Blatt
[* 2] nennt man im gewöhnlichen Leben jedes flächenförmige grün gefärbte Pflanzenorgan. In der wissenschaftlichen
Botanik genügt jedoch eine derartige oberflächliche
Definition nicht; denn weder die Flächenförmige Ausbildung, noch auch
die grüne
Farbe können entscheidende
Merkmale für die Zurechnung eines Organs zu dem
Begriffe Blatt
sein. Da zwischen und
Stamm
sowohl anatomisch wie physiologisch alle nur denkbaren Übergänge vorkommen, so muß man die charakteristischen
Merkmale,
die es ermöglichen sollen, beide
Begriffe auseinander zu halten, auf einem andern Gebiete suchen.
Die rein wissenschaftliche
Definition des
Begriffes Blatt
bietet deshalb manche Schwierigkeiten dar. Es ist nur möglich, eine
befriedigende
Definition zu geben, wenn man gänzlich von anatom. und physiol.
Eigenschaften der betreffenden Organe absieht und nur Rücksicht auf die Stellungsverhältnisse nimmt. Es sind dann nur solche
Organe als Blatt
zu bezeichnen, die stets seitlich an den zugehörigen
Achsen stehen und nicht im stande
sind, wiederum Auszweigungen, außer Haargebilden (s.
Haare),
[* 3] zu erzeugen.
Zu den in diesem
Sinne gehören nun viele Organe, die man im gewöhnlichen Leben nicht als Blatt
bezeichnet, so u. a.
die
Staubgefäße,
[* 4] die
Stempel. Blatt
besitzen die
Moose,
[* 5]
Gefäßkryptogamen und sämtliche
Phanerogamen. Auch
unter den höhern
Algen,
[* 6] z. B. unter den Rhodophyceen und Charaeeen finden sich in einzelnen Gattungen
Gebilde, die man nach der obigen
Definition als Blatt
betrachten muß.
Je nach der
Stellung der Blatt
unterscheidet man zunächst
Niederblätter, Laubblätter und Hochblätter. Unter
Nieder blättern
versteht man solche, die an unterirdischen, wurzelähnlichen
Achsen oder auch am
Grunde eines neuen Zweiges
auftreten und gewöhnlich mehr schuppenförmig ausgebildet sind; als Laubblätter bezeichnet man diejenigen Blatt
organe,
die an oberirdischen
Achsen stehen und eine vorzugsweise flächenförmige Gestalt besitzen, mit Ausnahme jener, die an der
Zusammensetzung der
Blüten und Blütenstände teilnehmen; die letztern faßt man unter dem
Namen Hochblätter
zusammen.
Demgemäß spricht man bei einer blättertragenden
Pflanze auch oft von einer Niederblatt-
, Laubblatt- und Hochblattregion.
(Das Nähere über Hochblätter s.
Blüte
[* 7] und
Blütenstand.)
[* 8] Für die
Ernährung und somit für das ganze Leben der
Pflanze haben
die Laubblätter die größte Wichtigkeit, zu ihnen sind auch fast alle diejenigen
Bildungen zu rechnen,
die man im gewöhnlichen Leben als Blatt
bezeichnet. Die Laubblätter sind in den meisten Fällen grün gefärbt,
sie führen also
Chlorophyll (s. d.) und sind infolgedessen befähigt, zu assimilieren, d. h.
aus
Kohlensäure und Wasser die für die
Pflanze notwendigen Kohlenstoffvorbindungen zu bilden. (S.
Assimilation,
physiologisch.)
Die Blatt
werden stets an den jüngsten Partien der
Stammachsen, an den sog. Vegetationskegeln, angelegt, und zwar stets so,
daß die jüngsten Blatt
anlagen dem Scheitel des Vegetationskegels am nächsten liegen. Man bezeichnet diese Reihenfolge
der Entstehung seitlicher Organe als akropetale; es ist gerade für die Blattorgane charakteristisch, daß sie
stets streng akropetal an den
Stammachsen hervortreten. Das weitere Wachstum der Blatt findet in der
Weise statt, daß durch lebhafte
Zellteilungen allmählich die künftige Form des Blatt erzeugt wird, worauf dann, wenigstens bei den
Phanerogamen, das Wachstum
zunächst an der
Spitze erlischt, während die der Anheftungsstelle zugekehrten
Teile noch lange Zeit wachstumsfähig
bleiben.
Anders ist es bei den höhern
Kryptogamen; hier erlischt das Wachstum zuerst an der
Basis und dauert an der
Spitze so
lange noch fort, bis das Blatt vollständig ausgebildet ist.
