(franz.
Bourse, engl.
Exchange,
Change, ital.
Borsa, holländ. Beurs), ein Gebäude, worin in bestimmten
Stunden
Kaufleute und ihnen gleichstehende Geschäftsleute zur Unterhandlung und Abschließung von
Geschäften sich zu versammeln
pflegen, in übertragener Bedeutung auch diese Versammlungen selbst. Das
WortBörse leitet man vom mittellateinischen
bursa ab, welches einen ledernen Geldbeutel bedeutet. Es ist nur zweifelhaft, ob der
Ausdruck im
Sinn von
Genossenschaft, wie
er sonst häufige Verwendung findet, auch von den Versammlungen der Kaufleute gebraucht wurde, oder ob das mit drei inStein
gehauenen Börsen geschmückte
Haus eines van der Beurs in
Brügge, welches zu geschäftlichen Zusammenkünften diente, die
Bezeichnung veranlaßt hat.
Sicher ist, daß die ältesten Börsen im heutigen
Sinn und mit dem heutigen
Namen teils in den
Niederlanden, teils in
Frankreich
schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. bestanden, während regelmäßige
Vereinigungen der Kaufleute zur Besprechung ihrer
Geschäfte auch schon im
Mittelalter, namentlich in
Italien,
[* 2] ja sogar schon
im alten
Rom
[* 3] in den
Collegia mercatorum vorkommen. Die ältesten Börsen waren außer in
Brügge die von
Antwerpen
[* 4] (1531),
Lyon,
[* 5] Toulouse
[* 6] (1549). Dann verbreitete sich die Einrichtung auch nach
England, wo durch den Hofbankier
SirThomasGresham 1566 das erste
Börsengebäude der Benutzung übergeben wurde, sowie auch nach den deutschen Küstenstädten und zwar
zuerst nach
Hamburg
[* 7] (1558).
In den deutschen Binnenstädten fand das Börsenwesen erst gegen Ende des 18. Jahrh. Eingang
und zwar zuerst in
Frankfurt
[* 8] a. M. und
Leipzig.
[* 9]
Die erstenBörsen waren nur Warenbörsen, ihre Hauptwirkung lag darin, daß
sie den unmittelbaren
Kauf
aus der
Hand
[* 10] zu gunsten des
Kaufs auf
Bestellung verdrängten. Als dann mit der
Ausdehnung
[* 11] der Handelsbewegung durch den überseeischen
Verkehr häufig Preisschwankungen eintraten, bot die Börse die einzige Gelegenheit, sich von dem momentanen Wert
einer
Ware Kenntnis zu verschaffen und daraus durch
Kauf oder Verkauf Nutzen zu ziehen, und so mußte der
Börsenverkehr mehr und mehr
Teilnahme in der Handelswelt finden.
Nicht weniger wirkten aber zum Aufschwung desselben die durch das
Wachsen der
Staatsschulden veranlaßte Kreierung von
Staatspapieren
sowie die Entstehung großer industrieller
Gesellschaften mit, derenAktien, gleich
Waren, Gegenstand der
Börsengeschäfte wurden. Der
Schwerpunkt
[* 12] der Börse beruht auf der möglichsten
Konzentration von
Angebot und
Nachfrage. Der Geschäftsmann
lernt in ihr alle sein
Interesse berührenden Vorkommnisse der Handelswelt sofort genau kennen und überblickt somit bequem
die Strömungen und Schwankungen des
Handels. Insofern
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mehr
begründet die Börse eine Teilung der Arbeit innerhalb der Zeit, indem die Interessenten sich gegen Gefahren schützen können,
von welchen sie durch die Veränderung der Zeitverhältnisse bedroht sind. Sie ist das Theater,
[* 14] auf dem sich die eigentlichen
Spekulationen abspielen. Schwankungen im Preise sind aber die verschiedenen Waren in ungleicher Weise ausgesetzt,
und deshalb eignen sie sich auch nicht alle gleichmäßig als Objekt der Spekulation.
Besonders passende Gegenstände des Börsenverkehrs sind einerseits die Rohprodukte, die in den einzelnen Jahren, je nach der
Witterung, in ungleicher Reichlichkeit produziert werden, vorausgesetzt, daß die Qualitäten nicht zu mannigfach sind (also
Getreide,
[* 15] Spiritus,
[* 16] Öl, Kaffee u. dgl.), anderseits die zahlreichen
Kreditpapiere (Wechsel, Staatspapiere, Aktien, Obligationen, Prioritäten, Pfandbriefe etc.). Danach unterscheidet man namentlich
Warenbörse, Effektenbörse und Wechselbörse. So bestehen in London
[* 17] außer der königlichen Börse (royal exchange) für den
allgemeinen Waren- und Wechselverkehr eine Fondsbörse (stock exchange) für englische Papiere, eine solche für fremdeFonds (foreign stock exchange), eine Getreidebörse (corn exchange), eine Kohlenbörse (coal exchange) und eine Schiffahrts-
und Versicherungsbörse, Lloyd's genannt.
