Bildungsve
reine,
auf freier
Selbsthilfe beruhende
Vereine, welche durch gemeinschaftliche Wirksamkeit die
Bildung ihrer
Mitglieder zu heben suchen und zwar die geistig-sittliche
(Handwerker-,
Arbeitervereine,
Arbeiterbildungsvereine, Volksbildungsve
reine),
die gewerbliche oder handelswissenschaftliche
(Gewerbe-, Fabrikantenvereine,
kaufmännische Vereine), die politische und volkswirtschaftliche
(gewisse politische oder volkswirtschaftliche
Vereine) oder endlich die religiöse
Bildung
(Gesellen-,
Jünglingsvereine).
Ihren
Zweck suchen die Bildungsve
reine zu erreichen durch
Vorträge,
Bibliotheken,
Fortbildungsschulen u. a.; namentlich für die ersten ist
von einzelnen
Vereinen oder Vereinsgruppen, so von dem 1879 gegründeten
»Deutschen
Verband
[* 2] von
Vereinen für öffentliche
Vorträge«,
dem über 60
Vereine angehören, eine vollständige
Organisation getroffen worden. Die Bildungsve
reine sind recht eigentlich
ein
Produkt der jüngsten Zeit; in
England wurden sie namentlich durch
Lord
Broughams Thätigkeit in den 20er
Jahren dieses
Jahrhunderts
ins
Leben gerufen, und diese mechanics institutes mit Lesezimmern und
Bibliotheken, denen sich später die working men's colleges
mit höhern
Zielen anschlossen, bestehen heute nicht nur in
Großbritannien,
[* 3] sondern auch in dessen größern
Kolonien sowie in den
Vereinigten Staaten
[* 4] in jeder bedeutenden Stadt. In
Belgien
[* 5] bildeten sich viel später die ligues d'enseignement.
In
Deutschland
[* 6] entstanden
Vereine zur gemeinsamen Fortbildung schon bald nach den
Befreiungskriegen, wurden aber von den
Regierungen
mit wenig
Gunst angesehen und traten erst seit 1830 mehr hervor. In
Sachsen,
[* 7]
Nassau,
Hannover
[* 8] entstanden
die sogen.
Gewerbevereine, die im folgenden Jahrzehnt sich auch unter dem
Namen
Handwerkervereine über die mittlern und größern
Städte ganz Norddeutschlands verbreiteten.
Aber erst in den 40er
Jahren, namentlich seit 1848, entstanden eigentliche Bildungsve
reine (Bürgervereine,
Arbeiterbildungsvereine),
denen auch die Turnvereine zuzurechnen sind, insofern sie durch
Vorträge, Lesezirkel u. a. die geistige Fortbildung ihrer
Mitglieder anstrebten. Während alle diese
Vereine eine liberal-politische Färbung hatten, verfolgten die durch
Humboldts
»Kosmos« angeregten
Humboldt-Vereine ausschließlich den
Zweck, die Bekanntschaft mit den Ergebnissen der neuern
Naturforschung
durch
Vorträge,
Bibliotheken u. a. zu fördern.
Dergleichen Bildungsve
reine entstanden zuerst in
Berlin,
[* 9]
Bremen,
[* 10]
Hamburg
[* 11] u. a. O., begegneten aber bald mancherlei ihnen vom
Staat bereiteten
Hindernissen, wie denn der große, 1844 gegründete
Handwerkerverein zu
Berlin von 1850 bis 1859 aufgelöst war, während die
Regierung dagegen die kirchlichen
Vereine begünstigte. Seit 1860 versprachen die
Arbeiterbildungsvereine einen neuen Aufschwung
zu nehmen, verfielen aber nach
Lassalles Auftreten der
Sozialdemokratie und wandelten sich thatsächlich
in Agitationsherde um. Erst Anfang 1871 erfolgte in
Berlin unter hauptsächlicher Mitwirkung von
Schulze-Delitzsch,
Franz
Duncker
u. a. die
Gründung der jetzt über ganz
Deutschland verbreiteten
Gesellschaft für Verbreitung von
Volksbildung, welche schnell
einen bedeutenden Aufschwung nahm und Ende 1883: 13 Zweigvereine und 9
Verbände mit zusammen 3333 Mitgliedern
(davon 651 körperschaftliche) zählte.
Neben Lesezimmern, Bibliotheken, Vorträgen (die Gesellschaft unterhält einen ständigen Wanderlehrer) und Fortbildungsschulen sucht sie ihren Zweck, den Klassen der Bevölkerung, [* 12] welchen nur die Grundlagen der Bildung zugänglich gemacht wurden, dauernd Bildungsstoff und Bildungsmittel zuzuführen, durch Herausgabe einer Wochenschrift: »Der Bildungsverein« (15. Jahrg., Berl. 1885), und Flugschriften zu erreichen. Für Bayern, [* 13] Württemberg [* 14] und Baden [* 15] bildete sich ein Verband süddeutscher Arbeiterbildungsvereine, welcher neben dem Bildungszweck auch die praktischen Interessen der Arbeiter durch Arbeitsnachweis, Wanderunterstützungen u. a. berücksichtigt. Seit dem Erlaß des Sozialistengesetzes haben sich zwei Richtungen von Arbeiterbildungsvereinen herausgebidet ^[richtig: herausgebildet], die eine mit christlich-konservativer, die andre mit sozialdemokratischer Färbung. Über Gewerbevereine, Handwerkervereine, Jünglingsvereine s. die besondern Artikel.