Blei
anämie,
s. Bleivergiftung.
Bleianämie
3 Wörter, 32 Zeichen
Bleianämie,
s. Bleivergiftung.
Bleivergiftung
(Blei
krankheit, Saturnismus) entsteht durch die Aufnahme von Blei
[* 3] in gasförmigem,
staubförmigem oder aufgelöstem Zustand in den Körper. Man unterscheidet die akute Blei
vergiftung, bei welcher große Mengen löslicher
Bleisalze, namentlich Bleizucker oder Bleiessig, in den Magen
[* 4] gelangen und von da aus in die Körpersäfte übergehen. Die Erscheinungen
der akuten Blei
vergiftung bestehen in heftigem Magenkatarrh, Übelkeit, Erbrechen, großer Schmerzhaftigkeit des Leibes,
später Lähmungen und bei üblem Ausgang Tod in wenigen Stunden.
Diese Blei
vergiftung ist sehr selten, da sowohl bei selbstmörderischer als bei anderweit verbrecherischer Absicht
die schärfer wirkenden Gifte bevorzugt werden und daher nur aus Verwechselung einmal heftige Grade der Blei
vergiftung eintreten können.
Sehr gewöhnlich dagegen ist die chronische Blei
vergiftung, die eigentliche Bleikrankheit der
Gewerbtreibenden. Vor allem werden von der Bleivergiftung ergriffen die Arbeiter, welche mit der Fabrikation der Bleipräparate, namentlich
des Bleiweißes, beschäftigt sind; dann solche, welche mit Bleifarben umzugehen haben, wie Farbenreiber, Anstreicher etc.,
weiterhin solche, welche mit schmelzendem Blei arbeiten, wie Schriftgießer, Blei- und Silberhüttenleute
etc. Auch die mit festem metallischen Blei umgehenden Arbeiter, wie Schriftsetzer, Schriftschneider, erkranken nicht selten
an Bleivergiftung. Ferner ist die Bleivergiftung beobachtet worden bei Menschen, welche das durch bleihaltige Röhren
[* 5] fließende Wasser oder mit Bleizucker
verfälschte Weine getrunken hatten.
Unter solchen Umständen kann die Bleivergiftung sogar endemisch auftreten. Auch durch den Genuß bleihaltigen Mehls (wenn die Vertiefungen der Mühlsteine [* 6] mit Blei ausgefüllt werden), durch das Schnupfen des in bleihaltiger Zinnfolie verpackten Schnupftabaks ist die Bleivergiftung erzeugt worden. Das Blei wird also meistens in Dampf- und Staubform eingeatmet und gelangt so in die Luftwege, oder es wird mit dem Speichel, beziehentlich mit der Nahrung und den Getränken hinabgeschluckt und gelangt in den Magen.
Individuen jeden Alters sind für die Bleivergiftung fast gleich empfänglich. Wer die Krankheit einmal überstanden hat, bekommt sie sehr leicht wieder, sobald er sich mit Blei etc. zu schaffen macht. Die Bleivergiftung äußert sich zunächst dadurch, daß das Zahnfleisch schieferfarbig wird und einen bläulichen Saum um die bräunlich oder schwärzlich gefärbten Zähne [* 7] bildet. Diese blaue Farbe verbreitet sich später diffus oder fleckig über die Mundschleimhaut. Der Mund wird trocken, der Appetit vermindert, der Durst gesteigert. Der Kranke hat einen süßlich schrumpfenden Geschmack im Mund, sein Atem ist eigentümlich übelriechend. Es treten allerhand Verdauungsstörungen ein: Gefühl von Vollsein im ¶
Magen, Übelkeit, Aufstoßen etc. Die äußere Haut [* 9] wird blaß und fahl, die Bindehaut des Auges erscheint schmutzig gefärbt, das Gesicht [* 10] ist mager und eingefallen. Der Puls ist klein, härtlich und selten, der Stuhlgang verzögert, trocken und hart, der Harn wird in geringer Menge abgeschieden. Zu diesen mehr allgemeinen Symptomen gesellen sich die charakteristischen Störungen des Nervensystems bei Bleikranken. Von ihnen tritt die sogen. Bleikolik (Malerkolik) am häufigsten und frühsten ein.
Sie äußert sich durch Schmerzen im Unterleib, welche anfangs leise und herumschweifend, später heftig und aus gewisse Stellen beschränkt sind, dann anfallsweise auftreten oder zeitweilig, namentlich des Nachts, besonders heftig sind. Die Schmerzen sind außerordentlich quälend, durch Druck auf den Leib werden sie ein wenig gemildert. Der Leib ist dabei manchmal stark eingezogen, in andern Fällen dagegen aufgebläht durch Darmgase. Gleichzeitig besteht hartnäckige, mehrere Tage hindurch anhaltende und den gewöhnlichen eröffnenden Mitteln widerstehende Stuhlverstopfung.
Die mühsam entleerten Kotstückchen sind kugelig, hart, gelblich oder schwarzgrau gefärbt. Sehr selten kommen Durchfälle, schleimige oder blutige Stühle vor. Bisweilen sind Harnbeschwerden, Harnverhaltung, Blasenkrampf zugegen. Öfters sind auch die Atmungsbewegungen krampfhaft gehindert (Asthma saturninum); manchmal sind Ohnmachten, Schlaflosigkeit, große Unruhe vorhanden. Mit diesen stürmischen Zufällen kontrastiert der seltene Puls, welcher nur 40-60 Schläge in der Minute macht.
