Blut
(Entstehung). Bei den wirbellosen
Tieren hat man zweierlei
Leibeshöhlen zu unterscheiden.
Im einfachsten
Fall ist zwischen
Darm
[* 2] und
Haut
[* 3] ein
System von Hohlräumen vorhanden, welches die im Innern gelegenen andern
Organe
(Muskeln,
[* 4]
Geschlechtsorgane etc.) umgibt, welches die physiologische
Funktion eines Blut-
oder Lymphraumes hat, und welches
entwickelungsgeschichtlich von dem Hohlraum der Blastula hergeleitet werden kann oder nach der Gastrulation
durch Auseinanderrücken des
Ektoderms und des
Entoderms als Spaltraum (s.
Ei,
[* 5] Bd. 5) entstanden ist.
Dies ist die primäre Leibeshöhle, neben welcher sich bei andern Tieren noch geschlossene Hohlräume finden, die man als sekundäre Leibeshöhle bezeichnet. Letztere ist in ihrer entwickelungsgeschichtlichen Entstehung ganz unabhängig von der primären Leibeshöhle und tritt als Spaltraum in einer kompakten Masse von Mesodermzellen auf. Sie hat immer den physiologischen Charakter eines Exkretionsorgans und steht durch ausführende flimmernde Kanäle mit der Außenwelt in Verbindung. Denkt man sich die sekundäre Leibeshöhle so vergrößert, daß hauptsächlich durch diese der Raum zwischen Ektoderm und Entoderm eingenommen und daß die primäre Leibeshöhle auf ein System enger Kanäle und Lücken zurückgedrängt wird, so ergibt sich eine Organisation, wie sie bei den chätopoden Ringelwürmern und bei den Wirbeltieren thatsächlich vorhanden ist. Die Leibeshöhle der letztern ist ¶
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nach ihrem ursprünglichen physiologischen Charakter die sekundäre, das Blut-
und Lymphgefäßsystem aber besteht aus den
Resten der primären Leibeshöhle. Hiermit erklärt sich dann auch, daß das Lymphgefäßsystem jederseits an einer (Säugetiere)
oder an mehreren (niedere Wirbeltiere) Stellen in das Blut
gefäßsystem einmündet. Die angegebene phylogenetische Herleitung
des Blut-
und Lymphgefäßsystems findet ihre Bestätigung durch die Beobachtungen auf ontogenetischem
Gebiet.
Der Embryo eines Wirbeltiers besteht nach der Ausbildung der Keimblätter aus folgenden Teilen. Er ist bedeckt von dem Ektoderm (Hautblatt, spätere Epidermis), [* 7] darunter liegt das Medullarrohr (Anlage des Gehirns und Rückenmarks), und diesem schmiegt sich an der Unterseite die Chorda (die erste stabförmige Anlage der Wirbelsäule) an. Unter der Chorda liegt das Entoderm (Darmdrüsenblatt, später Epithel des Darmkanals, der Lunge, [* 8] Leber und des Pankreas). Das Medullarrohr, die Chorda und die Anlage des Darmrohrs liegen in der Medianebene; seitlich schließt sich an dieselben das Mesoderm an, welches jederseits einen vom Kopf bis zum Schwanzende reichenden, mehr oder weniger breiten Mesodermstreifen bildet. An dem obern Teile dieses Streifens, welcher neben dem Medullarrohr und der Chorda liegt, grenzen sich zahlreiche aufeinander folgende Abschnitte, die sogen. Ursegmente, gegeneinander ab, welche hauptsächlich zur Bildung der Muskulatur bestimmt sind.
In dem übrigen Teile des Mesodermstreifens tritt eine Höhle auf, welche sich durch die ganze Länge des Rumpfteils des Embryos erstreckt. Diese Höhle, das Cölom oder die sekundäre Leibeshöhle, ist die noch einheitliche Anlage der Herz-, Brust- und Bauchhöhle. Die Zwischenräume zwischen allen genannten Organanlagen bilden dagegen die primäre Leibeshöhle, welche sich außerhalb der Mesodermstreifen, teils zwischen denselben und dem Ektoderm, teils zwischen den Mesodermstreifen und dem Medullarrohr, der Chorda und dem Ektoderm, findet.
