Bodenstedt
,
Friedrich, Dichter und Schriftsteller, geb. zu Peine im Hannöverschen, mußte sich nach dem Willen der Eltern der kaufmännischen Laufbahn widmen, gab aber dieselbe auf und besuchte die Universitäten zu Göttingen, [* 2] München [* 3] und Berlin, [* 4] wo er sich hauptsächlich mit Litteraturgeschichte und Linguistik beschäftigte. In seinem 22. Jahr ward er Erzieher der jungen Fürsten Gallizin in Moskau [* 5] und fand hier die nötige Muße, die slawischen Sitten und Sprachen zu studieren.
Von
Moskau aus ging er 1844 auf Einladung des
Statthalters der kaukasischen
Provinzen,
Generals
Neithard, über
Woronesh und durch
die
Länder der
Kosaken nach
Tiflis, um daselbst die Leitung eines pädagogischen
Instituts und eine Lehrerstelle am dortigen
Gymnasium zu übernehmen. Unter den
Eindrücken der neuen Umgebung faßte
er den
Plan zu seinem Werk »Die
Völker des
Kaukasus und ihre Freiheitskämpfe gegen die
Russen« (Frankf. 1848, 2 Bde.; 2. Aufl.,
Berl. 1855), wozu er sich unter Leitung seines
Freundes
Mirza Schaffy durch eifriges
Studium der orientalischen
Sprachen vorbereitete.
Über das
Schwarze Meer, die
Krim,
[* 6]
Konstantinopel,
[* 7]
Kleinasien und die griechischen
Inseln kehrte Bodenstedt
1847,
bereichert mit einer
Fülle von
Anschauungen und
Erfahrungen, nach
Deutschland
[* 8] zurück, wo er seinem
Namen durch eine Übersetzung
ausgewählter Gedichte von
Puschkin und
Lermontow (Leipz. 1843) und »Die poetische
Ukraine«, eine Sammlung kleinrussischer
Volkslieder
(Stuttg. 1845),
bereits einen Klang verschafft hatte. Von jetzt an finden wir in verschiedenen Stellungen und Missionen, erst in München, dann in Italien, [* 9] in Berlin, Paris, [* 10] Frankfurt, [* 11] Bremen [* 12] (hier als Redakteur der »Weserzeitung«) und bei Kassel [* 13] (1852-53) auf dem Gut seiner Schwiegereltern, endlich in Gotha, [* 14] in der Umgebung des Herzogs von Gotha, bis er 1854 auf Einladung des Königs Max von Bayern [* 15] nach München übersiedelte, wo er die Professur der slawischen Sprachen an der Universität erhielt, die er später (1858) mit der der altenglischen Litteratur vertauschte. Im Herbst 1866 folgte er einem Ruf des Herzogs von Meiningen, [* 16] um die Leitung der Hofbühne in Meiningen zu übernehmen.
Hier lebte er, vom Herzog 1867 in den Adelstand erhoben und an den Anfängen des Aufschwunges des Meininger Hoftheaters beteiligt, bis 1873, nachdem er die Intendanz schon 1869 niedergelegt hatte, hielt sich dann mehrere Jahre bei seinem Schwiegersohn in der Nähe von Altona [* 17] auf und siedelte 1877 nach Berlin über, von wo aus er 1880 zum Zweck von Vorlesungen eine Reise nach den Vereinigten Staaten [* 18] unternahm. Seit seiner Rückkehr hat er seinen Wohnsitz in Wiesbaden. [* 19] Von seinen Schriften ist zunächst noch sein Buch »Tausend und ein Tag im Orient«, die Schilderung seiner Erlebnisse im Kaukasus etc. (Frankf. 1850, 3 Bde.; 3. Aufl. 1859),
zu erwähnen. Im übrigen hat sich Bodenstedt
seitdem als litterarischer
Forscher, als Übersetzer und
als Dichter einen
Namen gemacht. Von seinen
Übertragungen fremder
Dichtungen
sind zunächst außer dem
»Poetischen
Nachlaß«
Lermontows (Berl. 1852, 2 Bde.)
noch die der
»Poetischen Werke«
Puschkins (das. 1854 bis 1855, 3 Bde.)
und
Turgenjews
»Erzählungen«
(Münch. 1864-65) zu erwähnen. Auch die 1851 erschienenen
»Lieder des
Mirza
Schaffy«, sein bedeutendstes und beliebtestes Werk, welche seitdem alljährlich in neuen vermehrten
Auflagen herauskamen (115.
Aufl., Berl. 1884) und nicht nur in fast alle europäischen
Sprachen, sondern sogar ins Tatarische und
Hebräische übersetzt
wurden, kündigten sich als
Übertragung an, stellten sich aber alsbald als eigne
Dichtungen heraus.