Leipzig neben der alten Wechsel-
und Fondsbörse eine Öl- und Produktenbörse, eine Handels- undIndustriebörse, dann die deutsche Buchhändlerbörse,
wo jährlich einmal die Vertreter des gesamten deutschen Buchhandels sich vereinigen, um ihre gegenseitigen Rechnungsverhältnisse
zu ordnen;
Lloyd betreibt auch Dampfschiffahrt unter Staatssubvention. Die Londoner und Pariser Anstalten sind zugleich Schiffsklassifikationsgesellschaften.
Noch sind die in neuester Zeit an einigen deutschen Plätzen errichteten Industriebörsen zu erwähnen.
Die zu Stuttgart eröffnete ist der Baumwollindustrie Süddeutschlands gewidmet. An ihr beteiligen sich aber nicht
nur Fabrikanten und Großhändler in dem bezeichneten Geschäftszweig, sondern außer Banken und Kreditanstalten auch Produzenten
in Hopfen,
[* 35] Obst, Wein etc. Eine zu Frankfurt a. M. eröffnete Industriebörse sollte den Vereinigungspunkt
für das Verkehrs- und Industriewesen Nord- und Süddeutschlands abgeben, hat aber den gehegten Erwartungen wenig entsprochen.
Der Grund hiervon liegt wohl darin, daß sich der Warenverkehr, der Börsen minder benötigt, leicht ohne deren Vermittelung
zwischen den einzelnen Handlungshäusern abwickelt.
Der Börsenverkehr, namentlich die Form des Geschäftsabschlusses, unterliegt überall gewissen Regeln,
welche gewöhnlich nach den Anträgen der Handelsbehörde des betreffenden Orts von der Staatsregierung sanktioniert sind.
Die Zusammenkünfte finden regelmäßig täglich, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, nach Maßgabe besonderer Börsenordnungen
statt. Die Börsenordnungen enthalten Vorschriften über die Zutrittsberechtigung, Zeit (Stunde) und Ort der Versammlungen
und Geschäftsabschlüsse, Feststellung der Durchschnittspreise etc. und der Börsenbeiträge.
Die Überwachung der Ordnung an der Börse ist sogen. Börsenkommissaren anvertraut, die hier und da auch
Börsen alte oder Börsenälteste heißen und aus dem Kaufmannsstand gewählt werden. Die Börsenbehörde oder ein Ausschuß
derselben (Sachverständigenkommission) nimmt an vielen Orten den Charakter eines Handelsschiedsgerichts
an. Zu den Obliegenheiten der Börsenkommissare gehören aber meist auch die Feststellung und Publikation der Preise, zu welchen
Abschlüsse stattgefunden haben, auf den Börsenpreiskuranten und Börsenkurszetteln.
Auch erteilt die Börsenbehörde bindende Vorschriften für den Verkehr, namentlich in Bezug auf Zeit und Form der Erfüllung
der Verträge und auf Qualität der Leistungen. Der Zutritt zu den Börsenversammlungen, die sogen. Börsenfähigkeit,
steht in der Regel allen unbescholtenen dispositionsfähigen Personen zu; Frauen und nicht rehabilitierte Falliten sind ausgeschlossen.
Das Innere der LondonerFonds- und Aktienbörse darf nur von den durch den Vorstand (committee for general purposes) als Mitglieder
aufgenommenen Personen derselben, die entweder Spekulanten (jobbers und dealers) oder Makler (brokers)
sind und eine Korporation bilden, betreten werden.
Diese Mitgliedschaft kostet 21 Pfd. Sterl. Fast allenthalben muß für den Börsenbesuch eine Abgabe entrichtet werden und
zwar entweder für einen bestimmten Zeitraum, wie in Berlin, Frankfurt a. M., Wien, oder für jedes einzelne Erscheinen, oder
nach Belieben für einen Zeitraum oder für den Einzelbesuch, wie in Paris. Hier wurden die Börseneintrittsgelder
(tourniquets), welche für 1861 zu 750,000 Frank veranschlagt waren, im November d. J. aufgehoben. Börsenzeit sind mit wenigen
Ausnahmen die ersten Nachmittagsstunden.