Von den Mesodermstreifen lösen sich Zellen einzeln oder gruppenweise ab, dringen in die primäre Leibeshöhle ein und füllen
dieselbe größtenteils aus. Diese Zellen, in ihrer Gesamtheit als Mesenchym oder Bildungsgewebe bezeichnet, erzeugen die mesenchymatischen
Gewebe:
[* 9] das Bindegewebe, die Wandung der Blut-
und Lymphgefäße, alle lymphoiden Organe, Knochen,
[* 10] Zahnbein,
Knorpel
[* 11] und gewisse Teile der Muskulatur. Die Zellen des Mesenchyms sind meist locker gelagert und durch feine pseudopodienförmige
Ausläufer verbunden; mittels letzterer vermögen sie nach Art der Protozoen zu kriechen.
Was nun den Ursprung des Lymph- und Blut
gefäßsystems von der primären Leibeshöhle betrifft, so ist
hinsichtlich des erstern noch nicht sicher ermittelt, ob es wirklich (wenigstens teilweise) aus Resten der primären Leibeshöhle
entsteht, welche bei der Einwucherung des Mesenchyms frei bleiben. Es ist dies aber sehr wahrscheinlich, und hinsichtlich
des Blut
gefäßsystems ist nachgewiesen, daß in gewissen Fällen manche der ersten Gefäße auf die Weise
zu stande kommen, daß Teile der primären Leibeshöhle von den Zellen des Mesenchyms umschlossen werden.
Die angegebenen Thatsachen erklären die Entstehung der Hohlräume, in welchen und Lymphe fließen; es handelt sich nun noch
um die Abstammung der Zellen, der Blut-
und Lymphkörperchen (Leukocyten, weiße Blut
körperchen),
[* 12] welche
jene Flüssigkeiten mit sich führen. Da ist festgestellt, daß die Blut
flüssigkeit im Embryo anfangs frei von Blut
körperchen
ist, und es scheint,
daß auch die Lymphe zunächst und lange Zeit keine Zellen führt. Letztere werden von den Lymphdrüsen
geliefert, und diese entstehen erst in spätern Stadien der Entwickelung im Mesenchym; an den betreffenden
Stellen treten die Zellen desselben in lebhafte Teilung ein, und es bildet sich ein aus dicht gelagerten Zellen bestehendes Knötchen,
welches erst allmählich sich scharf gegen das umgebende Bildungsgewebe abgrenzt; während es heranwächst, bilden seine Zellen
einesteils das Netzwerk
[* 13] der Drüse, andernteils die Follikularsubstanz, von welcher bekanntlich die Lymphzellen
sich beständig ablösen.
Man kann also die Lymphdrüsen und überhaupt alle lymphoiden Organe auffassen als Teile des Mesenchyms, welche die Fähigkeit lebhafter Zellteilung beibehalten haben und das ganze Leben hindurch Zellen vom Charakter jugendlicher Mesenchymzellen liefern, während die andern Teile des Mesenchyms sich zu Bindegewebe und den andern mesenchymatischen Geweben differenzieren. Zu den erwähnten lymphoiden Organen sind nicht allein alle Lymphfollikel und Lymphdrüsen zu rechnen, sondern auch die Milz, das Knochenmark, das lymphoide Gewebe der Urniere und Kopfniere (bei Fischen), die Thymusdrüse etc. In allen diesen Organen entstehen Lymphkörperchen.
Die roten Blutkörperchen (Erythrocyten), welche im Embryo sehr früh auftreten, entstehen in sogen. soliden Gefäßanlagen; es differenziert sich im Mesenchym ein dichter Zellstrang, welcher mit Blutgefäßen in Verbindung tritt und für das Serum durchlässig wird, worauf dann die im Innern liegenden Zellen als Blutkörperchen allmählich fortgeschwemmt werden und eine periphere Lage von Zellen die Gefäßwand bildet. Insofern also auch hier aus einer kompakten Masse von Mesenchym die Zellen abgelöst werden, stimmt der Bildungsmodus der beim Embryo auftretenden ersten Blutkörperchen prinzipiell mit der Bildung der Lymphkörperchen überein.
Beim ausgebildeten Tier ist die Entstehung der roten Blutkörperchen an gewisse lymphoide Organe gebunden und zwar an das lymphoide Gewebe der Urniere (bei Fischen), die Milz (bei Fischen, urodelen Amphibien, Vögeln und Säugetieren) und das Knochenmark (bei anuren Amphibien, Vögeln und Säugetieren). Während man bisher glaubte, daß die roten Blutkörperchen in diesen Organen durch Umbildung von weißen entstünden, ist jetzt erwiesen, daß sie auf eigenartige Weise sich bilden, nämlich dadurch, daß sie aus kleinen Gefäßen sich ablösen und zwar ganz übereinstimmend mit der Bildung im Embryo. Es handelt sich auch hier um solide Gefäßanlagen, aus welchen die innern Zellen allmählich als Blutkörperchen weggeschwemmt werden. Dieser Vorgang findet in den lymphoiden Organen statt, weil sich hier noch ein Gewebe von embryonalem Charakter, sozusagen ein Rest des embryonalen Mesenchyms findet.
