen. Dahin gehören: Feldereinteilung des Fußbodens und Numerierung der einzelnen Felder, Bezeichnung von Pfeiler- oder Säulenstellungen durch Zahlen, resp. Buchstaben u. dgl. Auch die Grundgestaltung des Börsensaals kann dem leichten Zurechtfinden sehr zu Hilfe kommen. So hat z. B. der Saal der neuen Börse in Brüssel (1868; Architekt M. L. Suys; »La semaine des constructeurs« bringt in Nr. 24, Jahrg. 1876, Abbildung des Äußern und kurze Notiz) im Grundriß die Form eines Kreuzes; der Börsensaal in Hamburg (Architekten C. Wimmel und Forsmann; vor dem großen Brand 1842 vollendet; »Försters Bauzeitung« 1849) besteht in einem großen, oblongen Mittelraum, welcher rings von drei durch Pfeilerarkaden gebildeten, niedrigen Seitenschiffen umgeben ist; der Börsensaal in Bremen (vollendet 1864; Architekt H. Müller; »Deutsche Bauzeitung« 1871; daselbst geschichtliche Notizen über ältere und neuere hat annähernd die Form des Langhauses einer fünfschiffigen gotischen Basilika etc. Der Zweck, eine leichte Orientierung herbeizuführen, kann jedoch nicht bedingend für die Grundgestaltung sein; in einem jeden einheitlichen, vollkommen übersichtlichen, großen Raum werden sich immer geeignete Mittel zur Erfüllung desselben finden. Die örtlichen Verhältnisse, das spezielle Bauprogramm und das Geschick des Architekten sind die Faktoren für die Raumgestaltung des Börsensaals, sie schließen allgemein gültige Regeln aus. Fast typisch ist geworden, daß der Börsensaal in etwa halber Höhe eine offene Galerie besitzt, von welcher aus das Gewoge der Geschäftswelt übersehen werden kann. Diese Galerie hat aber meist noch den weitern Zweck, den in einem obern Geschoß untergebrachten, den Hauptraum umgebenden Nebenräumlichkeiten als Verbindungsgang zu dienen. Bisweilen, z. B. in England, findet man
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dieselbe Anordnung in mehreren Geschossen übereinander. Wohl immer bedingen die bedeutenden Grundrißdimensionen des Börsensaals eine so große Höhe desselben, daß Anordnungen wie die eben erwähnten naturgemäß erscheinen, daß also die Nebenräume in zwei oder mehreren den Hauptraum umgebenden Geschossen untergebracht werden. Die Erleuchtung des Börsensaals wird dann entweder durch reines Oberlicht oder, wie bei den Basiliken, durch seitliches Oberlicht bewirkt. Bei der Anlage verschiedener neuer hat man den Hauptraum geteilt. So enthält der große Börsensaal in Berlin (erbaut 1859-64; Architekt Hitzig; »Erbkams Bauzeitung« 1865 u. 1866), dessen Länge 69 m und dessen Breite 26,7 m beträgt, zwei durch eine offene Arkadenstellung geschiedene gleiche Abteilungen für die Fonds- und für die Produktenbörse. Diesem zweiteiligen Hauptraum schließt sich dann noch ein mit Arkaden umgebener großer Hof von ca. 1000 qm Grundfläche an, welcher als Sommerbörse dient. Auch der Hamburger Börse wurden schon bald nach ihrer Eröffnung Terrassen zur Benutzung während des Sommers angefügt, und die Bremer Börse besitzt einen großen, für gewöhnlich als öffentliche Passage dienenden Hof zu gleichem Behuf. Die neue Börse in Frankfurt a. M. (Architekten Burnitz und Sommer; »Deutsche Bauzeitung« 1875) hat neben dem Börsensaal von 1200 qm noch einen Saal von 600 qm, welcher für die Effektensocietät bestimmt ist, und einen ebenso großen Reservesaal. Der Bedarf an Nebenräumlichkeiten ist je nach den örtlichen Verhältnissen ein sehr verschiedener. Post- und Telegraphenbüreaus sind als die wichtigsten unter ihnen zu bezeichnen. Die lebhafteste Benutzung derselben findet während der Börsenstunden statt, man wird daher die Disposition dieser Büreaus in Lage und Einrichtung immer auf die Möglichkeit raschester Expedition berechnet finden: durch selbständige Zugänge von außen, direkte Verbindung mit dem Börsensaal etc. Wichtigere anderweitige Nebenräume sind: Maklerkontore, verschiedene Arbeits- und Lesezimmer, Säle der Handelskammer und andrer kaufmännischer Korporationen, Räume für eine Kommerzbibliothek, ein geräumiges Restaurationslokal, vermietbare Räume für Versammlungen, Aktiengesellschaften, zu Vorlesungen, Ausstellungen etc. Die Börse ist ihrem Wesen nach ein Produkt der Neuzeit und erheischt eine durchaus eigenartige Architektur. Nicht auf bestimmten Stilformen, sondern vielmehr aus der Erfüllung der praktischen Bedürfnisse und aus der Würdigung der hohen repräsentativen Bedeutung muß eine charaktervolle, wahre architektonische Gestaltung des Börsengebäudes hervorgehen. Über Erfordernisse und spezielle Einrichtung der Börsengebäude vgl. »Deutsches Bauhandbuch«, Bd. 2, Nr. 14.