Blutumlauf,
s. Blutbewegung.
8 Wörter, 66 Zeichen
Anthropologie, Anatomie und Physiologie — Physiologie — Ernährung
s. Blutbewegung.
Das Blut des lebenden Organismus ist in ununterbrochener Bewegung durch die verschiedensten Körperteile begriffen. Diese Bewegung erfolgt auf vorgeschriebenen Bahnen, die in ihrer Gesamtheit ein außerordentlich verzweigtes, in sich geschlossenes Röhrensystem, das Blutgefäßsystem, darstellen. Dieses besteht aus dem Herzen, aus den Arterien, den Venen und dem zwischen diesen beiden liegenden Kapillar- oder Haargefäßsystem. Letzteres durchzieht alle Organe als ein feines Netz von Röhren, indem es sich zwischen den Elementarteilen derselben ausbreitet.
Das Blut wird in dieselben durch die zuführenden Gefäße, die Arterien, mit einer Kraft Angetrieben, welche hinreichend ist, daß es wieder aus ihnen durch feine Röhrchen abfließen kann, die sich zu immer größern Röhren vereinigen und rückführende Gefäße oder Venen genannt werden. Diese Bewegung des Bluts wird hervorgebracht durch das Herz, welches einen sehr starken, mit einem Klappenwerk versehenen Hohlmuskel darstellt. Nach dem Herzen fließt alles Blut aus dem Körper zurück, von ihm wird alles Blut in die Körperteile hineingetrieben.
Das Herz aber ist durch eine Scheidewand in zwei vollkommen voneinander geschiedene Hälften geteilt, in eine rechte und linke Hälfte, das rechte und linke Herz ef und ab (s. Figur, S. 60). In die rechte Hälfte ergießt sich das aus dem Körper zurückfließende Blut durch zwei große Venenstämme d, um sodann infolge der Zusammenziehung des Herzens durch die Lungenarterie g in die Lungen Angetrieben zu werden. In den Lungen verästeln sich die Gefäße sehr schnell in ein seines Gefäßnetz, das seinen Inhalt in das Lungengefäßnetz ergießt, wo derselbe mit dem in den Lungenbläschen enthaltenen Sauerstoff der eingeatmeten Luft in Berührung kommt, diesen in
sich aufnimmt und Kohlensäure abgibt. So durch Sauerstoff erfrischt, kehrt das Blut durch andre rückführende Gefäße (die sogen. Lungenvenen h) nach dem linken Herzen zurück. Auf der ganzen Strecke von den Lungenkapillaren zu den Körperkapillaren (also in den Lungenvenen und sämtlichen Arterien, mit Ausnahme der Lungenarterie) ist das Blut hellrot oder arteriell, auf der Strecke von den Körper- zu den Lungenkapillaren hingegen (also in sämtlichen Venen, mit Ausnahme der Lungenvenen und in der Lungenarterie) dunkelrot oder venös. Da das Gefäßsystem in sich geschlossen ist und die Blutbewegung immer in derselben Richtung erfolgt, so ist es klar, daß dieselbe einen Kreislauf darstellen muß.
Die Bahn vom rechten Herzen durch die Lungen zum linken Herzen wird der kleine Kreislauf genannt, gegenüber dem großen Kreislauf, welcher die gesamte Blutbahn vom linken Herzen durch den ganzen Körper hindurch nach dem rechten Herzen in sich schließt. Dieser wird auch Körperkreislauf, der erstere Lungenkreislauf genannt. Diese Benennungen beruhen freilich auf einer ungenauen Auffassung, denn das Blut hat erst dann einen wirklichen Kreislauf beschrieben, wenn es nach seiner Wanderung durch den Organismus wieder an seinem Ausgangspunkt angekommen ist.
Die Herzbewegung gibt die Triebkraft für den Blutstrom ab. Bei den Säugetieren und Vögeln stellt das Herz einen kegelförmigen, muskulösen Sack dar, der durch eine Scheidewand in zwei vollständig getrennte, aber im wesentlichen übereinstimmend gebaute Hälften (linke und rechte Herzhälfte) zerfällt. Die linke Hälfte ist der arteriellen, die rechte der venösen Abteilung des Blutstroms eingeschaltet. Jede Herzhälfte zerfällt durch Scheidewände in eine dünnwandige Vorkammer a e, welche das Blut zunächst aufnimmt, und in eine dickwandige Kammer b f, welche das Blut durch je eine besondere Öffnung in die Hauptarterienstämme treibt.
