Blumen
macherei,
die Verfertigung künstlicher
Blumen zum
Schmuck für das
Haar,
[* 2] für
Hüte,
Hauben, auch zur
Füllung von
Vasen
[* 3] etc., wird gegenwärtig fabrikmäßig betrieben und zwar unter
sehr weit getriebener
Teilung der Arbeit. Als
Material dienen hauptsächlich
Gewebe,
[* 4] wie
Batist,
Musselin,
Gaze,
Atlas,
[* 5]
Taft,
Samt
etc., dann auch
Papier (namentlich
Pergamentpapier), Seidenkokons, Kollodiumhäutchen,
Federn,
Draht,
[* 6]
Glas,
[* 7]
Perlen und allerlei
Hilfssubstanzen, worunter z. B. Glimmerpulver zur Hervorbringung des Blumen
taues.
Die wichtigsten
Werkzeuge
[* 8] sind
Ausschlageisen (Blumen
eisen),
Matrizen,
Pressen und
Modelle, deren außerordentlicher
Zartheit und Korrektheit, welche die feinsten Blattnerven,
Spitzen und Ränder botanisch treu nachzuahmen gestatten, die Blumenmacherei
ihre
gegenwärtige
Höhe verdankt. Sie wird fast ausschließlich von
Frauen und Mädchen ausgeübt, die einander beständig in die
Hände arbeiten. Man erreicht prachtvolle
Effekte durch eigentümliche
Appretur, mittels deren man
Gewebe
für
Blumenblätter glatt wie
Wachs, scheinbar texturlos, samtartig im
Gefühl und etwas durchscheinend herstellt, wenn zugleich
die zum Teil in Blumenmalerschulen ausgebildeten Mädchen die subtilsten
Nüancen und
Zeichnungen mit künstlerischem
Sinn und
ausgebildetem Verständnis der
Natur zu treffen und anzuordnen wissen.
Große Fabriken liefern nur Blätter oder nur Kelche, Knospen, [* 9] Gräser, [* 10] Körner etc., andre nur bestimmte Blumen, nur eine oder einige Sorten Rosen, manche die feinste, kostbarste, andre gröbere Ware für Rosenfeste etc. In der neuesten Zeit ahmt man ganze Blattpflanzen, [* 11] wie Palmen, [* 12] Dracänen, Aroideen, auch aus Blech nach und schmückt mit solchen die Natur täuschend kopierenden Gebilden Räume, in welchen lebende Pflanzen nicht gedeihen. Wachsblumen verfertigt man aus Wachs, welches man im Tiegel flüssig werden läßt und, mit etwas gereinigtem Terpentinöl vermischt und beliebig gefärbt, auf ein Tellerchen gießt.
Mittels Streifen gut geleimten Papiers, die man erst ins Wasser taucht, dann über das flüssige Wachs hinführt und wieder in lauwarmes Wasser taucht, bildet man Wachsstreifen, aus denen sich die Blätter leicht ausschneiden oder mittels Blechformen ausstechen lassen. Die nötige Wölbung gibt man ihnen mittels verschiedener Kugelhölzer, die aber ebenso wie die Blechformen vor dem Gebrauch in laues Wasser getaucht werden müssen. Die Stengel [* 13] und Stiele werden von Draht gemacht und mit Wachs überzogen.
Die Staubfäden bildet man aus ganz fein geschnittenem Wachs, das man in Gummiwasser und dann in gefärbten Grieß eintaucht. Die Adern auf den Blumen- und Stengelblättern werden mit dem Pinsel aufgetragen. Solche Wachsblumen bildeten vor etwa 40 Jahren einen sehr beliebten Modeartikel und waren sehr verbreitet, wurden aber durch die Porzellanblumen verdrängt, welche man in wunderbarer Vollkommenheit aus dem scheinbar ungeeignetsten Material herstellt. Auch Leder, schwarze Glasflüsse (zu sogen. Trauerblumen), Muscheln, [* 14] die Häutchen, welche nach dem Abhaspeln der Seidenkokons übrigbleiben, etc. hat man vorübergehend als Material zu Blumen benutzt. In neuester Zeit ist ¶
mehr
auch die Fabrikation künstlicher
Blumen aus Glas wieder aufgetaucht, wobei die Blumenteile vor der Glasbläserlampe aus Glasröhren
erzeugt und durch Aneinanderschmelzen verbunden werden.
Künstliche Blumen wurden schon im Altertum dargestellt. Nach Plinius wurde der Gebrauch von Kränzen aus künstlichen
Blumen um 350 v. Chr.
aus Ägypten
[* 16] nach Griechenland
[* 17] eingeführt, und unter den römischen Kaisern trugen die Frauen parfümierte
Blumen aus Papyrusrinde und verschiedenfarbiger Seide.
[* 18] In China
[* 19] benutzte man im 3. Jahrh. allerlei Pflanzenteile, Vogelfedern
und gefärbte Seide, in Spanien
[* 20] und Italien
[* 21] gleichfalls sehr früh Kokons, Batist, Gaze und Seide.
Die Italiener verpflanzten diese Industrie gegen Ende des 15. Jahrh. nach Frankreich, wo sie zuerst in Lyon
[* 22] Fuß faßte, dann aber in Paris
[* 23] zur Blüte
[* 24] gelangte. Wie in Italien und Spanien, wurden die künstlichen
Blumen größtenteils
in Klöstern gemacht und waren bestimmt, die Altäre zu schmücken. In der Darstellung feinerer Blumen für Damenputz blieb man
lange von Italien abhängig, und erst durch Séguin, welcher sich 1738 in Paris niederließ, erhielt die
Blumenmacherei
hier einen solchen Aufschwung, daß sie bald den Markt und die Mode vollständig beherrschte.
Séguin kopierte die Natur, stellte mit der Schere
[* 25] alle Teile der Blumen her und färbte sie dann; 1770 erfand ein Schweizer
eine Maschine,
[* 26] mit welcher man 6-8 Blätter auf einmal schneiden konnte, und bald darauf wandte man die
Matrizen an. Unter dem Kaiserreich und der Restauration machte die Fabrikation der künstlichen
Blumen große Fortschritte,
aber die Ware blieb teuer, weil jeder Fabrikant alles, dessen er bedurfte, selbst anfertigen mußte. Heute herrscht aber die
Arbeitsteilung, und dieser verdankt die Blumenmacherei
die Vollendung und Ausdehnung,
[* 27] welcher sie sich jetzt erfreut.
In Paris beschäftigte dieselbe vor dem Krieg 1870: 15,000 Personen, fast ausschließlich Frauen und Mädchen, und der Wert der
jährlich erzeugten Ware wurde auf mehr als 25 Mill. Frank geschätzt.
Mit Frankreich konkurriert fast nur noch Deutschland,
[* 28] und hier hat die Blumenmacherei
besonders in Berlin,
[* 29] wo sie vor
etwa 100 Jahren durch die noch bestehende Firma Bolsius' Erben eingeführt wurde, und in München
[* 30] eine hohe Vollendung erreicht.
Die deutsche Blumenmacherei
fand wesentliche Förderung durch den Krieg 1870, welcher Paris abschloß und die Konsumenten fast ausschließlich
aus deutsches Fabrikat verwies, welches heute dem französischen vollständig ebenbürtig ist. England
liefert sehr viele, aber wenig geschmackvolle künstliche Blumen, Brasilien
[* 31] sehr schöne aus Federn.
Vgl. Lénard, Die Verfertigung
künstlicher
Blumen (Weim. 1881).