Bibliothek
(griech.), zunächst der
Ort, wo
Bücher aufbewahrt werden, dann auch die Sammlung der
Bücher selbst
(Liberei). Wesentlich ist dabei der
Zweck der
Aufbewahrung und Benutzung, wodurch sich eine Bibliothek
von bloßen Bücherlagern
unterscheidet. Es gibt und gab Bibliotheken
im Privatbesitz (Privatbibliotheken
) und solche zum öffentlichen
Gebrauch (öffentliche
Bibliotheken
).
Ihre Entstehung hängt immer mit einem hohen Bildungsgrad, reicher Litteraturentwickelung
und bequemem Schreibmaterial zusammen.
Die Geschichte der Bibliotheken
geht in das frühste
Altertum zurück. Bereits die alten Ägypter besaßen große Büchersammlungen,
aus denen die
Papyrusrollen (s. d.) auf uns gekommen sind, welche bis 1866
v. Chr. hinaufreichen. Auch die in den Ruinenstädten
von
Assyrien und
Babylonien entdeckten Tafeln und
Cylinder mit Schriftzeichen sind Überreste einer Art
von Bibliotheken.
Bei den Griechen finden sich zur Zeit der
Freiheit nur wenige
Spuren von Privatbibliotheken
in den Nachrichten
der klassischen
Autoren, während über die erste öffentliche, von Pisistratos zu
Athen
[* 2] angelegte Büchersammlung bedeutende
Zweifel herrschen.
Nach dem
Untergang der
Freiheit wurde die griechische
Kultur in die Nachbarländer, nach
Asien,
[* 3]
Ägypten
[* 4] und
Italien,
[* 5] verpflanzt, was die
Gründung von Bibliotheken
zur
Folge hatte. Die bedeutendsten waren die beiden alexandrinischen
Bibliotheken
, von den
Ptolemäern gestiftet, und die Bibliothek
zu
Pergamon,
[* 6] welche den pergamenischen
Königen Entstehung und Wachstum
verdankte (vgl.
Parthey, Das alexandrinische
Museum, Berl. 1838, und
Ritschl, Die alexandrinischen Bibliotheken
,
Bresl. 1838). In
Rom
[* 7] erwachte der
Sinn für Büchersammlungen erst nach dem zweiten
Punischen
Krieg.
Der erste Begründer einer öffentlichen Bibliothek
war
Asinius
Pollio. Unter
Augustus, der selbst die Oktaviana und dann die palatinische
Bibliothek
einrichtete, gehörte es zum guten
Ton, eine Bibliothek
im eignen
Haus zu haben. Die Einrichtung eines römischen
Bibliothek
zimmers lehren teils Vitruv und
Plinius, teils die in
Herculaneum ausgegrabene Bibliothek
kennen. Die
Aufsicht war nur Freigelassenen
anvertraut. Im 4. Jahrh. soll es in
Rom 29. öffentliche Bibliotheken
gegeben haben, die von
den vornehmen
Römern fleißig besucht wurden.
Wichtig für die Bibliothek
engeschichte des klassischen
Altertums ist die
Monographie von
Th. Birt: »Das
antike Buchwesen in seinem
Verhältnis zur Litteratur« (Berl. 1882). Die
Stürme der
Völkerwanderung brachten den alten Bibliotheken
Verderben. Im
Mittelalter waren es die
Mönche, welche die noch übrigen
Denkmäler der heidnischen Litteratur erhielten; so
z. B. in den
Klöstern des
Athos (vgl.
Boltz, Die Bibliotheken der Klöster des
Athos,
Bonn
[* 8] 1881). Namentlich
zeichneten sich die
Benediktiner dadurch aus, daß ihre Ordensregel den
Konventualen das
Studium der
Klassiker und das
Kopieren
von
Handschriften zur
Pflicht machte, um dem Müßiggang vorzubeugen.
