Titel
Blasinstru
mente
(franz.
Instruments à vent, engl.
Wind-instruments, ital. Stromenti da fiato) heißen alle diejenigen
Musikinstrumente, bei denen ein
Strom verdichteter
Luft
(Wind) das tonerregende und eine schwingende Luftsäule
das tönende
Element ist. Nicht unter die Blasinstru
mente gehörig sind daher diejenigen
Instrumente, bei welchen
Saiten durch
Wind in
Schwingung
[* 2] versetzt werden
(Äolsharfe,
Anemochord); dagegen werden frei schwingende
Zungen ohne
Aufsätze
(Harmonium,
Äoline,
Ziehharmonika
etc.), bei denen zweifellos die
Zunge das tongebende
Element ist, unter die Blasinstru
mente gerechnet.
Das
»Instrument der
Instrumente«, die
Orgel, ist aus allen erdenkbaren
Arten der Blasinstru
mente zusammengesetzt; doch sind alle, da sie nur
je einen
Ton anzugeben haben, von typisch einfachster
Konstruktion. Wie die
Register der
Orgel, zerfallen die Blasinstru
mente überhaupt in
zwei
Gruppen: in
Labialpfeifen
(Lippenpfeifen, Flötenpfeifen) und
Lingualpfeifen
(Zungenpfeifen). Die Art
der Tonerzeugung ist bei beiden eine ganz verschiedene, wenn sie auch am letzten Ende wieder auf dieselben
Grundgesetze zurückzuführen
ist.
Bei den Lippenpfeifen wird der durch den Pfeifenfuß eintretende Luftstrom durch eine schmale Spalte (Kernspalte) gegen die scharfe Kante des Oberlabiums getrieben, welches ihn teilt und einen Teil in den Pfeifenkörper eintreten läßt, während der andre nach außen geht. Durch die eintretende Luft wird die innen befindliche so weit verdichtet, daß sie zurückdrückend den leicht ablenkbaren blattförmigen Luftstrom ganz nach außen biegt; nach den Gesetzen der Adhäsion wird dann aber durch den Luftstrom auch ein Teil der Luft in der Pfeife mit hinausgezogen, so daß nun eine leichte Verdünnung der Luft in der Pfeife entsteht, welche umgekehrt das Luftblatt wieder einwärts biegt.
Die Geschwindigkeit der Wiederkehr dieser Verdichtungen und Verdünnungen (Schwingungen) ist abhängig von der Länge der in der Pfeife eingeschlossenen Luftsäule, d. h. bei einer längern Pfeife hat die Verdichtungswelle einen weitern Weg zurückzulegen, bis sie reflektiert wird, der Ton wird daher ein tieferer als bei einer kürzern. Bei offenen Labialpfeifen liegt der Punkt der Reflexion [* 3] in der Mitte, bei gedackten am Ende der Pfeife, d. h. gedackte Pfeifen klingen ungefähr eine Oktave tiefer als gleichlange offene.
Bei den Zungenpfeifen wird eine den Weg des Windes verschließende Zunge durch den Wind abgebogen (nach außen oder nach innen), um dem Winde [* 4] den Eintritt zu gestatten, schnellt aber vermöge ihre Elastizität, sobald durch den Eintritt des Windes eine Ausgleichung der Druckverhältnisse stattgefunden hat, zurück, um immer wieder von neuem abgebogen zu werden. Die Periode der Wiederkehr dieser Abweichungen hängt zunächst nur von der Elastizität und Größe der Zunge ab, und bei Instrumenten mit frei schwingenden Zungen ohne Aufsätze wird in der That die Tonhöhe nur durch die Gestalt der Zunge bestimmt (s. oben).