Die Kommunikation zwischen Vorkammer und Kammer wird mittels großer Öffnungen (Atrioventrikularöffnungen) bewirkt, welche sich durch Klappenventile verschließen, sobald der Inhalt der Kammern auf sie drückt. Die linke Kammer b steht mit der Aorta c durch eine große Öffnung in Verbindung, welche mit drei halbmondförmigen Klappen versehen ist, die einen Rückfluß des Bluts nach dem Herzen hin verhindern; eine analoge Einrichtung findet sich rechts am Eingang in die Lungenarterie g. Der Sinn des beschriebenen Klappenapparats ist der, den allseitig gedrückten Herzinhalt in einen Strom von bestimmter Richtung zu verwandeln, bei der Zusammenziehung der Kammern den Rückfluß in die Vorhöfe, bei der Erweiterung der Ventrikel aber jede Rückstauung des Bluts aus den Arterien zu verhindern. Ist es eine wesentliche Funktion der Kammern, durch Druck auf ihren Inhalt den arteriellen Strom zu erzeugen, so müssen die Vorhöfe als Reservoirs bezeichnet werden, dazu bestimmt, neues Blut für die Speisung der Kammern aufzuspeichern.
Die Bewegungen des Herzens erfolgen rhythmisch und bestehen in einer abwechselnden Zusammenziehung und Erweiterung der Vorkammern und Kammern; die beiden Herzhälften arbeiten hierbei durchaus symmetrisch. Die Zusammenziehung des Herzens bezeichnet man als Systole, die Erschlaffung als Diastole. Bei der Herzbewegung erfolgt zunächst die gleichzeitige Zusammenziehung beider Vorhöfe, der unmittelbar die Zusammenziehung beider Kammern folgt. Die Teile verharren kurze Zeit im Zustand der Zusammenziehung (Systole) und nehmen darauf wieder ihre ursprüngliche Form an (Diastole), um nach einer kurzen Zeit der Ruhe (Herzpause) die Bewegung von neuem zu beginnen.
Bei der Thätigkeit des Herzens beobachtet man Formveränderungen, deren exakte mechanische Zergliederung mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Im Zustand der Diastole stellt das Herz einen schiefen Kegel dar, dessen Basis eine Ellipse ist; im Zustand der Systole ist der Kegel gerader und seine Basis abgerundet. Diese Formveränderung ist mit einer geringen Drehung des Herzens um seine Längsachse, die bei der Systole von links nach rechts, bei der Diastole von rechts nach links erfolgt, verbunden. Bei der Zusammenziehung des Herzens beobachtet man eine Erschütterung der Brustwandung, die man als Herzstoß bezeichnet. Man empfindet denselben, wenn man in der Herzgegend die flache Hand gegen die Brustwandung legt. Der Stoß kann nicht dadurch entstehen, daß das Herz gegen die Brustwandung anschlägt, denn zwischen dem Herzen und der Brustwand existiert kein leerer Raum, und das Herz kann sich nicht von der Brustwand entfernen. Es ist daher
richtiger von einem Erschüttern der Brustwand als von einem Stoße zu sprechen; das Herz erschüttert die Brustwandung dadurch, daß sich die Erschütterung, die es selbst erfährt, wenn es bei der Zusammenziehung plötzlich in einen steinharten Körper verwandelt wird, aus die anliegende Brustwandung fortpflanzt. Man hat den Herzstoß auch durch den Reaktionsstoß, den jeder bewegliche Körper, aus dem eine Flüssigkeit in einer Richtung ausströmt, in entgegengesetzter Richtung erfährt, zu erklären gesucht.
Legt man in der Herzgegend das Ohr auf die Brustwandung, so vernimmt man zwei schnell aufeinander folgende Töne, die Herztöne. Der erste derselben ist dumpf und hält so lange an, wie die Systole der Kammern währt; der andre, dem ersten schnell folgende ist höher, von kürzerer Dauer und erscheint nach Ablauf der Kammersystole gleichsam wie ein Nachschlag des ersten Tons. Die Ansichten über die Ursachen des ersten Tons sind auch heute noch ziemlich geteilt. Einige lassen ihn aus den Schwingungen der gespannten Atrioventrikularklappen hervorgehen, andre erklären ihn für ein Muskelgeräusch, wieder andre geben ihm einen gemischten Charakter. Der zweite Ton rührt von dem plötzlichen Verschluß der halbmondförmigen Klappen her und wird nach Zerstörung dieser klappen nicht mehr beobachtet. Die Herztöne sind von außerordentlicher Wichtigkeit für die Erkennung der Herzkrankheiten.