Die Stellung der an den Stammachsen ist eine sehr mannigfaltige, aber in den meisten Fällen eine regelmäßige. Man unterscheidet dabei verschiedene Typen;
wenn zwei Blatt auf derselben Höhe des Stengels gegenüberstehen, so heißen sie gegenständig (folia opposita);
wenn zwei solcher gegenständiger Blattpaare, die direkt aufeinander folgen, sich kreuzen, so bezeichnet man diese Mattstellung als dekussiert (folia decussata);
wenn mehrere Blatt auf derselben Höhe des Stengels stehen, so spricht man von einer Quirl- oder Wirtelstellung (folia verticillata).
Zwei aufeinander folgende Blatt, welche einander gegenüberstehen, aber nicht in derselben Höhe des Stengels angefügt sind, heißen wechselständig (folia alterna); ist keine dieser eben aufgezählten Beziehungen zwischen den einzelnen Blatt vorhanden, so spricht man von zerstreuter (folia sparsa) oder auch spiraliger Anordnung, mit der letztern hat sich hauptsächlich die Lehre [* 9] von Blattstellung [* 10] oder die Phyllotaxie beschäftigt. (Näheres s. Blattstellung.)
An jedem Blatt unterscheidet man einen flächenförmig ausgebreiteten Teil als Blattspreite und einen stielartig zusammengezogenen Teil, mit dem das an der Stammachse festsitzt, als Blattstiel. Fehlt der Blattstiel gänzlich, so wird das Blatt sitzend (sessile), ist er dagegen vorhanden, gestielt (petiolatum) genannt. Fehlt die Blattspreite, so ist der Blattstiel gewöhnlich flächenartig ausgebreitet, wie z. B. bei manchen Akazien-Arten. Solche blattspreitenartig ausgebildete Blattstiele bezeichnet man als Phyllodien.
Ist das ein sitzendes, so kann es entweder einfach angewachsen sein, oder mit den Lappen des eingeschnittenen Blattrandes den Stengel [* 11] umschließen und wird dann umfassend (amplexicaule) genannt, oder den Stengel völlig umgeben, und heißt dann durchwachsen (perfoliatum), oder endlich flügelartig eine Strecke am Stengel herablaufen, in welchem Falle es als herablaufend (decurrens) bezeichnet wird. Die Form der und die Art und Weise, wie sie am Stengel ansitzen, sind für die systematische Unterscheidung der einzelnen Pflanzenarten von großer Wichtigkeit und es hat sich infolgedessen in der Botanik betreffs der Blattformen eine sehr umfangreiche Terminologie eingebürgert, von deren zahlreichen Benennungen hier nur die wichtigsten Platz finden können. Die Blattspreite wird einfach (simples) genannt, wenn alle Teile derselben zusammenhängen und etwaige Einschnitte nicht ganz bis zum Mittelnerven oder an den Blattgrund gehen; es heißt dagegen zusammengesetzt (Kompositum), wenn die gesamte Blattspreite in einzelne Teile zerfällt, die nur durch stielartige Partien zusammengehalten werden; die einzelnen Teile nennt man in diesem Falle Blättchen (foliola).
Die einfachen Blatt werden nun wiederum nach der Ausbildung des Blattrandes in zahlreiche Formen
eingeteilt. Sie sind entweder ganzrandig
(integerrimum, s.
Tafel: Blatt, Fig. 1), gesägt (serratum),
[* 1]
Fig. 2), gezähnt
(dentatum,
[* 1]
Fig. 3),
¶
mehr
gekerbt (crenatum, [* 12] Fig. 4), ausgeschweift (repandum, [* 12] Fig. 5), buchtig (sinuatum, [* 12] Fig. 6), ausgefressen (erosum, [* 12] Fig. 7), oder es können Kombinationen zwischen zweien dieser Formen auftreten, wie z. B. gesägt-gezähnt (dentato-serratum), wo jeder Zacken des Blatt wiederum auf irgend eine Weise seicht eingeschnitten ist, oder es kann ferner auch jeder einzelne Zacken wiederum auf dieselbe Weise wie der ganze Blattrand eingeschnitten sein, man spricht dann z. B. von doppelt gezähnt (duplicato-dentatum), doppelt gesägt (duplicato-serratum, [* 12] Fig. 8) u. s. w. Abgesehen von dieser äußerst mannigfaltigen Ausbildung des Blattrandes werden die einfachen Blatt noch nach den äußern Umrissen ihrer Blattspreite charakterisiert; man unterscheidet lineale (lineare, [* 12] Fig. 9), lanzettliche (lanceolatum, [* 12] Fig. 10), spatelförmige (spathulatum, [* 12] Fig. 11), herzförmige (cordatum, [* 12] Fig. 12), nierenförmige (reniforme, [* 12] Fig. 13), eiförmige (ovatum, [* 12] Fig. 14), umgekehrt eiförmige (obovatum, [* 12] Fig. 15), pfeilförmige (sagittatum, [* 12] Fig. 16), spießförmige (hastatum, [* 12] Fig. 17), schildförmige (peltatum, [* 12] Fig. 18), schrotsägeförmige (runcinatum, [* 12] Fig. 19). Wenn die Einschnitte nicht sehr weit in die Blattspreite hineingehen, so werden die Blatt gelappt (lobatum) genannt, und zwar dreilappig [* 12] (Fig. 20), vierlappig, fünflappig u. s. w. Gehen die Einschnitte dagegen tiefer in das Blatt hinein, fast bis an den Mittelnerven oder an den Blattgrund, so heißt es geteilt (partitum), und man unterscheidet dann fiederförmige (pinnati-partium, [* 12] Fig. 21a.), handförmige (palmati-partitum, [* 12] Fig. 21b), fußförmige (pedati-partitum, [* 12] Fig. 21c), leierförmige (lyrati-partitum, [* 12] Fig. 21d) Teilung.
