Blutegel
Blutegel

* 2
Blutegel.
[* 2] (fälschlich
Blutigel; Hirudinei s. Discophori), eine Ordnung von
Würmern, die man früher vielfach zu den
Plattwürmern, jetzt aber zu den
Gliederwürmern (s. d.) stellt. Der Körper zeigt zahlreiche ringförmige
Einschnitte;
Anhänge sind nie vorhanden, am Hinterende haben sie eine runde Saugscheibe (daher: Discophori),
zu der sich bei der Mehrzahl der Blutegel
noch ein vorderer Mundsaugnapf gesellt. Im
Grunde dieses Mundsaugnapfes finden sich drei
in Winkeln von 120° gegeneinander gestellte, feingezähnte
Kiefer (Unterordnung der
Kieferegel, Gnathobdellidae), welche die
charakteristische Gestalt des Blutegel
bisses bedingen. Wo diese hornigen
Kiefer fehlen, ist der Anfangsteil des
Schlundes als
Rüssel nach außen verstülpbar (Unterordnung der
Rüsselegel, Rhynchobdellidae).
Blutegel (künstlicher)

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Seite 53.166.
Der
Darm
[* 3] des hat eine Anzahl blindsackartiger Seitentaschen. Sämtliche Blutegel
sind
Zwitter; die
Eier
[* 4] werden in eigentümlichen,
schwammigen Cocons, einem Produkt der Körperhaut, abgelegt. Die
Entwicklung der
Jungen erfolgt ohne Verwandlung. Die Blutegel
leben
meist im Wasser und nähren sich teils von Schnecken
[* 5] und
Würmern, teils parasitisch von den Körpersäften
anderer
Tiere. Auf
Ceylon
[* 6] findet sich eine Art (Hirundo ceylonica Moq. Tand.)
kleiner Blutegel
, die als vollkommene Landtiere in feuchten Wäldern und Gärten leben, und, indem sie sich von
¶
mehr
oben auf Menschen und Tiere herabfallen lassen, gewisse Gegenden geradezu unpassierbar machen.
Die Blutegel
teilt man in die bereits genannten beiden Unterordnungen. Zu den Kieferegeln gehören vor allen die medizinischen Blutegel
(s.
unten); ferner der in Deutschland
[* 8] lebende, von Schnecken sich nährende und fälschlich Pferdeegel genannte Aulastomum (Aulacostomum
gulo Moq. Tand.),
sowie der mehr in Südeuropa und Nordafrika heimische Haemopis vorax Moq. Tand.,
der, von Menschen oder Tieren mit dem Trinkwasser verschluckt, sich im Schlunde festbeißt und bösartige Zustände veranlassen
kann. Die Rüsselegel sind kleinere Formen; es gehört hierher u. a. die in unsern Tümpeln und Lachen
häufige Clepsine; eine mexik. Gattung (Haementaria) dient auch zu mediz. Zwecken, ihr Biß soll mitunter
nachteilige Folgen haben.
Der medizinische Blutegel
findet sich in zwei nicht scharf voneinander geschiedenen Abarten; einer mehr nördlichen, dem deutschen
Blutegel
(Hirudo medicinalis L., s. Tafel: Würmer,
[* 9] Fig. 21) mit sechs rostfarbenen, teilweise schwarzgefleckten Längslinien auf dem
Rücken, sowie mit schwarzgeflecktem Bauche, und einer südlichern Form, dem ungarischen Blutegel
(Hirudo officinalis
Sav.) mit grünem, rot oder
braun gesäumtem Mittelstreifen und unterbrochenen, roten oder braunen bis schwarzen Seitenstreifen über den Rücken und
einfarbig grünlich gelbem Bauche. Er kann sich bis 20 cm lang ausdehnen lassen, die Zahl der Ringel beträgt bis 100;
die Zähnchen der Kiefer sind sehr fein und sehr zahlreich, sodaß die Bißwunde scharfe Ränder bekommt und leicht zuheilt.
Die Cocons von der Größe einer Haselnuß werden mit gewöhnlich 10-15 (0,15 mm großen) Eiern in feuchter Erde vom Mai bis in den Juli abgelegt; im Juli und August kriechen die jungen Würmer hervor; sie besitzen schon ganz die Körperform der Eltern, nähren sich aber zunächst von den Körpersaften kaltblütiger Tiere. Erst gegen die Zeit der Geschlechtsreife hin, die zwischen dem dritten und fünften Jahre eintritt, bedürfen sie des Blutes von Warmblütern und sind dann zum mediz. Gebrauche tauglich. Sie können 12-20 J. alt werden.
Haut (anatomisch)