Die Eigenschaft des Herzens, sich unter dem Einfluß gewisser Reize zu kontrahieren, nennen wir seine Reizbarkeit oder Erregbarkeit. Das Wesen der Reizbarkeit ist uns unbekannt, aber wir kennen eine Anzahl von Einwirkungen, unter denen sie bald vermehrt, bald vermindert, bald völlig aufgehoben ist. Die ausgeschnittene Muskulatur von frisch getöteten Kaltblütern bewahrt noch längere Zeit die Fähigkeit, auf Reize in Thätigkeit zu geraten; auch das ausgeschnittene Herz fährt noch geraume Zeit zu schlagen fort.
Das Pulsieren des Herzens ist also eine automatische Thätigkeit. Am ausgeschnittenen Herzen des Kaltblüters konnte man nun feststellen, daß es nur innerhalb enger Temperaturgrenzen die Fähigkeit bewahrt, automatisch zu schlagen, und daß die Herzthätigkeit sistiert, sobald diese Grenzen nach oben oder nach unten überschritten werden. Kühlt man ein Herz ab, so beginnt es langsamer zu pulsieren, bis es bei ca. 0° vollständig zu schlagen aufhört, nachdem die Kontraktionen vorher einen ungemein trägen Charakter angenommen haben. Erwärmt man es dann, so tritt Wiederbelebung auf und das um so energischer, je höher die Temperatur gebracht wird. Zwischen 30 und 40° wird ein Maximum von Leistungsfähigkeit erreicht; steigert man die Wärme noch weiter, so sinkt die Schlagzahl so bedeutend, daß schon wenige Grade über 40° dauernder Herzstillstand erzielt wird.
Weiter sind eine Anzahl chemischer Einflüsse auf die Herzarbeit bekannt. Ein mit Blut benetztes ausgeschnittenes Herz des Kaltblüters stellt weit später seine Kontraktionen ein als ein der Einwirkung des Bluts ganz entzogenes. Bei der Speisung des Herzens mit bloßem Blutwasser (Serum) treten eigentümliche gruppenartige Pulsationen auf, die durch Pausen voneinander getrennt sind. Eine Lösung von Blutasche vermag ein zur Ruhe gekommenes Herz zu neuen Kontraktionen zu veranlassen.
Weiter hat man den Einfluß derjenigen Salze, welche die Hauptmasse der Asche des Blutserums bilden, festgestellt und gefunden, daß Kochsalz das Herz in eine Art Scheintod versetzt, in welchem Zustand es für mechanische, thermische und elektrische Reize noch empfänglich ist, daß aber kohlensaures Natron befähigt ist, das durch Kochsalz beruhigte Herz wieder zu beleben. Die Arbeit des Herzens erfolgt dabei mit einer geradezu bewundernswerten Regelmäßigkeit, und man kann sicher darauf rechnen, durch eine genau neutralisierte Kochsalzlösung das Herz zum Stillstand zu bringen und durch Zufügen genau abgemessener kleiner Mengen Alkali Pulsreihen von bestimmter Größe zu erhalten, deren Umfang man fast mit mathematischer Gewißheit vorherzusagen vermag.
Die günstigsten Wirkungen zeigen sich bei Anwendung einer 0,6proz. Kochsalzlösung, die in 500 ccm einen Tropfen Natronlauge enthält. Natürlich kommt das Herz schließlich zur Ruhe, denn es vermag ja nicht auf Kosten der Salzlösung zu arbeiten, sondern seine Arbeit ist eine Funktion der Spannkräfte, die im Herzmuskel aufgespeichert liegen. Sind diese Spannkräfte verzehrt, so hört die Herzarbeit vollständig auf. Die Spannkräfte in der Muskelsubstanz speisen das Herz in vollkommen derselben Weise wie die Kohle die Dampfmaschine, und die Leistung des Herzens entspricht ganz ebenso dem Umfang der Speisung, wie dieses bei dem Dampfmotor der Fall ist. Pepton scheint befähigt zu sein, dem Herzen neue Spannkräfte zuzuführen.
Die Erscheinung, daß das ausgeschnittene Herz rhythmisch pulsiert, setzt eine Einrichtung voraus, welche den Wechsel der Erschlaffung und der Kontraktion der Herzmuskulatur beherrscht und welche eine geordnete Thätigkeit der Muskelsubstanz bewirkt. Nach unsern jetzigen Anschauungen muß a priori angenommen werden, daß ein derartiger Regulator der Herzarbeit aus Nervenganglien und Nervenfasern besteht. Thatsächlich sind auch im Herzen aller Tiere diese Nervenelemente nachgewiesen, und man hat die Ganglien als interkardiale Nervenzentren für die Herzregulierung angesehen.