Beginn und Ende der Versammlungen werden durch Lauten mit einer Glocke verkündigt. Zu später Eintritt
in die und zu langes Verweilen in derselben pflegen mit einer Geldstrafe belegt zu sein, deren Ertrag meist Wohlthätigkeitszwecken
gewidmet ist. An manchen Plätzen bestehen auch sogen. Winkelbörsen (Nebenbörsen), die durch lästige Beschränkungen, namentlich
enge Begrenzung der Börsenzeit, hervorgerufen worden sind. Man hat diese an einigen Orten (so namentlich
Paris) zu unterdrücken gesucht, jedoch nicht immer mit Erfolg.
Den Sonntagsbörsen und Abendbörsen (s. d.), welche sich ebenfalls leicht heranbilden, hatte man inWien anfangs keine Schwierigkeiten
in den Weg gelegt. Doch wurde die Teilnahme an solchen Versammlungen mit der sofortigen Entziehung der Börsenkarte
bedroht und durch das Gesetz über die Börse vom verboten. In Berlin bestand lange als Sonntagsbörse
der »Privatverkehr«, der aber neuerdings polizeilich untersagt wurde, in
Prag
[* 36] besteht zu gleichem Zweck die »KaufmännischeRessource«. In der PariserFonds- und Aktienbörse heißt Parkett (auch corbeille,
Korb; in Wien »der
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mehr
Schranken« genannt) der innere, lediglich für die Wechselagenten oder Makler bestimmte Raum, worin die Papiere unter lautem Zuruf
verhandelt werden. In übertragenem Sinn bedeutet das Parkett auch die Gesamtheit der Börsenagenten, während die nicht autorisierten
Vermittler als »Kulisse« und, wenn sie als sekundäre Vermittler für das ParkettBestellungen sammeln, als
»Remisiers« bezeichnet werden. Jede hat ihre eigne Kanzlei und beschäftigt ein zahlreiches Personal von Buchhaltern, Sekretären,
Boten und Thürstehern.
Die Kanzlei führt Listen über die Geschäftsfirmen des Platzes und deren Prokuristen, nimmt die als Anschläge erscheinenden
Kundmachungen von Handelsgerichten entgegen, hält Notiz über die an der Börse entstandenen Preise etc. Die
Kosten des Börseninstituts, soweit sie nicht durch die Eintrittsgelder gedeckt werden, trägt der Handelsstand des betreffenden
Platzes, hier und da mit Unterstützung durch Staats- oder städtische Mittel. Die Börsen kleinerer Handelsplätze sind im
allgemeinen von denen der größern abhängig und höchstens für Geschäfte in gewissen Waren und Wertpapieren,
die an den großen Börsen weniger gesucht sind, selbständig.
Auch die Kursnotierung an großen Börsen ist für einzelne Waren und Papiere von vorwiegend lokaler Bedeutung, dagegen wirken
der Gold- oder Wechselkurs sowie der Kurs der bedeutendern Staatspapiere und Aktien von einer Börse auf die andern ein. Namentlich
sind infolge der Telegraphenverbindungen und durch die Thätigkeit der Arbitrage (s. d.) die wechselseitigen
Beziehungen zwischen den Hauptbörsen weit enger geworden, und die Kursnotierungen pflegen nur um ein Geringes zu differieren.
Infolge der Beteiligung der Börsen bei den Finanzoperationen der Staaten hat sich ihre Bedeutung gesteigert, und die Stimmung
der ob »flau« oder »animiert«,
pflegt, oft freilich mit Unrecht, als Maßstab
[* 38] für den Staatskredit und die Sicherheit der politischen Lage zu gelten.
Nun läßt sich vom Gewinnresultat eines Geschäfts nur sprechen, wenn eine Bilanz gezogen werden kann,
also mindestens zwei Geschäfte, die sich zur Vergleichung aneinander anschließen, abgeschlossen vorliegen. Dies leitet zum
Begriff der Handelsoperation, d. h. einer solchen Kombination von mindestens zwei sich aneinander anschließenden Geschäften,
welche eine Bilanz zulassen und infolgedessen einen Aktiv- oder Passivsaldo als Resultat (Gewinn oder Verlust)
liefern.
Das eine dieser Geschäfte muß den Minuenden, das andre den Subtrahenden liefern; die Differenz ist der Gewinn oder Verlust;
das der Zeit nach vorausgegangene Geschäft ist das Spekulationsgeschäft, das der Zeit nach spätere das Realisationsgeschäft.