Bei
Instrumenten mit
Aufsätzen dagegen ist das
Verhältnis ein ganz andres, sofern bei ihnen die
Zunge eine
ähnliche
Rolle spielt wie der blattförmige Luftstrom bei der
Labialpfeife; die
Periode der Abbiegungen der
Zunge wird dann
nämlich durch die
Größe der
Aufsätze bestimmt. Die durch die geöffnete
Zunge eingelassene
Luft verdichtet die Luftsäule
im
Aufsatz und erweckt gerade wie bei den
Labialpfeifen eine zurückkehrende Verdichtungswelle, welche
der
Zunge die Rückkehr in die Gleichgewichtslage gestattet. Bei metallenen
Zungen ist diese
Wirkung nicht so frappant und so
vollkommen wie bei den minder steifen Rohrblattzungen und membranösen
Zungen, bei denen sich die
Schwingungen der
Zunge vollständig
nach den
Schwingungen der Luftsäule richten. Die Hauptgattungen der Blasinstru
mente sind nun hiernach:
1) Flöten, bei denen der Ton in derselben Weise erzeugt wird wie bei den Labialpfeifen. Dieselben existieren hauptsächlich in zwei Arten: als gerade Flöten und Querflöten. a) Die geraden Flöten (Schnabelflöten) sind jetzt ganz außer Gebrauch gekommen und existieren nur noch als Kinderspielzeug sowie als sogen. »Pfeifen«; die zuletzt verschwundene Spezies derselben war das Flageolett. Ob der Aulos der Griechen eine Schnabelflöte oder ein Rohrblattinstrument mit kesselförmigem Mundstück gewesen (vgl. v. Schafhäutl, Bericht über die Musikinstrumente der Münchener Industrieausstellung von 1854, S. 141), ist noch nicht zur Genüge erwiesen.
Der Umstand, daß die Orgelpfeifen im 10. Jahrh. ausnahmslos offene Labialpfeifen ganz derselben Gestalt waren, wie sie heute gemacht werden, legt allerdings die Vermutung nahe, daß auch die noch ältern Orgeln dieselbe Art Pfeifen hatten; in der Beschreibung der Orgel des Kaisers Julian (4. Jahrh.) werden aber die Pfeifen Auloi genannt. Jedenfalls war auch die römische Fistula ein ähnliches Instrument, denn Fistula nennen die frühmittelalterlichen Schriftsteller ausnahmslos die Orgelpfeifen. Das 16. Jahrh. kannte eine größere Anzahl Flöteninstrumente. Der Schwegel (Schwiegel, Schwägel) war eine gerade Flötenart und unterschied sich von der Schnabelflöte (Pfeife, franz. flûte à bec) nur durch die geringere Zahl von Tonlöchern. Suegala nennt Notker (10. Jahrh.) die Orgelpfeifen; damit ist die flötenartige Konstruktion des Schwegels verbürgt, das Wort kommt aber als Bezeichnung für Pfeifen viel früher ¶
mehr
vor (bei Otfried, ja bei Ulfilas). Die Plockflöte und Rußpfeife (ruyspipe) waren kleinere Pfeifenarten. b) Die Querflöte, das heute allein übliche Flöteninstrument (franz. flûte traversière), hieß früher »Schweitzerpfeiffen«, bei den Franzosen flûte allemande, auch wohl flûte douce, engl. german flute. Sie unterscheidet sich von der Schnabelflöte nur dadurch, daß der tonerregende schmale Luftstrom nicht durch eine Kernspalte auf das Oberlabium geleitet wird, sondern direkt vom Mund aus gegen die scharfe Kante eines runden Loches an der Seite des Instruments. Die älteste Form dieses Instruments ist zweifellos eine auf einer Seite geschlossene Röhre, gegen deren offenes Ende man bläst; mehrere derselben vereint gaben die Pansflöte (Syrinx und ähnliche Instrumente bei den ältesten Kulturvölkern). Die eigentümliche Art des Anblasens der Querflöte hat man auf die Orgelpfeifen übertragen, indem man ein rundes Loch durch einen aufgesetzten Frosch [* 6] anblasen ließ.