Wenn man nunmehr eine vollständig genügende Erklärung für die rhythmische Thätigkeit des Herzmuskels zu besitzen glaubte, so konnte das nur so lange geschehen, bis die überraschende Beobachtung bekannt wurde, daß das Ausschneiden der Ganglienhaufen nur Veränderungen in der rhythmischen Thätigkeit, aber keineswegs ein Erlöschen dieser Thätigkeit bewirkt, und daß selbst ausgeschnittene Herzstücke, welche weder Ganglien noch Nervenfasern besitzen, noch rhythmische Thätigkeit zu äußern im stande sind. Da sich weiter ergeben hat, daß der weitaus größte Teil der Herzkammer des Frosches überhaupt frei von Ganglien und Nerven ist, so bleibt zur Erklärung der rhythmischen Pulsation des Herzens nur die Annahme übrig, daß die Muskelfasern des Herzens selbst Funktionen ausüben, welche sonst nur nervösen Gebilden eigen sind.
Die in den Gefäßen wird veranlaßt durch Druckdifferenzen; das Blut fließt fortwährend von der Stelle des höchsten Druckes (Kammern zur Zeit der Systole) nach der Stelle des niedersten Druckes (Kammern zur Zeit der Diastole). Es ist ersichtlich, daß bei sonst gleichen Verhältnissen die Stromgeschwindigkeit mit der Spannungsdifferenz wächst und fällt. Daß die Spannung im Arteriensystem sehr viel höher ist als im Venensystem, ergibt sich schon aus der prallen Füllung der Arterien gegenüber der Schlaffheit der Venen; dann aber kann man sich davon überzeugen, daß der Blutstrahl, der aus einer geöffneten Arterie hervorspritzt, oft mehrere Fuß hoch, während der aus einer Vene nur sehr unbedeutend ist. Der Blutdruck ist indessen auch absolut meßbar, und es ist durch solche Messungen ermittelt, daß die
62 Spannung in den kleinen Arterien nur sehr wenig geringer als diejenige in der Aorta ist. Diese merkwürdige Thatsache wird dadurch bedingt, daß der Blutstrom durch Reibung nur sehr wenig von seiner Kraft einbüßt, weil die Arterien sich in der Weise teilen, daß der Gesamtquerschnitt derselben mit der Verzweigung erheblich zunimmt. Da der Blutstrom in den Venenanfängen nur noch unter einem sehr unerheblichen Druck steht, so ist es ersichtlich, daß derselbe in jenem kurzen und sehr engen Gefäßabschnitt, welchen man als Kapillargebiet bezeichnet, fast seinen ganzen Druck einbüßt. In diesem Abschnitt muß daher eine sehr bedeutende Reibung stattfinden, trotzdem das Gesamtlumen der Kapillaren mindestens das 500fache des Aortenlumens ausmacht. Der Blutdruck in der Karotis des Menschen wird auf ca. 200 mm Quecksilber geschätzt, beim Hund fand man ihn 88-172 mm, beim Pferd 110-321 mm Quecksilber gleich.
In den kleinen Venen ist noch ein geringer positiver Druck, in den großen, in der Nähe des Herzens gelegenen hingegen ein negativer Druck vorhanden. Öffnet man ein solches Gefäß, so tritt atmosphärische Luft in die Blutbahn ein. Dem größten negativen Druck begegnet man zur Zeit der Diastole in den Herzkammern; das Herz ist deshalb nicht allein als Druck-, sondern auch als Saugpumpe aufzufassen. Der Blutdruck ist übrigens innerhalb sehr weiter Grenzen von der Blutmenge vollkommen unabhängig, und weder durch sehr bedeutende Aderlässe noch durch Transfusion sehr großer Blutmengen unterliegt der mittlere Blutdruck merklichen Schwankungen; diese Erscheinung ist auf eine Einrichtung der Gefäßwandung zurückzuführen, vermöge deren dieselbe ihre Spannung dem Gefäßinhalt vortrefflich anzupassen vermag.