Ist das Spekulationsgeschäft ein Kauf (Ankauf, vom Standpunkt eines gewissen Kontrahenten, des Spekulanten,
aus), so ist das Realisationsgeschäft ein Verkauf (vom Standpunkt desselben Spekulanten aus), und die durch jenen Spekulationskauf
und diesen Realisationsverkauf kombinierte
Handelsoperation ist eine Spekulationà la hausse, eine Spekulation auf Steigen
des Preises, auf Mehrerlös durch den nachgefolgten Verkauf.
Von den zwei diese Handelsoperation bildenden Geschäften ist das erstere, der Spekulationskauf, ein absolutes
(objektives), das zweite, der Realisationsverkauf, ein relatives (subjektives) Handelsgeschäft (nach Art. 271 u. 273 des
Reichshandelsgesetzbuchs). Ist das Spekulationsgeschäft ein Verkauf (Veräußerung, vom Standpunkt eines gewissen Kontrahenten
aus), so ist das darauf folgende Realisationsgeschäft ein Kauf (Ankauf, Anschaffung, vom Standpunkt desselben Kontrahenten
aus), und die aus jenem Spekulationsverkauf und diesem Realisationskauf zusammengesetzte Handelsoperation
ist eine Spekulationà la baisse, eine Spekulation aus Sinken des Preises, auf Minderaufwand beim nachfolgenden Ankauf.
Wer es übernimmt, an einem bestimmten (spätern) Termin zu einem sofort vereinbarten Preis dem andern Waren (z. B. Wertpapiere
etc.) zu liefern (Spekulationsverkauf), der hofft und rechnet darauf, daß
er die versprochenen Waren billiger werde einkaufen können (Realisationskauf), und gewinnt dann, wenn die Spekulation sich
als richtig erweist, die Differenz zwischen dem vereinbarten Lieferungspreis des Spekulationsverkaufs (Tageskurs des Spekulationsgeschäfts)
und dem (gesunkenen) Preis des Realisationsankaufs (Tageskurs des Realisationsgeschäfts).
Der Spekulationsverkauf ist ein absolutes (objektives) Handelsgeschäft nach Art. 271 des Reichshandelsgesetzbuchs,
ob auch der Realisationsankauf und zwar aus demselben Grund wie der Spekulationsankauf, ist unter den Handelsrechtslehrern
streitig. Die Ursachen des Steigens oder Fallens derKurse können die verschiedenartigsten, natürliche und künstliche (z. B.
hinaufgeschraubte oder gedrückte), politische, soziale, ökonomische etc., sein; auf ihrer
richtigen Voraussicht und Vorausberechnung in Richtung und Grad beruht der Erfolg der Spekulation, das Schlußresultat
der Handelsoperation. Die beiden Kontrahenten gehen regelmäßig von verschiedenen Voraussetzungen aus oder kalkulieren die
vorhandenen Chancen verschieden; der Nachfragende, der Käufer, erwartet das Steigen des Kurses und heißt Haussier (Mineur)
oder Liebhaber, der Anbietende, Verkäufer, operiert auf Fallen der
[* 39] Kurse und heißt Baissier (Fixer, Kontermineur).
Zentralmarkt, auf dem regelmäßig Wertschriften (Obligationen
und Aktien) oder Waren gekauft und verkauft werden. Auf der
Börse pflegen sich die Preise einzuspielen, indem sie
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(frz. Bourse, engl. Exchange), zunächst der Ort, an dem sich Kaufleute, Bankiers, Versicherungsunternehmer, Reeder
und Geschäftstreibende oder deren Vertreter regelmäßig zusammenfinden, um miteinander unmittelbar oder
durch Makler oder Kommissionäre (s. d.) Handelsgeschäfte in Waren, Wechseln, Effekten u. s. w.
zu machen. Im übertragenen Sinne wird dann auch die Gesamtheit der diese Geschäfte abschließenden Personen als Börse bezeichnet,
woher die Bezeichnungen: Haltung, Stimmung, Tendenz u. s. w. der Börse stammen.
Geschichtliches. Die Nützlichkeit des persönlichen Zusammenkommens von Käufern und Verkäufern aller
Art, die für den kleinern Verkehr die Märkte hervorrief, ist ohne Zweifel auch dem Großverkehr von jeher einleuchtend
gewesen, und insofern reichen die ersten Anfänge der Börse bis in das Altertum zurück. In der neuern Zeit aber wurde mehr und
mehr aus den ursprünglich formlosen Zusammenkünften eine geregelte Einrichtung, die teils durch staatliche
Gesetzgebung, teils durch Gewohnheitsrecht und Selbstverwaltung ihre festen Regeln erhalten hat.