Sie offenbaren naiv-heitere, an Hafis anklingende Weisheitslehren und gewinnen besonders durch die Anmut und geistreiche Gewandtheit der Form. Seine betrachtungsreichen »Gedichte« (Brem. 1852),
denen noch zwei Bände unter dem Titel: »Aus Heimat und Fremde« (Berl. 1857-59) folgten, erhoben sich nicht zu gleicher Bedeutung. Dafür aber kehren die Vorzüge der Mirza Schaffy-Lieder in den Sammlungen: »Aus dem Nachlaß des Mirza Schaffy. Neues Liederbuch« (Berl. 1874, 13. Aufl. 1883),
»Einkehr und Umschau« (Jena [* 20] 1876) und »Aus Morgenland und Abendland. Neue Gedichte und Sprüche« (Leipz. 1882) wieder. Die poetischen Übertragungen Hafisischer Lieder aus dem Persischen: »Der Sänger von Schiras« (Berl. 1877, 3. Aufl. 1884),
gaben dem Dichter Gelegenheit, seine innere Übereinstimmung mit dem Hauptgehalt der morgenländischen
Dichtung und
seine Sprachvirtuosität zu offenbaren. Die
»Lieder und
Sprüche des
Omar Chajjâm verdeutscht« (Bresl. 1881) schließen sich
ihnen an. Auch der
»Neun Kriegslieder« (Bielef. 1870) und »Zeitgedichte«
(Berl. 1870) ist zu gedenken.
Minder glücklich war Bodenstedt
als
Dramatiker und Erzähler. Sowohl die Werke der
Münchener
Periode, die
Tragödie
»Demetrius« (Berl. 1856) und das
Lustspiel »König
Autharis Brautfahrt« (das. 1860),
als die
im
»Theater«
[* 21] (das. 1876) gesammelten
Dramen, deren interessantestes die
Tragödie
»Kaiser
Paul« ist, endlich das
Schauspiel
»Alexander
in
Korinth«
[* 22] (Hannov. 1876; neue Bearbeitung, Leipz.
1883) entbehren bei vielen Einzelvorzügen der straff dramatischen
Anlage und entscheidenden
Steigerung. Als
Epiker ließ Bodenstedt
zuerst
die
Dichtung
»Ada, die Lesghierin« (Berl. 1853) erscheinen, an der hauptsächlich die beschreibenden
Partien zu rühmen sind. Einheitlicher und vollendeter zeigten sich die kleinen
»Epischen
Dichtungen« (Berl. 1863),
unter denen »Herun und Habakuk« das Meisterstück ist. Von den Erzählungen in ungebundener Rede verdienen die aus persönlichen Erinnerungen stammenden »Kleinern Erzählungen« (Münch. 1863) besonders hervorgehoben zu werden. Hierher gehören ferner: »Ernst Bleibtreu« (Münch. 1863);
»Vom Hof [* 23] Elisabeths und Jakobs« (Jena 1871, 2 Bde.; 3. Aufl. 1878);
»Aus deutschen Gauen« (das. 1871, 2 Bde.; 3. Aufl. 1878);
»Das Herrenhaus in Eschenwalde« (das. 1872, 3 Bde.; 3. Aufl. 1878);
»Kleine Geschichten aus fernem Lande« (Berl. 1872) und »Gräfin Helene« (Stuttg. 1880).
Einem wichtigen und verdienstlichen Teil der unermüdlichen Thätigkeit Bodenstedts
entstammen seine der tiefern Kenntnis
und dem allgemeinern Verständnis
Shakespeares und seiner Zeit gewidmeten
Schriften. In erster
Linie steht
hier das Werk
»Shakespeares Zeitgenossen« (Berl. 1858-60, 3 Bde.),
Übertragungen auf Websters, Fords, Marlowes, Lillys u. a. Dichtungen nebst litterarhistorischen Einleitungen enthaltend, dem die vorzügliche Verdeutschung von »Shakespeares Sonetten« (das. 1862, 4. ¶
mehr
Aufl.
1873) folgte. Späterhin gab unter Mitwirkung von A. Gildemeister, A. Wilbrandt, P. Heyse, Herwegh u. a. eine neue Übersetzung der »Dramatischen Werke« Shakespeares (Leipz. 1866-72, 9 Bde.) heraus und veröffentlichte: »Shakespeares Tagebuch« (Berl. 1866-67, 2 Bde.) sowie ein Buch über »Shakespeares Frauencharaktere« (das. 1875). Über die Staats- und Volksverhältnisse Rußlands verbreiten sich die »Russischen Fragmente« (Leipz. 1862, 2 Bde.),
während das Werk »Aus Ost und West« (Berl. 1861) eine Sammlung vermischter Vorträge darbietet. In neuester Zeit begann der Dichter auch Aufzeichnungen aus seinem reichbewegten und wechselvollen Leben in dem Werk »Aus meinem Leben« (erster Teil: »Eine Königsreise, Erinnerungsblätter an König Max«, Leipz. 1879, 3. Aufl. 1884),
welchem sich die Beschreibung seiner Amerikareise: »Vom Atlantischen zum Stillen Ozean« (das. 1882) anreiht. Endlich gab ein »Album deutscher Kunst und Dichtung« (Berl. 1869, 5. Aufl. 1881),
»Kunst und Leben. Ein neuer Almanach für das deutsche Haus« (Stuttg. 1877-1878, fortgesetzt von Kürschner) und »Verschollenes und Neues. Ein Dichterbuch aus Deutschland und Österreich« [* 25] (Hannov. 1878) heraus und begründete 1881 die in Berlin erscheinende »Tägliche Rundschau«. Neben einer Auswahl aus der großen Zahl seiner Gedichte, die als »Ausgewählte Dichtungen« (Berl. 1864) viel Verbreitung fanden, veranstaltete auch bereits eine (unvollständige) Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften« (das. 1865-69, 12 Bde.). Eine Sammlung neuerer »Erzählungen und Romane« erschien in 7 Bänden (Jena 1871-72).