Biogenetisches Grundgesetz
201 Wörter, 1'716 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Biogenetisches
Grundgesetz
wurde
von Haeckel ein Gesetz genannt, welches er gleichzeitig mit Fritz Müller aus den
Thatsachen ableitete, daß ein Organismus in seiner individuellen Entwicklung (Ontogonie) die Entwicklungsstufen, welche seine
Ahnenreihe im Laufe der Zeiten durchlaufen hatte (Phylogonie), wiederhole. Vielfach kann man aus den Entwicklungszuständen
eines Tieres die Beschaffenheit der verschiedenen aufeinanderfolgenden Generationen seiner Vorfahren erschließen.
Aus der Metamorphose der Frösche [* 3] läßt sich erkennen, daß diese schwanzlosen, mit Gliedmaßen und Lungen größtenteils auf dem Lande lebenden Amphibien von solchen ältern Formen abstammen, welche ohne horizontale Gliedmaßen und Lungen, aber mit vertikal abgeplattetem Ruderschwanze und Kiemen ausgestattet, ausschließlich Wasserbewohner waren. Durchaus nicht immer darf man indessen voraussetzen, daß die Ontogonie eines Wesens ein unfehlbar sicheres und genaues Spiegelbild seiner Phylogonie sei.
Embryonen und Larven sind auch selbständige Organismen und besitzen als solche die Fähigkeit, sich selbständig an äußere Umstände anzupassen. Viele provisorische Larvenorgane, die Eihäute der Embryonen u. s. w. sind Resultate selbständiger Anpassungen, es sind Erscheinungen der sog. Cenogenesis (Haeckel), aber durchaus nicht ontogenetische Ausdrücke phylogenetischer Vorgänge, sie gehören nicht der Palingenesis (Haeckel) an. Eine der Hauptaufgaben der modernen Entwicklungsgeschichte ist, die auf Vererbung (s. d.) beruhenden palingenetischen Erscheinungen von den aus selbständiger Anpassung hervorgegangenen cenogenetischen genau unterscheiden zu lehren.