Bei den zusammengesetzten Blatt herrscht ebenfalls eine große Mannigfaltigkeit in den Formen; gehen die Blättchen strahlig von einem Punkte aus, so nennt man die Blatt je nach der Anzahl und der Anordnung der Blättchen zweizählig (binatum), dreizählig (ternatum, [* 12] Fig. 24), vierzählig (quaternatum), gefingert (digitatum), handförmig (palmatum, [* 12] Fig. 25) oder fußförmig (pedatum, [* 12] Fig. 26) geteilt. Stehen dagegen die Blättchen nicht strahlig, sondern der Länge nach an einer Spindel, und zwar beiderseits, entweder gegenständig oder wechselständig, so nennt man das Blatt gefiedert (pinnatum) und unterscheidet wieder, je nachdem am Ende der Spindel ein Blättchen vorhanden ist oder nicht, unpaarig gefiederte (impari-pinnatum, [* 12] Fig. 23) und paarig gefiederte (pari-pinnatum, [* 12] Fig. 22) Blatt; oft ist das endständige Blättchen zu einer Ranke ausgebildet und man spricht dann von einem rankig gefiederten (cirrhose-pinnatum, [* 12] Fig. 22) Blatt.
Zwischen den verschiedenen Arten der einfach zusammengesetzten Blatt kommen nun die mannigfaltigsten Kombinationen vor; denn wenn mehrere einfach zusammengesetzte an einem Blattstiele stehen, so sind sie als einziges und zwar als ein doppelt zusammengesetztes Blatt anzusehen; in demselben Sinne kann man ferner von einer dreifachen u. s. w. Zusammensetzung sprechen. [* 12] Fig. 27-29 stellen einige Formen doppelt zusammengesetzter Blatt dar. Es ist aus diesen wenigen Angaben schon ersichtlich, welche außerordentliche Mannigfaltigkeit in der Ausbildung der Blatt herrschen kann und in der Natur auch wirklich vorhanden ist.
Außerdem giebt es nun noch eine ganze Reihe Blattformen von ganz eigenartiger Ausbildung, zunächst die stielrunden, pfriemförmigen u. a., an denen eine Grenze zwischen Blattspreite und Blattstiel nicht zu ziehen ist, sodann Blatt mit gitterartiger Durchlöcherung, wie z. B. bei Philodendron [* 13] pertusum Kth., Ouvirandra [* 14] fenestralis Pers. Ferner die Blatt mancher sog. fleischfressender Pflanzen, die kannenförmig ausgebildet sind, so diejenigen der Gattungen Sarracenia, Darlingtonia, Nepenthes, die schlauchförmigen untergetauchten Blatt von Utricularia (s. Insektenfressende Pflanzen und die zugehörige Tafel).
An der Stelle, wo die am Stengel ansitzen, kommen oft noch Gebilde vor, die ebenfalls für die systematische Unterscheidung der Arten von großer Wichtigkeit sind. Es sind dies sog. Scheiden (vagina) oder auch Tuten (ochrea) und die Nebenblätter (stipulae). In den meisten Fällen geht der Blattstiel von dem Punkte seiner Anfügung aus frei von dem Stamme ab, oft aber schließt er auch erst den Stengel auf längere oder kürzere Strecken vollständig cylindrisch ein und bildet erst dann die eigentliche Blattspreite. So ist es bei sehr vielen Monokotylen, z. B. bei den Gräsern, wo in jugendlichen Zuständen der Stengel vollkommen von jenen cylindrisch ausgebildeten Blattstielen, die man als Scheiden [* 12] (Fig. 32) bezeichnet, eingehüllt ist. Bei einigen Pflanzen, z. B. bei den Arten der Gattung Polygonum, erhebt sich ein ähnliches Gebilde über der Insertionsstelle des Blatt, ebenfalls auf eine kürzere Strecke den Stengel umschließend (Fig. 33); ein solches scheidenartiges Gebilde nennt man Blatt-Tute.