Namhafte Klosterbibliotheken befanden sich zu Monte Cassino, Korvei (in Westfalen), [* 9] Fulda, [* 10] wo Hrabanus Maurus Mönche als Schreiber beschäftigte, vor allem aber zu St. Gallen, wo Abt Gosbert (816-836) den Grund zu der berühmten Bibliothek legte, die alle damaligen Sammlungen übertraf. Im 14. Jahrh. hatte jedes Stift wenigstens ein Skriptorium, über welches der Armarius die Aufsicht führte; das Schreibmaterial lieferte der Camerarius oder Cellarius, die Auswahl der zu schreibenden Bücher besorgte der Abt, und die Bibliothekverwaltung lag ebenfalls dem Armarius ob. Das Aufleben der antiken Studien in der Zeit des Humanismus begünstigte den Sammeleifer. Gelehrte, wie Poggio, Philelphus, fingen an, Bücher ¶
mehr
zusammenzubringen, und ihrem Beispiel folgten Fürsten und reiche Patrizierfamilien. In Florenz [* 12] sammelten die Mediceer, aus deren Thätigkeit die Mediceo-Laurentiana hervorging. Papst Nikolaus V., der gegen 3000 Handschriften aufkaufte, schuf damit die große vatikanische Bibliothek. In Ungarn [* 13] hielt König Matthias Corvinus in Italien gebildete Schönschreiber in seinem Sold, um seine Bibliothek, die vielberufene Corvina, zu bereichern. Dieser kostbare Bücherschatz, weniger durch innern Wert als äußere Pracht ausgezeichnet, ward bei der Eroberung Ofens durch die Türken (1526) in alle Winde [* 14] zerstreut, so daß sich Reste in den bedeutenden Bibliotheken Europas vorfinden. Die 35 Werke, welche Sultan Abd ul Hamid II. in unsern Tagen den Ungarn zurückerstattet hat, sind nur ein höchst dürftiger Überrest von den 50,000 Bänden der ehemaligen Corvina. Über die Bibliotheken des Mittelalters überhaupt gibt erschöpfende Auskunft W. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter (2. Aufl., Leipz. 1875).
Eine neue Epoche in der Geschichte der Bibliotheken begann mit Erfindung der Buchdruckerkunst. Denn von nun an war die Sammlung einer Bibliothek nicht mehr mit so großen Kosten und Schwierigkeiten verknüpft wie früher. Nach Aufhebung der Klöster infolge der Reformation fielen deren Bibliotheken entweder den Städten und Kirchen oder den Landesherren und gelehrten Bildungsanstalten zu, wodurch eine allgegemeinere ^[richtig: allgemeinere] Brauchbarkeit der Bücherschätze herbeigeführt wurde.
Der Dreißigjährige Krieg vernichtete manche frisch aufblühende Sammlung, z. B. die Heidelberger, deren vorzüglichste Manuskripte 1622, nach der Einnahme der Stadt durch Tilly, nach Rom in den Vatikan [* 15] gebracht wurden. Mit dem Ausbruch der französischen Revolution ging ein großer Teil der mit Mühe und Kosten hergestellten Bibliotheken zu Grunde. 1797 entführten die Sieger mehrere Tausend Manuskripte aus dem Vatikan nach Paris, [* 16] und ähnlichen Plünderungen waren 1809 auch nicht wenige deutsche Bibliotheken, zumal die Wiener, ausgesetzt. Napoleons I. Fall bewirkte, daß die früher geraubten Schätze zurückgegeben wurden; so erhielt Heidelberg [* 17] nicht nur die im letzten Krieg nach Frankreich gebrachten, sondern auch einen Teil der im Dreißigjährigen Krieg in den Vatikan gekommenen Manuskripte zurück. Ein Beispiel aus neuester Zeit ist der Untergang der wertvollen Straßburger Bibliothek, die während des deutsch-französischen Kriegs in der Nacht des verbrannte.
Unter den Bibliotheken der Gegenwart gebührt neben den großen Zentralbibliotheken den deutschen Universitätsbibliotheken ein hervorragender Platz. Ihre Entstehung schließt sich überall an die Stiftung der Universitäten als solcher an und reicht daher teilweise bis ins 14. Jahrh. zurück. Neuern Datums sind die Universitätsbibliotheken zu Berlin [* 18] (1810), Bonn (1818), Erlangen [* 19] (1743) und die durch Gehalt und Zahl wie durch die Art ihrer Einrichtungen gleich ausgezeichnete zu Göttingen [* 20] (1737). Die jüngste ist die neue Universitäts- und Landesbibliothek zu Straßburg, [* 21] die mit der Wiederherstellung der Universität (1872) ins Leben trat und durch freiwillige Gaben sowie durch reiche eigne Mittel bald einen ungeahnten Aufschwung nahm.