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Haut. Man verwendet die Blutegel
zu lokaler Blutentziehung aus den Kapillargefäßen der Haut,
[* 10] wo Blutentziehungen anderer Art nicht möglich
sein würden, so bei Entzündungen aller Art, bei Quetschungen, Kongestionen u. s. w. Soll ein Blutegel
angesetzt werden, so wird
der Wurm in einem leeren Weinglase über die betreffende, vorher sorgfältig gereinigte und eventuell
mit etwas Milch, Blut u. s. w. befeuchtete Stelle gestürzt; am Zahnfleisch, der Zunge u. s. w. bedient man sich zur sichern
Führung auch kleiner Glascylinder u. dgl. Das Quantum Blut, das ein Blutegel
aufzunehmen im stande ist, beträgt bei einem jungen etwa
das 4,5fache, bei einem alten nur das 3,5fache des Eigengewichtes; zur Verdauung dieser Massen brauchen
die Tiere durchschnittlich ½ Jahr, während welcher Zeit sie natürlich nicht von neuem anbeißen.
Salz (Salinen oder Sal

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Salz.
Vollgesogen, lassen sie von selbst los und fallen ab; soll die Blutentziehung vorher abgebrochen werden, so ziehe man den
Wurm nicht gewaltsam ab, sondern bestreue ihn mit Salz,
[* 11] Tabaksasche oder dergl., worauf er losläßt. Die
Nachblutung wird, falls sie nicht künstlich weiter erhalten werden soll, gewöhnlich durch Aufdrücken von Schwamm zu
stillen gesucht. Um die vollgesogenen Blutegel
möglichst bald wieder zum Gebrauche tauglich zu machen, entzieht man
ihnen das genossene Blut durch Einlegen
in eine schwache Salzlösung, oder gewaltsames Auspressen. In
diesem Falle sind sie schon nach wenigen Wochen wieder verwendbar.
Länder der Ungarischen

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Ungarn. Die Anwendung der Blutegel
erreichte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. ihre
größte Ausdehnung;
[* 12] 1829-36 sollen allein in den Pariser Hospitälern jährlich 5-6 Mill. Blutegel
, die an 1 500000 Frs. kosteten
und gegen 85000 kg Blut jährlich genossen, verbraucht worden sein. Daneben hatte man noch besonders erfundene
Instrumente (Bdellometer oder künstliche Blutegel, s. d.) in Gebrauch, die bei der Blutentziehung die Blutegel ersetzen sollten.
Da aber trotzdem der großen Nachfrage auf gewöhnlichem Wege nicht zu genügen war, so wurde bald die künstliche Blutegelzucht
(s. d.) in Deutschland, Frankreich, England u. s. w. ein lohnender Berufszweig, der Blutegel selbst ein wichtiger
Handelsartikel. Deutschland allein führte jährlich mehrere Millionen aus, und zwar teils künstlich im Lande gezogene, teils
von Rußland, Ungarn
[* 13] u. s. w. eingeführte. Seitdem jedoch die Blutentziehung infolge der neuern wissenschaftlichen Anschauungen
ihre frühere Bedeutung in der Heilkunde verloren hat, ist auch die Anwendung der Blutegel beschränkt
worden und der Handel damit gesunken. -
Vgl. Scheel, Der medizinische Blutegel (2. Aufl., Bresl. 1844);
Otto, Der medizinische Blutegel (Weim. 1835);
Ebrard, Nouvelle monographie des sangsues (Par. 1857);
Rathke, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hirudineen (Lpz. 1862).