[Phagocyten.]
Häckel hatte beobachtet, daß die farblosen Blutkörperchen (Leukocyten) bei Wirbellosen nach Art der Amöben Fremdkörperpartikelchen aufzunehmen vermögen, und andre Forscher hatten diese Beobachtung bestätigt. Metschnikow fand dann, daß bei der Umbildung der Larven von Holothurien, [* 14] Seesternen und Seeigeln ganze Körperteile rückgebildet werden, und daß die Trümmer dieses Vorganges, verschieden große Eiweißkügelchen, von den Leukocyten aufgenommen werden. Metschnikow nannte letztere deshalb Freßzellen, Phagocyten. Kowalevsky und van Rees bestätigten die Beobachtung an Insektenlarven. Letzterer betonte besonders die aggressive Rolle der Leukocyten beim Zerfall der ¶
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Muskelfragmente. Es zeigte sich ferner, daß die Phagocyten auch in den Organismus gelangende Fremdkörper, Pilzsporen u. dgl., aufnehmen, welche in denselben der Verdauung anheimfallen. Hieraus schien sich zu ergeben, daß den Leukocyten eine überaus wichtige prophylaktische Rolle im tierischen Organismus zukommt, insofern sie auch Krankheitserreger, Bakterien, aufnehmen und zerstören (vgl. Phagocytose, Bd. 17). Metschnikow beobachtete dies bei Milzbrandbacillen, dem Streptococcus des Erysipels und den Spirillen des Rückfalltyphus.
Durch die Arbeiten von Heß wurde die Phagocytenlehre bestätigt, allein Baumgarten widerlegte alsbald die Hauptargumente Metschnikows, Flügge zeigte, daß die Leukocyten keine lebensfähigen, sondern nur durch die Einwirkung der Körpersäfte getötete oder abgeschwächte Bakterien aufnehmen, und Buchner konstatierte die bakterienlösende Wirkung des Blutserums. Looß fand dann ferner, daß zur Verflüssigung der bei der Metamorphose von Wirbeltieren zerfallenden Gewebe die verdauende Thätigkeit der Phagocyten nicht nötig sei, und daß dieselben nur gelegentlich Gewebsfragmente aufnehmen.
Die Gewebe des Batrachierschwanzes zerfallen selbständig und werden ohne Beihilfe der Leukocyten durch die Leibesflüssigkeit allein verdaut; nur wenn letztere hierzu nicht völlig im stande ist, treten die Leukocyten als Reservemacht zeitweise aushelfend ein, und namentlich scheinen sie einen schnellen und zweckmäßigen Transport der Zerfallsprodukte zu vermitteln. Eine ganz eigenartige Rolle kommt den Phagocyten aber doch zu. Bei der Auflösung der Gewebe wird stets Pigment in feinen Körnchen gebildet, und diese letztern, die in der Leibesflüssigkeit unlöslich sind, werden mit Vorliebe von den Leukocyten aufgenommen.
Looß fand am Ende eines Rückbildungsprozesses kaum noch Leukocyten, welche keine Pigmentkörnchen enthielten, und diese nun zu Pigmentzellen gewordenen Leukocyten wandern stets gegen die Oberfläche, dringen hier in die Epidermis ein und geben, indem sie zerfallen, ihr Pigment an die Epithelzellen ab. Auf diese Weise werden die im Organismus als Fremdkörper wirkenden Pigmentkörnchen nach außen geschafft, um mit der Regeneration der Epithelzellen aus dem Zellverbande gelöst zu werden. So erscheinen die Leukocyten als ein noch auf embryonaler Stufe stehendes Exkretionsorgan, welches in der Leibesflüssigkeit nicht lösbare Zerfallsprodukte der Gewebe aufnimmt und nach außen schafft. Je nach dem Bedürfnis an irgend einer Stelle des Körpers sammeln sie sich daselbst an, um ihre Funktion zu erfüllen, und wirken in dieser Weise geradezu regulierend auf den Stoffwechsel.
Über Hämoglobingehalt des Blutes s. Chirurgenkongreß.