2) Instrumente mit Rohrblatt und zwar a) mit doppeltem Rohrblatt. Instrumente dieser Art sind gleichfalls sehr alt; der calamus der Römer, [* 7] das französische chalumeau wie unsre deutsche Schalmei sind wohl ein und dasselbe Instrument, das in Italien [* 8] heute unter dem Namen Piffaro bekannt ist. Zur Familie der Schalmeien gehörte der Bomhart (Pommer, Bommert, franz. bombarde, woraus die andern Formen abzuleiten sind), eine Baßschalmei, die in verschiedenen Größen gebaut wurde.
Aus der Schalmei entwickelte sich im Anfang des 17. Jahrh. die Oboe, aus dem Bomhart das Fagott. Dazu kamen in neuerer Zeit Englischhorn
und Kontrafagott. Auch die Schryari, Bassanelli, Krummhörner gehören zu derselben Familie. Die Krummhörner wurden mittels
eines kesselförmigen Mundstücks angeblasen, in welches das Röhrchen gesteckt ward. Auch die Pfeifen
des Dudelsacks (Sackpfeife, Musette, Cornamusa) haben doppeltes Rohrblatt. 1863 hat der Pariser Instrumentenbauer Gautrot Blechblasinstru
mente
mit doppeltem Rohrblatt und Grifflöchern konstruiert, die er nach ihrem Erfinder (Sarrus) Sarrusophon genannt hat. b) Instrumente
mit einfachem Rohrblatt. Dieselben sind neuern Datums. Zu ihnen gehört vor allen die 1690 erfundene Klarinette
mit ihren Unterarten (Altklarinette, Baßklarinette etc.), die erheblich jünger sind. Bereits
wieder verschwunden ist das Bassetthorn; das Baßhorn und das Batyphon haben überhaupt nur eine ephemere Existenz gehabt. Von
größerer Bedeutung sind die von Sax in Paris
[* 9] seit 1840 gebauten Blechblasinstrumente
mit einfacher Zunge (Saxophone).
3) Instrumente ohne Zungen, bei denen die Lippen des Bläsers als membranöse Zungen fungieren. Einfache gerade
oder gekrümmte, von dem zum Anblasen bestimmten Ende aus sich mehr oder minder erweiternde Rohre sind bereits in den ältesten
Zeiten als Blasinstrumente
benutzt worden, sei es nun, daß man Stierhörner oder große Schneckengehäuse (Tritonshorn)
am spitzen Ende anbohrte, oder daß man aus Holz
[* 10] sich Röhren
[* 11] anfertigte, oder endlich aus Metall. Die ältesten derartigen
Instrumente hatten keine Tonlöcher, gaben daher nur die sogen. Naturtöne, d. h. die Töne, welche Obertönen des tiefsten Eigentons
der Röhre entsprachen (vgl. Klang).
Die Erfahrung lehrt, daß bei Instrumenten von enger Mensur der tiefste Ton nicht anspricht; um nun diesen
tiefsten Ton doch zu gewinnen, baut man in neuerer Zeit vielfach Blechinstrumente von weiterer Mensur, bei denen der Grundton
leicht anspricht, dafür aber nach der Höhe der Umfang ein beschränkterer ist,
und nennt dieselben Ganzinstrumente, während
die engern Halbinstrumente heißen. Jene ältern Blasinstrumente
waren wohl ausnahmslos Halbinstrumente (Salpinx,
[* 12] Lituus,
[* 13] Tuba,
[* 14] Buccina, Schofar, Keren).
Eine eigentümliche Erscheinung sind die zu dieser Gattung gehörigen Blasinstrumente
mit Tonlöchern, welche im 15.-18. Jahrh. eine
große Rolle spielten und allgemein verbreitet waren, die Zinken (Zincken, Cornetti), welche in verschiedenster Gestalt und
Größe gebaut wurden (gerade und krumme, die letztern als Baßinstrumente). Die Röhre der Zinken war von
Holz. Ohne Tonlöcher waren dagegen die Blechinstrumente Clareta (wohl s. v. w. Clarino), Feldtrumet, Busaun (Posaune); die letztere
hatte schon im 16. Jahrh. die der jetzt allmählich seltener werdenden Naturposaune eigentümliche
Zugvorrichtung, durch welche die Länge des Rohrs nach Belieben verändert wird.
