Binnenthal
(Kt. Wallis, Bez. Goms). 2550-900 m. Schönes kleines Alpenthal, von der Binna entwässert, zwischen der italienischen Grenze und dem obern Rhonethal von O.-W. ziehend, 15 km onö. Brig. 12 km lang, 52 km2 Fläche; 235 Ew. Ca. 40 Hütten, die zusammen die Gemeinde Binn bilden und sich in vier hauptsächliche Gruppen schaaren: Schmidigenhäusern (100 Ew.; Grenzwächterposten), Imfeld, Giessen u. Willeren. Das in seinem untern Teile bewaldete Thal zählt 18 ausgezeichnete Alpweiden.
Viehzucht und Käserei (jährlicher Ertrag 60000 Fr.) sind die Hauptbeschäftigung der Bewohner, die 1896 200 Stück Rindvieh, 300 Schafe und 200 Ziegen besassen. Im obern Binnenthal mehrere eisenhaltige Quellen und im Hochthal des Feldbaches alte Eisenerzgruben. Ein guter Maultierpfad führt von Grengiols im Rhonethal über Aernen (1196 m) und Ausserbinn längs der Twingenschlucht ins Thal hinein. Oft ist der Weg durch die Schlucht durch Schneeanhäufungen und Lawinenreste gesperrt, so dass z. B. 1888 die Thalbewohner
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während dreier Wochen von jeder Verbindung mit der Aussenwelt abgeschlossen waren. Schmidigenhäusern (1389 m) ist Exkursionszentrum für die vielen und schönen Ausflüge in die benachbarte Gebirgswelt: Eggerhorn (2502 m) u. Rappenhorn (3162 m) im N.;
Ofenhorn (3242 m) im O.;
Schienhorn (2942 m), Helsenhorn (3274 m) und Hüllenhorn (3861 m) im S. Mit Italien ist das Binnenthal verbunden durch die Pässe Hohsand (2927 m), Albrun (2410 m) und Geisspfad (2475 m);
durch das Längthal, die bedeutendste Seitenverzweigung des Binnenthales, führen Kriegalppass (2580 m) und Ritterpass (Boccareccio; 2962 m) nach Iselle im italienischen Val Vedro.
Der Albrunpass war schon in alter Zeit bekannt und wurde vor Eröffnung der Simplonstrasse stark begangen.
Zu Ende des Mittelalters war die Thalschaft Lehen der Herren de Vinéis auf Burg Naters; sie ging um 1360 an Franz Curto, den Burgherrn von Brig über, der aber den Besitz mit dem hier ebenfalls über Rechte und jährliche Abgaben verfügenden Bischofsstuhl von Sitten zu teilen hatte. Beim Bau des Gasthauses zum Ofenhorn hat man 1881-98 in Schmidigenhäusern 24 Gräber aus der Eisenzeit aufgedeckt. In einem Grab aus der Römerzeit fand man eine Fibula mit Scheibe und römische Silber- und Kupfermünzen; aus derselben Zeit stammen 3 Skelete von vielleicht durch Lawinenschlag verunglückten Personen. (Anzeiger für schweizer. Altertumskunde. 1899.)
Die Lage an der transalpinen Grenze und die grosse Mannigfaltigkeit in der petrographischen und mineralogischen Beschaffenheit seines Bodens haben im Binnenthal die Entwickelung einer ausgezeichnet reichen Flora begünstigt, die sich mit derjenigen der in dieser Beziehung berühmtesten Lokalitäten des Wallis, Zermatt und Simplon, vergleichen lässt. In seinem Catalogue de la flore valaisanne zählt H. Jaccard mehr als Hundert dem Binnenthal eigentümlicher Arten auf, worunter über 30 zum Teil sonst nirgends anderswo beobachtete Habichtskräuter.
Wir nennen nur die interessantesten Arten: Baldensisches Windröschen (Anemone baldensis), rauten-blätterige Schmuckblume (Callianthemum rutaefolium), Alpen-Akelei (Aquilegia alpina), Walliser Levkoi (Matthiola valesiaca), Schweizer Schotendotter (Erysimum helveticum), Zahlbruckners Hungerblume (Draba Zahlbruckneri), fiederblätteriges Veilchen (Viola pinnata), acht Arten von Spitzkiel und Tragant (Oxytropis velutina, lapponica, sordida; Astragalus australis, aristatus, exscapus, monspessulanus und leontinus), Edelweiss, piemontesischer Steinbrech (Saxifraga pedemontana; vom Botaniker Vulpius schon gefunden), Schleichers und Villars' Berufkraut (Erigeron Schleicheri und Villarsii), elf Arten von Enzian (Gentiana lutea, purpurea, utriculosa etc.), Zwerg-Himmelsherold (Eritrichium nanum), Vitals Gregorie (Gregoria Vitaliana), langblütige Schlüsselblume (Primula longiflora), Alpen-Knöterich (Polygonum alpinum), armblütiger Rapunzel (Phyteuma pauciflorum), die seltene ausgeschnittene Glockenblume (Campanula excisa), der Zwerg-Beifuss (Artemisia nana), zwei Arten von Hauswurz (Sempervivum Funkii und Mettenianum), der weidenblätterige Baldrian (Valeriana saliunca), eine Segge (Carex membranacea) etc. Von den Habichtskräutern nennen wir als seltene oder kritische Arten Hieracium alpicola, auriculiforme, cruentum, calycinum, arenicola, penninum, callianthum, amphigenum, tomentosum, Jordani, pellitum, rhaeticum, atratum, Bocconei, pseudopicris, subalpinum etc. (Vergl. H. Jaccard. Catalogue de la flore valais. S. 31 ff.) Alle diese Arten gehören zu den interessantesten des Wallis und finden sich in gleicher Vollzähligkeit kaum noch anderswo.
Eines Weltrufes erfreuen sich die Mineralien des Binnenthales ihrer Reichhaltigkeit und schönen Krystallformen wegen. Sie gehören drei verschiedenen Gesteinsgruppen an: 1. In einem schneeweissen, feinkörnigen («zuckerartigen») Dolomit finden sich in Drusen, Gängen und Nestern Binnit, Realgar, Auripigment, Hyalophan,
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Dufrenoysit, Turmalin, Korund, Grammatit, Barytcoelestin, Rutil, Sphalerit, Skeroklas, Jordanit etc.; 2. in den Glimmerschiefern: Bergkristalle, Calcit, Adular, Albit, Titanit, Anatas, Rutil, Granat, Zoisit, Disthen etc. und 3. im Gneiss: Albitquarz, Pyrit, Galen, Rutil, Anatas, Wiserin, Feldspath, Epidot, Baryt, Turnerit, Turmalin, Desmin, Chabasit, Titanit, Antigorit, Magnetit, Augit, Diallag, Hornblende, Diopsid, Granat, Amphibol, Chlorit, Pennin etc.