Unter Nebenblättern versteht man kleine blattartige Anhängsel, die an der Insertionsstelle der am Stengel bei manchen Pflanzen auftreten, sie stehen gewöhnlich paarig zu der Mittellinie des betreffenden und sind von sehr verschiedenartiger Form. In [* 12] Fig. 30 u. 31 sind zwei Arten von Nebenblättern dargestellt.
Hinsichtlich ihrer Lebensdauer sind die Blatt entweder einjährig, wenn sie nach der alljährlichen Wachstumsperiode abfallen, wie dies bei den meisten in den kältern Teilen der Erde einheimischen Pflanzen geschieht, oder sie sind ausdauernd und immergrün, wie z. B. diejenigen des Epheu, der meisten Nadelhölzer [* 15] und sehr vieler, den wärmern Gegenden angehörigen Pflanzen.
Der anatomische Bau der Blatt ist je nach den Pflanzenfamilien ein sehr verschiedener. Bei den Moosen, wo die Differenzierung von und Stamm überhaupt erst beginnt, ist die Ausbildung der Blatt eine sehr einfache, sie bestehen meist aus einer einzigen Zellschicht, deren Zellen Chlorophyll enthalten, ähnlich ist es auch noch bei einigen Gefäßkryptoqamen, z. B. bei vielen Hymenophyllaceen (s. d.); bei den höhern Gefäßkryptogamen dagegen bestehen die Blatt stets aus mehrern Zellschichten, sie besitzen auf beiden Seiten eine wohl ausgeprägte Epidermis [* 16] (s. d.) und in der Mitte mehrere Schichten grüner, also assimilationsfähiger Zellen.
Ebenso sind die Blatt der Phanerogamen aus mehrern Zellschichten zusammengesetzt, von denen die am weitesten nach außen liegenden als Epidermis ausgebildet sind und in den allermeisten Fällen kein Chlorophyll enthalten. Im Innern der Blatt liegen die assimilierenden Zellen, die gewöhnlich nach ihrer Gestalt in zwei Gruppen zerfallen, die einen bilden das sog. Palissadenparenchym, die andern das Schwammparenchym. Kann man an einem Blatt Ober- und Unterseite unterscheiden, d. h. ist die eine dem Licht [* 17] zugekehrte Seite anders ¶
mehr
ausgebildet als die andere dem Lichte abgewendete, so liegt stets das Palissadenparenchym direkt unter der Epidermis der Oberseite. In [* 18] Fig. 34 ist als Beispiel des anatom. Baues das Blatt der Buche im Querschnitt dargestellt; die Schicht p ist das Palissadenparenchym, s das Schwammparenchym, o und u die obere und untere Epidermis, a eine in der letztern befindliche Spaltöffnung. (S. Spaltöffnungen.)
Außer diesen beiden grünen Geweben durchziehen nun die Blattfläche noch sog. Gefäß- oder Leitbündel. Das ganze System dieser Bündel bezeichnet man als die Nervatur des V., ihre verschiedenartige Ausbildung bei den einzelnen Pflanzenfamilien ist oft von großer Wichtigkeit bei systematischen Unterscheidungen, die sich auf Blattabdrücke in den Gesteinen beziehen, da an derartigen Abdrücken die Nervatur meist sehr deutlich erhalten ist. (S. Blattnervatur.)
In der Ornamentik bilden neben den Bandverschlingungen die Nachbildungen von und Blüte den hervorragendsten Teil der Verzierungskunst aller Völker, ja die Wahl und Ausgestaltung der Blatt ist eins der eigenartigsten Merkmale der verschiedenen Baustile. (S. Blätterkapitäl [* 19] und Blätterwerk.) In jeder Frühkunst erscheint das Blatt nicht in völliger Nachbildung seiner natürlichen, sondern in einer mehr verallgemeinernden Form, die nur die auffallendsten Merkmale wiedergiebt.
Dies Fortlassen des dem Ornamentisten als nebensächlich Erscheinenden nennt man Stilisieren. Die alten Ägypter stilisierten vorzugsweise die Lotosblume, Griechen und Römer [* 20] den Acanthus [* 21] (s. d.), die mittelalterlichen Stile entnahmen ihre Motive der ganzen Flora der betreffenden Länder. Wiederholt versuchte man die stilisierten Blatt durch getreu der Natur nachgeahmte (naturalistische) zu verdrängen. Namentlich im Fach des Musterzeichners hat und Blume einen vielfach angefochtenen Naturalismus angenommen. (S. Ornament und Muster.)