Die Zahl der in neuerer Zeit erfundenen hierher gehörigen Instrumente ist eine sehr große. Es seien nur noch Namen genannt:
Serpent, Ophikleide (Holzblasinstrumente
, die letztere in neuerer Zeit Blechinstrument), Horn, Trompete (beide ursprünglich Naturinstrumente,
neuerdings mit verschiedenerlei mechanischen Vorrichtungen für die Veränderung der Tonhöhe versehen), Cornet à pistons,
Bügelhorn (Clairon), Tuba, Bombardon, Saxhorn, Euphonion, Phonikon, Baroxyton, Helikon etc. Über die Konstruktion
der einzelnen Instrumente sind die Spezialartikel zu vergleichen.
Hier folgen nur noch einige Bemerkungen über die Hervorbringung von Tönen verschiedener Höhe auf demselben Instrument. Auf
Blasinstrumenten
ohne Tonlöcher, Ventile, Cylinder etc. können Töne verschiedener Höhe nur durch eine
Veränderung der Art des Anblasens hervorgebracht werden. Eine schärfere Anspannung der Lippen (deren Ränder ja als Zungen
fungieren) sowie eine Verstärkung
[* 15] des Luftstroms rufen bei den Instrumenten ohne Zungen die Bildung eines höhern Tons aus der
Reihe der Naturtöne des Instruments hervor; bei den Instrumenten mit Zungen und bei den Flöten kommt die
Lippenstellung nicht weiter in Betracht, der Übergang zu andern Tönen der Reihe hängt daher nur von der Stärke
[* 16] des Blasens
ab. Da nun aber die Naturskala aus einer sehr beschränkten Anzahl von Tönen besteht, welche für eine kunstmäßige Musik
schlecht ausreichen, verfiel man darauf, die Schallröhre an verschiedenen Stellen durch Tonlöcher zu
durchbrechen und dadurch dieselbe zu verkürzen.
Natürlich müssen die Löcher geschlossen werden, wenn eine Verkürzung nicht stattfinden soll. Diese Einrichtung ist besonders
für die Holzblasinstrumente
allgemein im Gebrauch. Für die Blechinstrumente wendet man das gegenteilige Auskunftsmittel an,
d. h. man verlängert die Schallröhre durch Ausziehen (Posaune) oder durch Einschaltung von Bogen,
[* 17] die
für gewöhnlich mit dem Hauptrohr nicht kommunizieren, aber durch eine leicht zu behandelnde Vorrichtung (Ventil,
[* 18] Cylinder,
Tonwechselmaschine) in Kommunikation gesetzt werden, so bei Trompete und Horn und allen neuern Ventilinstrumenten.
Die Ventilinstrumente unterscheiden sich aber sehr in der Klangfarbe von den Naturinstrumenten, denen unsre Symphoniker noch den Vorzug geben, weil sie eine größere Verschiedenheit von Timbres aufzuweisen haben. Besonders sind die sogen. gestopften Töne der Hörner und Trompeten von einem eigentümlichen düstern Effekt; das »Stopfen« ist nämlich das einzige Mittel, auf den Naturinstrumenten die um einen Halbton oder Ganzton von den Naturtönen nach der Tiefe gelegenen Zwischentöne ¶
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hervorzubringen. Vor der Gefahr, eine Fülle schöner Klangkombinationen der Bequemlichkeit der Tonerzeugung zu opfern, muß daher ernstlich gewarnt werden. Über die verschiedenen Arten von Orgelpfeifenregistern vgl. Labialpfeifen und Zungenpfeifen.