Der Name Börse tritt erst im 16. Jahrh. auf und stammt aus Brügge, abgeleitet, wie es heißt, von dem in drei Geldbeuteln bestehenden
Wahrzeichen des der Familie van der Burse gehörigen Gebäudes, in dem die Versammlung stattfand. In Frankreich
wurden die börsenartigen Zusammenkünfte für Wechselgeschäfte schon unter Philipp dem Schönen auf den heutigen Pont-au-Change
beschränkt; die ersten gesetzlich organisierten aber waren die von Lyon und Toulouse (1546), denen 1566 Rouen
[* 42] folgte.
Paris erhielt erst 1724 eine gesetzlich anerkannte Börse, die bis 1793 in dem Hôtel de Nevers
(der heutigen Nationalbibliothek) ihren Sitz hatte. Der ihr gegenwärtig angewiesene Palast wurde erst 1826 eröffnet. In
London entwickelte sich die Börse durchaus aus eigenem Antriebe und frei von staatlichen Eingriffen. Als Lokale dienten den verschiedenen
Geschäftszweigen ursprünglich einige Kaffeehäuser im Kern der Hauptstadt, wie Lloyds (s. d.) und das
StockExchange Coffee-House, das erstere für Schiffahrts- und Versicherungs-, das letztere für Effektengeschäfte, die in
London schon im 17. Jahrh. eine größere Bedeutung erhalten hatten. Ein neues Gebäude für die Effektenbörse wurde 1802 durch
eine Aktiengesellschaft geschaffen. In Deutschland
[* 43] war Hamburg schon seit dem 16. Jahrh. als Börsenplatz bedeutend, im
Binnenlande entwickelte sich die Börse erst im Laufe des 18. Jahrh. auf den größeren
Plätzen, wie Frankfurt a. M., Leipzig und Berlin. (S. auch Börsengebäude.)
Börsengeschäfte. Neben dem Warengeschäft erlangte von Anfang an das Geschäft in Wechseln an der Börse hervorragende Bedeutung.
Seit dem 17. Jahrh. bildete sich an einigen größern Plätzen, wie in
London und Amsterdam, auch der Verkehr in zinsbringenden Wertpapieren (namentlich in Staatsschuldverschreibungen und Aktien
der großen Handelscompagnien) aus, doch stellte der Umsatz in Wertpapieren, abgesehen von der engl. Staatsschuld, noch zu
Anfang des 19. Jahrh. durchweg nur einen bescheidenen Bestand dar. Durch die großartige Ausdehnung des modernen
Aktienwesens aber und die gesteigerte Kreditbedürftigkeit fast aller Staaten hat das Geschäft in Wertpapieren an den
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Hauptbörsen alle andern Zweige an Wichtigkeit überholt, und wenn man von der Börse als dem Barometer
[* 45] spricht, das mit größter
Empfindlichkeit alle Wendungen der polit., finanziellen und volkswirtschaftlichen Zeitumstände zu erkennen giebt, so denkt
man dabei in erster Linie an die Effektenbörse. Doch bleiben selbstverständlich die natürlichen Vorteile des Börsenverkehrs
auch für alle übrigen Geschäftsgebiete bestehen, und in großen Städten findet man daher selbständig ausgebildete und
voneinander getrennte Börse für die Haupthandelszweige. So giebt es in London außer der für engl. Wertpapiere bestimmten StockExchange eine Börse für fremde Fonds (Foreign StockExchange), ferner die königliche Börse (Royal Exchange) für
den Waren- und Wechselhandel im allgemeinen, außerdem eine besondere Getreidebörse, eine Steinkohlenbörse, eine Seeversicherungsbörse.
Manchester
[* 46] und Liverpool
[* 47] haben bedeutende Baumwollbörsen (Cotton Exchange). Neuyork
[* 48] hat außer der Hauptbörse eine Bergwerks-,
eine Petroleum-, eine Nationale Baumwollbörse u. s. w., ebenso Berlin eine Produktenbörse und, für die Textilbranche, eine
Warenbörse, Leipzig eine Buchhändler- und eine Garnbörse. Zahlreiche Specialbörsen findet man auch
an kleinern Plätzen, die als Mittelpunkt irgend einer besondern Industrie oder landwirtschaftlichen Produktion von Wichtigkeit
sind. Es sind dies freilich häufig nur formlose Versammlungen, die nicht täglich, sondern etwa wöchentlich, oder in noch
größern Zeitabständen stattfinden. An großen Plätzen haben sich neben der öffentlichen Hauptbörse
für das Geschäft in Wertpapieren besondere Privatbörsen gebildet, wodurch es der Spekulation möglich wird, auch außerhalb
der gewöhnlichen Börsenzeit die große Beweglichkeit der Kurse auszunutzen. Die sog. Abend- oder Boulevardbörse in Paris
ist nur eine Versammlung kleiner Spekulanten unter freiem Himmel,
[* 49] die häufig von der Polizei vertrieben werden mußte,
weil sie derBewegung des Publikums hinderlich war. Ähnliche Versammlungen, die vielfach als Winkelbörsen bezeichnet werden,
giebt es auch in Berlin und andern Städten, daneben auch einen «Privatverkehr» in besondern Lokalen als Sonntagsbörse.