Der Blutstrom pflanzt sich nun in Form von Wellenbewegungen im Arteriensystem fort, d. h. mit jeder Systole ist eine Druckvermehrung, mit jeder Diastole eine Druckverminderung verknüpft. Diese Wellenbewegung ist um so mächtiger, je näher am Herzen, und um so unbedeutender, je weiter vom Herzen entfernt die Arterien untersucht werden. Bei der Auflösung der kleinsten Arterien in das Kapillarsystem wird sie für gewöhnlich nicht mehr angetroffen. Sie ist am Anfang der Aorta fast synchronisch mit der Systole der Kammern und pflanzt sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 9 m in der Sekunde fort. Diese Größe hat mit der Geschwindigkeit des Blutstroms durchaus nichts zu thun. Die beschriebene Wellenbewegung bedingt den Puls (s. d.).
Neben der Herzbewegung als Ursache des Kreislaufs kommt noch die Aspiration des Thorax in Betracht. Das Herz und die großen Gefäßstämme liegen innerhalb der Brusthöhle in einem geschlossenen Behälter, in welchem ein negativer Druck herrscht, weil die Lungen selbst noch im Zustand der Exspiration weit über ihre elastische Gleichgewichtslage ausgedehnt sind. Jede Inspiration vergrößert durch eine noch stärkere Ausdehnung der Lungen diesen negativen Druck erheblich, und die Folge davon muß sein, daß die Wandungen der nachgiebigen Vorhöfe und Venen stärker auseinander gezogen werden. Letzterer Umstand wird ein Nachströmen neuen Bluts aus den außerhalb des Thorax gelegenen Venenstämmen bewirken, wodurch der Kreislauf wesentlich gefordert wird. Bei der Exspiration wird die inspiratorische Vergrößerung des negativen Druckes wieder in Wegfall kommen. Die Wirkung der Aspiration auf die Arterien ist wegen der stärkern Wandung dieser Gefäße weniger stark, doch ist dieselbe experimentell nachweisbar.
Bei der Geschwindigkeit der Blutbewegung ist zu berücksichtigen, daß der Gesamtquerschnitt der Gefäße mit der Verzweigung bedeutend zunimmt, so daß der Gesamtquerschnitt der Kapillaren ca. 500mal so groß ist als derjenige der Aorta. Da nun durch jeden Gesamtquerschnitt des Gefäßsystems in der Zeiteinheit dieselbe Blutmenge strömen muß, so ergibt sich, daß die Stromgeschwindigkeit den Gesamtquerschnittsgrößen umgekehrt proportional ist, d. h. also, daß sie z. B. in den Kapillaren 500mal kleiner sein wird als in der Aorta.
Die Geschwindigkeit in den Kapillaren läßt sich durch direkte Messung der Ortsveränderung der Blutkörperchen bestimmen; E. H. Weber schätzt sie in den Kapillaren der Schwimmhaut des Frosches auf 0,5 mm in der Sekunde. Volkmann schätzt die Geschwindigkeit des Blutstroms in der Karotis des Hundes auf 200-350 mm pro Sekunde. In der Nähe des Herzens ist die Fortbewegung des Bluts also am stärksten, nimmt, je weiter vom Herzen entfernt, desto mehr an Schnelligkeit ab und geht am geringsten und ruhigsten im Kapillargefäßsystem vor sich.
In den Anfängen der Venen wird der Lauf wieder beschleunigt; die Schnelligkeit nimmt in den Venen zu, je mehr sie dem Herzen sich nähern, und ist am bedeutendsten in den Hohladern. Nach Herings Versuchen würde der Kreislauf des Bluts schnell vollendet sein; derselbe fand nämlich, daß, wenn er in die Vena jugularis der einen Seite eines Pferdes Ferrocyankaliumlösung eintrichterte, die Reagenzien nach kaum ½ Minute dasselbe in der Vena jugularis der entgegengesetzten Seite anzeigten.
Voraussichtlich zirkuliert nun das Blut nicht durch alle Körperteile in einer und derselben Zeit, sondern der Kreislauf aus der Arteria coronaria cordis durch das Herz selbst bis in den rechten Vorhof zurück ist vielleicht zehnmal vollendet, während sich der Lauf aus der Aorta durch die Gefäße der Fußspitzen bis durch die Vena cava inferior hindurch in den rechten Vorhof erst einmal vollendet hat. So stellt der Kreislauf zwar wohl einen allgemeinen Kreis dar, aber derselbe wird sich aus sehr vielen kleinen Kreisen zusammensetzen.
