(Blutsucht, Haemorrhaphilia), eigentümliche Krankheitsanlage, welche darin besteht, daß auf die geringste
Veranlassung ungewöhnlich lange und hartnäckige
Blutungen eintreten, so daß sonst ganz unerhebliche und oberflächliche
Verletzungen einen Blutverlust herbeiführen, der bis zur Lebensgefahr andauert und fast allen
Mitteln trotzt. Ein kleiner
Stich, das
Ausziehen eines
Zahns, namentlich gerissene
Wunden, bluten unaufhaltsam, und Verätzungen am
Kopf, an den
Lippen, an den
Fingerspitzen scheinen besonders gefährlich zu sein.
Oft entstehen auch spontan
Blutungen
(Nasenbluten), und die
Menstruation gibt zu heftigen Blutverlusten Veranlassung. Das
Blut
kann auch im Innern der
Gewebe
[* 2] austreten, so daß eine
Menge durch alle
Organe des
Körpers zerstreuter
Blutflecke erscheint.
In der
Regel sind solche Blutaustretungen
Folge leichter äußerer Einwirkungen, und es sind
Fälle bekannt,
wo ein längerer
Druck eines Teils, z. B. des
Gesäßes beim Sitzen, blaue
Flecke hinterließ. Was die
Ursache dieser außerordentlich
großen
Neigung zur Zerreißung der
Gefäße sei, ist noch nicht aufgeklärt; zuweilen liegt mangelhafte
Bildung des Gefäßapparats
(Chlorose), zuweilen Klappenfehler des
Herzens zu
Grunde.
In derRegel ist die Bluterkrankheit angeboren und vererbt sich von
Geschlecht zu
Geschlecht, so daß oft ganze
Familien
daran leiden. Es sollen jedoch vorzugsweise die männlichen
Glieder
[* 3] der
Familien dazu Disponiert sein.
In den Entwickelungsperioden
soll die
Neigung zur Bluterkrankheit sich steigern, im höhern
Lebensalter verliert sich allmählich die
Neigung zu derselben,
so daß auch größere
Operationen günstig verlaufen; man hat jedoch auch
Greise von 70
Jahren noch infolge derselben sterben
sehen. Im allgemeinen besteht die Befürchtung, daß die mit der Bluterkrankheit. Behafteten kein hohes
Alter erreichen; die meisten
Bluter
sterben schon als
Kinder an
Verblutung. Am gefährlichsten sind immer die
Blutungen in der frühsten Lebensperiode,
bei Neugebornen aus den Nabelgefäßen und später aus der
Nase.
[* 4] In einigen
Fällen kamen unstillbare
Blutungen aus ganz unbedeutenden
Wunden dadurch zum Stillstand, daß man die
Wunde mit dem
Messer
[* 5] ausgiebig erweiterte. Die Behandlung der Bluterkrankheit richtet sich auf
das Fernhalten aufregender
Affekte, Vermeidung schwerer
Getränke, Sorge für geregelte, leichte
Diät;
kühlende Mittel, wie
Weinsteinsäure, Tamarinden und leicht abführende
Salze, namentlich
Glaubersalz und
Bittersalz, wirken
sehr wohlthätig. Es versteht sich von selbst, daß bei der Bluterkrankheit alle Blutentziehungen und auch alle
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Blutsucht, Hämophilie oder Hämorrhophilie, die angeborene krankhafte Geneigtheit zu Blutungen verschiedener
Art. Jede kleine Verletzung, ein Stich, ein Schnitt, das Ausziehen eines Zahns hat bei den sog. Blutern oder Hämophilen unstillbare
Blutungen zur Folge; ein Schlag oder Stoß, in den höhern Graden der Krankheit schon ein leichter Druck,
bewirkt Blutunterlaufungen und rote und blaue Flecke; außerdem zeigen sich häufig spontane Blutungen aus der Nase, dem Magen
[* 7] und Darm,
[* 8] den Geschlechtsteilen. Allen diesen Blutungen ist eigentümlich, daß sie durch die gewöhnlichen blutstillenden Mittel
in der Regel nicht zum Stillstand gebracht werden können; vielmehr dauert das Bluten meist bis zur Erschöpfung
des Kranken fort, wo dann die Schwäche der Herzthätigkeit demselben bisweilen ein Ziel setzt. Aber leicht beginnt die Blutung
von
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(Doppelseitige Farbkarte)
¶
mehr
neuem, oft wenn eine Wunde schon vernarbt ist; neue Verletzungen veranlassen neue Blutungen, der Kranke wird schwächer und
schwächer, die herabgekommene Ernährung macht einen baldigen Ersatz des Blutverlustes immer schwieriger, und so geht der
Kranke endlich an Erschöpfung zu Grunde, meist schon im Kindesalter. Die Krankheit scheint fast immer erblich
zu sein, derart, daß in einer Familie (sog. Bluterfamilie) nur ein Teil der Kinder, und zwar besonders die Knaben, daran leiden,
während die übrigen gesund sind, aber nun ihrerseits Kinder zeugen, die der Krankheit verfallen.
Dabei hat sich die merkwürdige Thatsache herausgestellt, daß männliche Bluter, mit gesunden, nicht aus einer
Bluterfamilie stammenden Frauen verheiratet, meist keine Bluter erzeugen, während die Töchter aus Bluterfamilien, auch wenn
sie selbst gesund sind und mit gesunden Männern verheiratet werden, sehr gewöhnlich blutende Söhne zur Welt bringen. Bei
geringer Entwicklung der Krankheit können die Bluter das reifere Alter erreichen; so leiden häufig die aus Bluterfamilien
stammenden Frauen an häufigem und reichlichem Nasenbluten, an übermäßiger Menstruation u. s. w., ohne aber darüber zu
Grunde zu gehen.
Das Wesen der Krankheit ist noch nicht aufgeklärt; einige suchen es mehr in der krankhaften Beschaffenheit des Blutes, welche
seine Gerinnbarkeit aufheben sollte, andere mehr in einer abnorm leichten Zerreißbarkeit und mangelnden
Kontraktilität der Blutgefäße oder in einer angeborenen abnormen Enge der Aorta und der größern Arterien. Ein besonderes
Heilmittel gegen die Krankheit kennt man nicht. Prophylaktisch ist zu betonen, daß Bluter eine zwar kräftige, aber leicht
verdauliche Diät einhalten und alle aufregenden und erhitzenden Getränke, namentlich Kaffee, Thee und Alkohol, ängstlich
meiden, sich auch vor allen erheblichern körperlichen Anstrengungen, zumal bei heißer, schwüler Witterung, und heftigen
Gemütsbewegungen sowie vor allen mechan. Schädlichkeiten hüten und durch leicht abführende
Salze für täglichen Stuhlgang sorgen sollen; alle Blutentziehungen, Zahnextraktionen und operativen Eingriffe müssen womöglich
unterbleiben. Bei jeder Blutung, auch der geringsten, ist sofort ärztlicher Rat einzuholen. -
Vgl. Wachsmuth,
Die Bluterkrankheit (Magdeb. 1849);
Grandidier, Die Hämophilie oder Bluterkrankheit (Lpz. 1855; 2. Aufl. 1877).