Die Gesetzgebung über die hat in den einzelnen Ländern eine verschiedene Gestalt angenommen und diese weisen
danach einen verschiedenen Charakter auf; teils stellen sie sich als unabhängige Privatvereine dar, wie in England und Amerika,
[* 50] teils ist ihre Gründung und Gebarung mehr oder weniger durch die Staatsgewalt beeinflußt. Sie betrifft dieselbe teils unmittelbar,
teils mittelbar, indem sie die Stellung der den Börsenverkehr vermittelnden Personen regelt.
Das Deutsche
[* 51] Handelsgesetzbuch enthält in ersterer Beziehung keine allgemeinen Bestimmungen. Das Preuß.
Einführungsgesetz zu demselben aber setzt fest, daß die Gründung von Börse sowie die Aufstellung, Abänderung oder Ergänzung
von Börsenordnungen der Genehmigung des Handelsministeriums bedarf. Für die Berliner Börse ist gegenwärtig die revidierte
Börsenordnung vom maßgebend. Die Leitung der Börsengeschäfte steht danach dem Ältestenkollegium,
d. h. dem Vorstande der BerlinerKaufmannschaft zu; dasselbe bildet ein Börsenkommissariat mit zwei Sektionen für die Fonds-
und die Produktenbörse. In ähnlicher Weise erscheint auch bei andern deutschen Börse die Handelskammer zur Börsenvorstandschaft
berufen.
Besonders
wichtig sind die für den Abschluß der Geschäfte und deren Realisierung maßgebenden Börsenbedingungen,
z. B. die «Bedingungen für die Geschäfte an der Berliner Fondsbörse, gültig vom 1. Jan. 1892», und die u. a. für die «Lieferbarkeit»
maßgebenden «Usancen», z. B. der Berliner Fondsbörse u. dgl. In Österreich
[* 52] ist ein ausführliches Gesetz über die Börse erlassen
worden, in dem u. a. das Bestehen von «Winkelbörsen»,
d. h. nicht genehmigten Börse, ausdrücklich verboten ist und eingehende Normativbestimmungen
für das von jeder Börse festzustellende Statut gegeben werden.
Die Börse stehen hiernach unter staatlicher Überwachung (durch einen «Börsekommissar»),
im übrigen aber unter einer selbständigen «Börseleitung». Letztere besteht
in Wien aus der «Börsekammer» mit 24 Mitgliedern (den «Börseräten»),
die ihren Präsidenten und zwei Vicepräsidenten selbst wählen und von den «Mitgliedern
der Börse» auf 3 Jahre gewählt werden, wobei die beiden «Sektionen»
der Börse (für Effekten-, Wechsel- und Geldgeschäfte einerseits und für Waren, Speditions- u. s. w. Geschäfte andererseits)
nur einen Wahlkörper bilden. Um «Mitglied» der Wiener Börse zu werden, muß man 3 Jahre Börsebesucher mit
entgeltlicher Eintrittskarte gewesen sein. In Frankreich beruht die Organisation auf den Art. 71-73 des Code de Commerce und
einigen besondern Gesetzen und Verordnungen.
Die Gründung einer Börse erfolgt durch Verordnung nach Anhörung der Handelskammer des Platzes. Die allgemeine Verwaltung derselben
steht der Handelskammer zu, vorbehaltlich der Rechte der Polizei und des Maire; die innern Angelegenheiten
werden teilweise durch die bevorrechtigte Korporation der Börsenagenten geregelt. In England ist die Börse eine Vereinigung privaten
Charakters, die sich ohne Beteiligung der staatlichen Behörde ihre Statuten selbst giebt. Die Londoner Effektenbörse z. B.
hat einen Vorstand von 30 Personen, der von den Mitgliedern aus der Zahl derjenigen, die seit wenigstens 5 Jahren
der Börse angehört haben, gewählt wird.
