Bluntschli,
Johann Kaspar, berühmter schweizer. Rechtsgelehrter, Vertreter liberaler Prinzipien in Staat und Kirche, geb. zu Zürich, studierte auf dem sogen. Politischen Institut seiner Vaterstadt, dann in Berlin und Bonn Rechtswissenschaft, erhielt 1830 eine Anstellung im Bezirksgericht zu Zürich, ward daselbst 1833 außerordentlicher, 1836 ordentlicher Professor an der neugegründeten Universität. Als Ende 1830 die schweizerische Reformbewegung begann, schien sich Bluntschli der Bewegung anschließen zu wollen; doch wandte er sich bald, durch den Verlauf der Bewegung verstimmt und dem Gebaren des schweizerischen Radikalismus abhold, der konservativen Partei zu und veröffentlichte in diesem Sinn die Schrift »Das Volk und der Souverän« (Zürich 1831),
wie er auch in seiner »Staats- und Rechtsgeschichte der Stadt und Landschaft Zürich" (das. 1838-39, 2 Tle.; 2. Aufl. 1856) den Grundsätzen der historischen Schule Rechnung trug. Seit 1837 Mitglied des Großen Rats und Führer der städtischen (konservativen) Partei, beteiligte er sich an den September-Ereignissen 1839 in Zürich und ward infolge derselben Mitglied des Regierungsrats, in welcher Eigenschaft er den amtlichen Bericht »Die Kommunisten der Schweiz« (Zürich 1843) verfaßte.
Als mit dem Verschwinden des reaktionären Rausches auch die politische Bedeutung der Septemberpartei wieder sank, wirkte er für Bildung einer liberal-konservativen Mittelpartei in der Schweiz und schloß sich dem Sozialphilosophen Rohmer an. Als Frucht dieser neuen Richtung erschienen die »Psychologischen Studien über Staat und Kirche« (Zürich 1844). Er besorgte die ihm auch von den politischen Gegnern anvertraute Redaktion des Zivilgesetzbuchs. 1845 fand er sich bewogen, aus der Regierung auszuscheiden, blieb jedoch noch einige Zeit Präsident des Großen Rats.
Nach dem Unterliegen des Sonderbundes siedelte er 1848 als Professor des deutschen Privatrechts und allgemeinen Staatsrechts nach München über. Er veröffentlichte hier die anerkannt trefflichen Werke: »Allgemeines Staatsrecht« (Münch. 1852; 5. Aufl. u. d. T.: »Lehre vom modernen Staat«, Stuttg. 1875-76, 3 Tle.),
»Deutsches Privatrecht« (Münch. 1853-54, 2 Bde.; 3. Aufl. von Dahn, 1864),
»Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich" (Zürich 1854-56, 4 Bde. nebst Register) und begründete mit Arndts und Pözl die »Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft« (Münch. 1853-58, 6 Bde.). Während seines Aufenthalts in München trat er mit den Führern der nationalliberalen Partei in der Kammer, namentlich mit Brater und Buhl, in engere Verbindung. Aber verletzt durch den gegen alle nichtbayrischen Gelehrten eingenommenen Münchener Partikularismus, folgte er 1861 einem Ruf an die Universität Heidelberg. Er wurde Mitglied der badischen Ersten Kammer und 1863 zum Geheimrat ernannt.
An der Entwickelung und Förderung der liberalen Bestrebungen, welche seit dem Umschwung in der Konkordatspolitik in Baden zur Geltung kamen, nahm Bluntschli hervorragenden Anteil. Er wirkte mit zur Gründung des deutschen Abgeordnetentags (1862). Seinem Antrag war es zu verdanken, daß die badische Erste Kammer 1865 das seltene und bedeutungsvolle Beispiel gab, aus freier Erschließung sich selbst einer liberalen Reform zu unterwerfen. Neben der politischen lag auch die kirchlich-religiöse Freiheit am Herzen, und er war eins der thätigsten Mitglieder in dem Ausschuß des Deutschen Protestantenvereins.
Auf den deutschen Protestantentagen in Eisenach (1865), Neustadt a. Haardt (1867), Bremen (1868) und Berlin (1871) fungierte er als Präsident. Als sich die Dinge 1866 zum Krieg anließen, blieb er trotz der heftigen Gärung im badischen Volk wider Preußen seinen nationalen Überzeugungen getreu und brachte 14. Mai die bekannte und damals vielgeschmähte Interpellation ein, welche möglichste Sicherung der Neutralität für Baden begehrte, gegen Kriegsrüstungen von offensivem Charakter oder Abstimmungen am Bund, welche zum Krieg führen könnten, sich erklärte und so weit auf die Intentionen Preußens einzugehen riet, daß Baden dem Vorschlag eines deutschen Parlaments nachdrückliche Unterstützung leihe. 1867 ward er in das deutsche Zollparlament gewählt. Er starb in Karlsruhe.
Trotz seiner vielseitigen politischen Wirksamkeit ist Bluntschli bis zuletzt schriftstellerisch thätig gewesen. Er veröffentlichte noch: »Die neuern Rechtsschulen der deutschen Juristen« (Zürich 1841, 2. Aufl. 1862);
»Geschichte der Republik Zürich" (das. 1847-1856, 3 Bde.);
»Geschichte des schweizerischen Bundesrechts« (das. 1849-52, 2 Bde.; 2. Aufl., Stuttg. 1875);
»Deutsches Staatswörterbuch« (mit Brater, das. 1857-70, 11 Bde.);
»Geschichte des allgemeinen Staatsrechts und der Politik« (Münch. 1864, 3. Aufl. 1877),
welche die von der Historischen Kommission bei der bayrischen Akademie unternommene Geschichte der Wissenschaften eröffnete;
»Das moderne Kriegsrecht der zivilisierten Staaten« (Nördling. 1866, 2. Aufl. 1874);
»Das moderne Völkerrecht als Rechtsbuch« (das. 1868, 3. Aufl. 1878; von Lardy ins Französische übersetzt, Par. 1869, 2. Aufl. 1874);
»Deutsche Staatslehre für Gebildete« (Nördling. 1874, 2. Aufl. 1880);
»Das Beuterecht im Krieg« (das. 1878);
»Gesammelte kleine Schriften« (das. 1879-81, 2 Bde.).
Nach seinem Tod erschien seine Selbstbiographie: »Denkwürdiges aus meinem Leben« (Nördling. 1884, 3 Bde.).