Was die Verteilung des Bluts im lebenden Organismus betrifft, so ist dieselbe schnellen und wesentlichen Schwankungen ausgesetzt. Dieses wird dadurch bedingt, daß die Weiterer Arterien außerordentlich veränderlich ist. An vielen Organen kann man direkt beobachten, daß sie zur Zeit der Funktion reichlicher mit Blut gespeist werden als sonst. So fließt z. B. zur Zeit der Muskelarbeit mehr Blut durch den Muskel, und so vermehrt sich zur Zeit der Verdauung der Blutstrom durch den Verdauungsapparat und seine Drüsen.
Teilt man mit Ranke den ganzen Organismus ein in Drüsenapparat (gesamte Eingeweide) und Bewegungsapparat (Muskeln, Knochen, Nerven und äußere Haut), so kann man verfolgen, wie der Hauptstrom bald dem einen, bald dem andern Apparat angehört. Er geht durch den Drüsenapparat, sobald die Tiere mit hingestreckten Gliedmaßen in ruhiger Lage verharren; er passiert den Bewegungsapparat, sobald die Muskulatur zu kräftiger Bewegung angeregt wird. Der mittlere Gehalt des Muskelapparats betrug in der Ruhe 36,6 Proz. der Gesamtblutmenge, stieg aber im Starrkrampf auf 66 Proz.
Der Einfluß des Nervensystems auf die Blutbewegung ist doppelter Art, da es nicht allein die Herzbewegungen, sondern auch die Weite der Gefäße beherrscht. Zwei Nerven bekunden einen Einfluß auf die Herzbewegung, nämlich der Herzast des Vagus und der Nervus accelerans cordis; der letztere setzt sich aus einigen feinen Nervenzweigen zusammen, die aus dem
letzten Halsknoten des sympathischen Nervs hervorgehen. Durch mechanische, thermische, elektrische oder chemische Reizung des Vagus verlangsamt man die Herzbewegungen, durch ebensolche Reizung des Accelerans bewirkt man eine Beschleunigung der Herzschläge. Die gleiche Wirkung wie die Reizung des beschleunigenden Nervs hat häufig die Reizung des Halssympathikus. Da man das aus dem Körper entfernte Herz des Kaltblüters noch Tage hindurch rhythmisch pulsieren sehen kann, so hat man in jenen Ganglienhaufen, welche in der Muskulatur des Herzens selbst gelegen sind, Apparate rhythmischer Automatie erkennen wollen.
Die wahren Ursachen der letztern sind uns indessen noch vollständig unbekannt. Die Arterien, besonders die mittelgroßen und kleinern, sind mit Hohlmuskeln versehen, von deren Kontraktionszustand die Weite dieser Gefäße abhängt. Vermöge dieses Apparats wird vor allen Dingen die Verteilung des Bluts im Organismus geregelt. Zieht sich nämlich die Gefäßmuskulatur in einem Organ zusammen, so vermindert sich dessen Blutgehalt; erweitert sich hingegen die Muskulatur, so werden dem Blutstrom weitere Schleusen gegeben, und das Organ wird reichlicher mit Blut versorgt.
Man hat ermittelt, daß diese Zu- oder Abnahme des Gefäßdurchmessers an die Existenz ganz besonderer Nerven, nämlich der Gefäßnerven (vasomotorischen Nerven), geknüpft ist. Die Gefäßnerven werden von ganz bestimmten Stellen des Zentralnervensystems aus beherrscht; eine Stelle in der Medulla oblongata ist der wichtigste Sitz für diese Innervation (Gefäßnervenzentrum), weniger umfangreich ist der Einfluß des Rückenmark auf die Gefäßnerven. Unter dem Einfluß der Gefäßnerven kommt der Tonus, die Spannung der Gefäße, zu stande; zerstört man diese Nerven, so werden die Gefäße gelähmt und erweitern sich jetzt derartig, daß der Blutdruck tiefer sinkt, als zur Erhaltung des Lebens erforderlich ist.
Die bis jetzt besprochenen Gefäßnerven sind ausschließlich Verengerer der Gefäße oder Vasokonstriktoren; es sind nun aber auch Nerven nachgewiesen, welche ganz entgegengesetzt wirken, man hat sie depressorische Nerven oder Vasodilatatoren genannt. Die bis jetzt genannten Nerven stellen die wichtigsten, aber nicht die einzigen Regulatoren des Blutstroms dar, denn Mosso zeigte, daß die Gefäße selbst dann noch ihre Lichtung zu ändern vermögen, wenn sie der genannten Beziehungen zum Zentralnervensystem beraubt worden sind, ein Verhalten, welches möglicherweise für das Vorhandensein besonderer regulatorischer Apparate in der Gefäßwandung selbst spricht.