Auch bei den übrigen Universitätsbibliotheken hat die Erkenntnis ihrer Bedeutung für die Aufgaben der Universitäten während des letzten Dezenniums einerseits zu besserer Dotierung, anderseits zur Reform ihrer Verwaltung im Sinn der »Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufs« den Anstoß gegeben.
Vgl. Heinze, Mittel und Aufgaben unsrer Universitätsbibliotheken (in der Tübinger »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft«, Bd. 26, 1870).
Unter den großen Zentralbibliotheken steht nach den neuesten Schätzungen die Pariser Nationalbibliothek mit 2,500,000 Bänden und 92,000 Manuskripten obenan. Demnächst zählt das Britische Museum zu London [* 22] 1,356,000 Bände. Der Bestand der königlichen Bibliothek in Berlin wird auf 900,000, der der Stuttgarter öffentlichen Bibliothek auf 300,000 Bände angegeben. Einer besondern Erwähnung bedürfen noch die Volks- und Gemeindebibliotheken, welche teils durch Privat-, teils durch Gemeindemittel, teils auf dem Weg der Vereinsthätigkeit seitens der Volksbildungsvereine geschaffen wurden, um die Massen aufzuklären und dem Volk eine gesunde und billige Lektüre darzubieten (vgl. Preusker: Über öffentliche, Vereins- und Privatbibliotheken, Leipz. 1839-40, 2 Hefte; Die Dorfbibliothek, das. 1843; Bürgerbibliotheken, Meiß. 1850; Jannasch, Die Volksbibliotheken, Berl. 1876). S. Volksschriften.
Nachweise über die Bibliotheken aller Zeiten und Länder bringt Edw. Edwards in seinen »Memoirs of libraries« (Lond. 1859, 2 Bde.),
zu denen als Ergänzungswerke von demselben Verfasser hinzutreten: »Libraries and founders of libraries« (das. 1865),
»Free town libraries« (das. 1869) und »Lives of the founders of the British Museum, 1570-1870« (das. 1870, 2 Bde.). Ein Verzeichnis der Bibliotheken in Europa [* 23] vom Mittelalter bis auf die Neuzeit mit Litteraturangaben lieferte Vogel (»Litteratur europäischer öffentlicher und Korporationsbibliotheken«, Leipz. 1840). Für die deutschen Bibliotheken der Gegenwart besitzen wir Petzholdts »Handbuch deutscher Bibliotheken« (Halle [* 24] 1853) und »Adreßbuch der Bibliotheken Deutschlands [* 25] mit Einschluß von Österreich-Ungarn [* 26] und der Schweiz« [* 27] (Dresd. 1874-75); speziell für die österreichischen Grassauers »Handbuch für österreichische Universitäts- und Studienbibliotheken« (Wien [* 28] 1883); für die nordamerikanischen außer Rhees' »Manual of public libraries« (Philad. 1859) das offizielle Quellenwerk »Public libraries in the United States of America« (Washingt. 1876, 2 Tle.). Schätzbares Material zur Geschichte und Beschreibung älterer und neuerer Bibliotheken enthält Naumanns »Serapeum« (Leipz. 1840-70, 31 Jahrg.) und Petzholdts »Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekswissenschaft« (Dresd., seit 1840).
Zu wünschen bleibt eine einheitliche und durchgreifende Ausbildung der Bibliothekstatistik, die über die ersten Anfänge nicht hinausgediehen ist. Namentlich würde eine regelmäßige Veröffentlichung der Dotationsverhältnisse, des Personalstandes, der Zuwachs- und Benutzungsziffern von erheblichem Wert sein. Wir haben von dergleichen Arbeiten zu nennen: »Statistica del regno d'Italia, Biblioteche, Anno 1863« (Flor. 1865);
Heitz, Über die Resultate der Statistik der öffentlichen Bibliotheken der Schweiz (Bern [* 29] 1871);
Derselbe, Die öffentlichen Bibliotheken der Schweiz im Jahr 1868 (Basel [* 30] 1872);
Pizzala, Stand der Bibliotheken der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder zu Ende des Jahrs 1870 (Wien 1873-74, 2 Tle.).
Bibliothek ist auch Titel für Sammelwerke oder für solche Schriften, welche Nachrichten über Schriftsteller einer gewissen Gattung oder über deren Werke, oft mit Auszügen belegt, enthalten.