Fieber ist nicht vorhanden. Die Zunge ist feucht und blaß, der Durst gering. Die Bleikolik geht bei zweckmäßigem Verhalten und bei entsprechender arzneiliche Behandlung ziemlich schnell unter Abgang reichlicher Kotmassen und Feuchtwerden der Haut vorüber. Allein die Krankheit kehrt auch leicht zurück, wenn das vergiftende Blei nicht streng gemieden wird, und dann wird die Krankheit mit jedem neuen Anfall immer schwerer heilbar. Es treten dann noch andre Symptome, namentlich Gliederschmerzen (Rheumatismus saturninus), hinzu. Es sind dies lebhafte neuralgische Schmerzen in verschiedenen Gliedern, besonders in den Waden, seltener im Rumpf, in den Lenden etc., welche periodisch, namentlich in der Nachtzeit, auftreten; sie vermindern sich durch äußern Druck und Reibung, [* 11] nehmen dagegen bisweilen durch Bewegung zu. Die sogen. Bleilähmungen betreffen bald die Bewegungs-, bald die Empfindungsnerven und treten in den verschiedensten Nervengebieten auf.
Die eigentliche Bleilähmung befällt gewöhnlich einzelne Muskeln, [* 12] besonders die Streckmuskeln der Arme, seltener der Beine, und ist mit der Zusammenziehung der Glieder [* 13] oder einzelner Finger nach der Seite der Beugemuskeln verbunden, so daß die Finger gekrümmt, die Hände winkelförmig gegen die Innenfläche des Unterarms gebogen sind. Der Kranke kann das gebogene Glied [* 14] nicht willkürlich strecken, aber passiv läßt es sich meist ziemlich ausgiebig bewegen.
Diese Lähmung tritt nach und nach ein unter Schweregefühl, Müdigkeit, Unbehilflichkeit und leichtem Zittern des kranken Gliedes, oder sie bleibt nach einem Anfall von Bleikolik zurück. Sie führt schließlich zu völligem Schwunde der gelähmten Muskeln. Seltener kommen Lähmungen der Stimmwerkzeuge, der Brustmuskeln und andrer Teile sowie ein eigentümliches Zittern über den ganzen Körper vor (Tremor saturninus). Zu den schwereren Fällen von Bleivergiftung treten späterhin manchmal noch eigentümliche Gehirnaffektionen hinzu, welche teils durch fallsuchtähnliche Krämpfe, teils durch Sinnesstörungen aller Art, teils durch Betäubungszustände und verschiedenartige Seelenstörungen sich zu erkennen geben. Gewöhnlich werden diese Gehirnleiden durch anhaltenden Schwindel, Kopfweh, Trübsinn und Verstandesschwäche angekündigt; erst nach langem Bestand dieser Gehirnstörungen tritt der Tod ein. - Nach längerer Dauer der Bleivergiftung zeigt sich die sogen. Bleikachexie, welche durch zunehmende Abmagerung des Körpers und Wassersucht den Tod herbeiführt. - Bei der Behandlung der Bleivergiftung ist es die nächste Aufgabe, in akuten Fällen das Gift durch Brechmittel oder Magenpumpe zu entfernen, in chronischen dagegen, den Kranken der fernern Einwirkung des Bleies zu entziehen; derselbe muß sein Gewerbe aufgeben oder bei dem Betrieb desselben wenigstens die äußerste Sorgfalt und Reinlichkeit beobachten.
Ferner ist für eine zweckmäßige Diät zu sorgen; der Kranke soll besonders schleimige und fettige, einhüllende Speisen und Getränke (Milch) genießen. Der Kranke (wie der Bleiarbeiter überhaupt) wasche und bade sich fleißig, wechsele oft die Wäsche, befleißige sich überhaupt der größten Reinlichkeit, er sorge für warme Kleidung oder hüte je nach den Umständen das Bett [* 15] und halte sich in einer warmen und trocknen Wohnung auf. Zur Linderung der Schmerzen und Krämpfe bei der Bleikolik sind die Opiate in jeder Form und nötigen Falls in dreister Dosis anzuwenden.
Gegen die Bleivergiftung selbst dienen teils einhüllende Mittel innerlich gegeben, wie warme Öle [* 16] und Ölemulsionen (namentlich Rizinusöl), teils Abführmittel von Kalomel, Jalappe, Sennesblättern etc., teils die Gegengifte des Bleies, namentlich die verschiedenen Schwefelmittel. Von äußern Mitteln dienen besonders bei der Bleikolik ölige und reizende Klystiere sowie warme Umschläge aus den Leib. Besonders aber sind warme Vollbäder, zumal die sogen. Schwefelbäder, bei allen Formen der Bleikrankheit, vorzüglich aber bei veralteten Fällen, vom größten Nutzen. Gegen die Bleilähmungen ist die Anwendung des elektrischen Stroms von anerkannter Wirkung.
Vgl. Hirt, Die Krankheiten der Arbeiter (Bresl. 1871-78);
andre Litteratur unter »Gift«.