Die Aufnahme in den Verein ist im allgemeinen durch den Vorschlag von drei der Börse bereits seit 4 Jahren angehörenden Mitgliedern
bedingt, die mit einer Bürgschaft bis zu 500 Pfd. St. für die Zahlungsfähigkeit der Kandidaten
in den nächsten 4 Jahren einstehen müssen. Der Besuch der Börse ist nur den Mitgliedern gestattet. Auf dem Festland
dagegen ist die Börse jedem unbescholtenen Manne zugänglich, in der Regel jedoch nur gegen Lösung einer Eintrittskarte auf
ein halbes oder ein ganzes Jahr; in Berlin müssen solche, welche nicht Mitglieder der BerlinerKaufmannschaft
sind, von drei Mitgliedern dieser Korporation empfohlen sein.
Nach der Berliner Börsenordnung darf die von den Ältesten der Kaufmannschaft zu erteilende Eintrittskarte nicht verweigert
werden den dort genannten Berliner Kaufleuten, bei einer Berliner Firma auch nur als Teilnehmer oder Prokurist Beteiligten,
Vorstehern einer dort eingetragenen Aktiengesellschaft oder Genossenschaft, Handlungsgehilfen mit Genehmigung ihrer Prinzipale
und Personen, die vermöge ihrer Amts- oder Dienstpflicht die Börse zu besuchen haben: sämtlich, wenn sie geschäftsfähig und
männlichen Geschlechts sind. Bei andern Personen ist die Zulassung fakultativ. In Paris wurde früher eine Gebühr beim Eingange
(an Drehkreuzen, Tourniquets) erhoben, 1861 aber der Eintritt ganz
¶
Börsengebäude.I.
Karte:
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1. Börse zu Berlin, 1859-64 nach Plänen von Hitzig erbaut.
freigegeben. Nach dem franz. Handelsgesetzbuch darf ein in Konkurs Geratener nur nach völliger
Begleichung seiner Schuld die Börse wieder besuchen; in Deutschland und Österreich hat er nur das Ende des Konkurses oder die
Erzielung einer Einigung abzuwarten, abgesehen von dem Falle einer Bestrafung. (S. auch Börsenenquete.)
Auch die Stellung der besondern Vermittler der Börsengeschäfte ist sehr verschiedenartig geregelt. In
Deutschland haben die Makler (s. d.) eigentlich nur die Aufgabe, Käufer und Verkäufer zusammenzubringen oder als Agenten ihrer
Auftraggeber (nicht als Kommissionäre) für dieselben Geschäfte abzuschließen, ohne selbst irgendwie zu haften oder Bürgschaft
zu leisten. Die vereidigten Makler haben zwar eine «Bestallung» (s. d.), jedoch keineswegs ein ausschließliches
Privilegium zur Geschäftsvermittelung.
Wohl aber besitzen ein solches in Frankreich die Börsenagenten (agents de change) für den Wertpapierhandel (die Warencourtage,
s. d., ist seit 1866 freigegeben). In Paris ist die Zahl dieser Agenten unabänderlich auf 60 festgestellt. Sie stehen unter
der Disciplinargewalt eines aus ihrer Mitte hervorgegangenen Syndikats und haben eine Kaution von 250000
Frs. zu leisten. Die Stellen sind verkäuflich, d. h. der Inhaber hat das Recht, seinen Nachfolger zu empfehlen.
Bei der hohen Einträglichkeit derselben infolge der außerordentlichen Zunahme des Börsenverkehrs ist ihr Preis bereits
bis auf 2 Mill. Frs. gestiegen, sodaß gewöhnlich mehrere Personen eine Gesellschaft bilden, um eine Stelle
übernehmen zu können; als deren gesetzlicher Inhaber gilt jedoch nur ein Einziger. Die Gesamtheit der Börsenagenten bildet
das Parquet, ein Ausdruck, der eigentlich den ihnen vorbehaltenen Raum in der Börse bezeichnet, die sog.
corbeille (in Wien der Schranken).
Die offiziellen Agenten sind indes längst nicht mehr im stande, die ungeheure Masse der Geschäfte zu bewältigen.
Sie dulden daher neben sich eine große Anzahl von nichtangestellten Vermittlern, die sog. Coulisse
(s. d.), der sie namentlich die Wechselgeschäfte und den größten Teil der Bargeschäfte in Aktien und Gesellschaftsobligationen
überlassen haben und mit der sie auch selbst gewisse Geschäftsverbindungen unterhalten. Die Coulisse
vermittelt übrigens auch alle möglichen andern Geschäfte, zumal solche, deren Formen bei dem Parquet nicht zulässig sind;
nur in Bezug auf die franz. Renten, der Hauptdomäne des Parquets, legt sich die Coulisse gewisse Beschränkungen auf.
Die mittelbaren Vermittler, welche Bestellungen für die Börsenagenten oder Coulissenhäuser sammeln,
nennt man Remisiers. Die franz. Börsenagenten sollen eigentlich, wie die deutschen Makler, bloße Vermittler sein; thatsächlich
aber werden sie den Parteien persönlich haftbar, weil nach dem Gesetze vorausgesetzt wird, daß sie die zu liefernden Papiere
oder das zu bezahlende Geld in Händen haben. In England bilden die Börsenmakler selbständige Körperschaften
und sind den frühern Beschränkungen, wie der Eidesleistung, dem Aufsichtsrecht des Mayors und der Kautionsstellung nicht
mehr unterworfen.
Von besonderm Interesse ist die Einrichtung der Londoner Fondsbörse. Dieselbe setzt sich ausschließlich zusammen aus Maklern
(brokers) und Händlern (jobbers oder dealers). Die erstern erhalten die Aufträge des Publikums, die letztern, von
denen jeder sich auf einen besondern Geschäftszweig
(market genannt) verlegt, machen nur Geschäfte mit den Maklern und kaufen
oder verkaufen jederzeit auf eigene Rechnung, was gewünscht wird, indem sie ihren Gewinn in einer Differenz des Kauf- und
Verkaufspreises finden. Sie bilden also ein neues Zwischenglied, dessen Vorhandensein dem Publikum den
Vorteil bringt, daß jeder Auftrag sofort ausgeführt werden kann.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Börse liegt darin, daß sie die Ausgleichung von Angebot und Nachfrage mit möglichst geringem
Aufwande von Mühe und Kosten zu stande bringt. Sie setzt eine große Anzahl von Käufern und Verkäufern voraus und ist
natürlich nicht im stande, den Handel an einem noch unbelebten Platze erst zu schaffen. Mit dem wachsenden
Zudrange von Angebot und Nachfrage wächst zunächst die Möglichkeit, jedes, auch das bedeutendste Geschäft rasch zu erledigen;
doch entstehen dadurch andererseits auch Schwierigkeiten bei der Ausführung, und diese zu heben ist Sache einer gesunden
Organisation der Börse, namentlich durch eine immer weiter gehende Arbeitsteilung des Vermittlerdienstes,
deren höchsten Grad gegenwärtig das eben erwähnte LondonerBeispiel darstellt.
Die Leistungsfähigkeit der Börse als Markt wird nicht allein durch das Bar- oder Kassengeschäft (au comptant) bedingt, bei
dem es sich in der Regel um eine endgültige Erwerbung von Papieren oder Waren handelt, sondern auch
die bloße Spekulation, die nur kauft, um möglichst bald mit Gewinn wieder zu verkaufen, trägt wesentlich mit dazu bei,
die Grundlagen des Marktes zu erweitern. Dadurch erhalten auch die Zeit- und Lieferungsgeschäfte (s.
Zeitgeschäfte) eine gewisse volkswirtschaftliche Berechtigung.
Dieselben arten allerdings leicht zu einem bloßen Spiel aus. Eine wichtige Aufgabe der Börsenmakler oder
besonderer Kommissare ist auch die amtliche Feststellung der Kurse (s. d.) oder Börsenpreise,
die bei Rechtsstreitigkeiten in Frage kommen können. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Cassakursen für sofort lieferbare
Waren und zwischen Ultimo-, zuweilen auch Mediokursen, für Werte, welche auf Zeit gehandelt werden, von
besonderer Wichtigkeit, weil die Feststellung der beiden Kursarten, namentlich an den Effektenbörsen, nach verschiedenen
Grundsätzen erfolgt.
Die Abwicklung der Zeitgeschäfte (gewöhnlich ultimo) nennt man Liquidation (in WienArrangement). Sie erfolgt nach einem
kurz vorher festgestellten Liquidationskurs, zu welchem der erste Verkäufer an den letzten Käufer zu liefern hat, während
alle dazwischen liegenden Kauf- und Verkaufsgeschäfte lediglich durch Zahlung der Differenz ausgeglichen werden. Diese Abwicklung
wird in der Regel von den zu diesem Zwecke an den Börse errichteten Liquidationsbureaus oder Liquidationskassen (s. d.,
in Wien Arrangementsbureau) übernommen.