Bibel
gesellschaften,
geschlossene Vereine, die sich die Verbreitung der Bibel [* 2] unter allen Klassen und Ständen der menschlichen Gesellschaft zum Zweck setzen. Der Gedanke dazu konnte erst nach der Erfindung der Buchdruckerkunst und zwar nur innerhalb der protestantischen Kirche entstehen. Der Baron Hildebrand v. Canstein, ein Freund Speners, errichtete unter Franckes Mitwirkung 1710 in Halle [* 3] eine Bibelanstalt zu dem Zweck, die Bibel möglichst wohlfeil herzustellen und dadurch auch den unbemittelten Klassen zugänglich zu machen.
Auch in
England und
Schottland entstanden verschiedene
Gesellschaften zur Verbreitung der
Bibel und christlicher Erbauungsschriften.
Im J. 1802 wandte sich der
Prediger
Thomas
Charles zu
Bala in Nordwales an die
Londoner Traktatgesellschaft behufs
Gründung einer
Gesellschaft zur Verbreitung der
Bibel in
Wales. Der
Gedanke wurde durch die
Prediger
Hughes,
Owen, Steinkopf
und Pratt mit
Begeisterung aufgenommen und auf
Großbritannien,
[* 4] dann auf die bewohnte
Erde ausgedehnt. So entstand die
Britische und ausländische Bibel
gesellschaft (the British and foreign Bible Society). Die
Gesellschaft verbreitet
Bibeln ohne
Anmerkungen und
Erklärungen in allen
Sprachen der
Erde. Mitglied derselben ist, wer einen festen jährlichen
Beitrag von einer
Guinee zahlt.
Hilfsgesellschaften (1879 waren es ihrer 966),
¶
mehr
Zweiggesellschaften (355) und Bibelvereine (3418) in den Städten und Distrikten fördern die Einnahmen und die Verbreitung
der Bibel. Im Ausland sind Agenturen eingerichtet, und durch bare Zuschüsse, Überlassung von Typen und Druckgeräten und in
andrer Weise werden fremde in Erreichung ihrer Aufgaben unterstützt. Die Ausdehnung
[* 6] der Missionsthätigkeit gibt der
Bibelgesel
lschaft fast jedes Jahr Anlaß, die Bibel in neue Sprachen und Mundarten übersetzen zu lassen.
Die Einnahme, welche im ersten Jahr sich auf nur 619 Pfd. Sterl. belief, betrug im genannten Jahr über 4 Mill. Mk., womit sie über 3 Mill. Bibeln und Neue Testamente verbreitete. Seit ihrem Bestehen hatte sie von denselben über 85 Mill. in 230 verschiedenen Sprachen und Dialekten verbreitet. Nach dem Muster der britischen Gesellschaft traten in den meisten christlichen Staaten ähnliche zusammen, namentlich in Rußland, Schweden, [* 7] Norwegen, Dänemark, [* 8] Deutschland, [* 9] Holland, Frankreich und in der Schweiz. [* 10]
Den ersten Rang nach der englischen nahm hinsichtlich der umfassenden Wirksamkeit wohl die russische zu
Petersburg
[* 11] ein, 1813 durch Paterson und Pinkerton gegründet, welche, durch 289 Tochteranstalten in allen Teilen Rußlands
unterstützt, die Bibel in mehr als 30 Sprachen und Mundarten der dem russischen Zepter unterworfenen Völker hat drucken lassen.
Im J. 1826 wurde sie durch einen kaiserlichen Ukas plötzlich aufgehoben, weil man sie politischer Tendenzen
bezichtigte; der orthodoxen Kirche wurde dagegen das ausschließliche Recht der Verbreitung religiöser Schriften zuerkannt,
und die seit 1831 bestehende Evangelische Bibelgesel
lschaft durfte ihre Thätigkeit nur über Protestanten erstrecken.
Nachdem aber das Bibelverbot an sich 1858 von Alexander II. aufgehoben worden war, verbreiteten englische und amerikanische
Gesellschaften desto mehr Bibeln unter allen Klassen der russischen Bevölkerung.
[* 12] Für das protestantische Deutschland gründete
der Kaufmann Kiesling 1804 die Nürnberger Bibelgesel
lschaft, welche nachher nach Basel
[* 13] verlegt wurde. Auch eine katholische Bibelgesel
lschaft
entstand in Regensburg
[* 14] 1805. Aus der Berliner
[* 15] Bibelgesel
lschaft, gestiftet 1806 durch den Prediger Jänike, ging die Preußische
Hauptbibelgesel
lschaft hervor, mit der zahlreiche Hilfsgesellschaften verbunden sind, und welche
unter den deutschen Bibelgesel
lschaften den ersten Platz einnimmt.
Andre Gesellschaften bestehen in Dresden
[* 16] (die sächsische Hauptbibelgesel
lschaft mit 51 Zweigvereinen, 1813 gegründet), Frankfurt
[* 17] a. M., Bremen,
[* 18] Lübeck,
[* 19] Hamburg,
[* 20] Elberfeld,
[* 21] Stuttgart,
[* 22] Nürnberg
[* 23] (Zentralverein für das protestantische Bayern,
[* 24] gegründet),
Schleswig,
[* 25] Straßburg
[* 26] etc. In der Schweiz bestehen Bibelgesel
lschaften zu Bern
[* 27] und Basel,
in Frankreich zu Paris,
[* 28] in Schweden zu Stockholm
[* 29] und Gotenburg, in Dänemark zu Kopenhagen.
[* 30] Bedeutend ist endlich noch die Wirksamkeit der großen amerikanischen Bibelgesel
lschaft,
die über 1000 Tochteranstalten zählt und den Grundsatz befolgt, nicht eher das Ausland in den Kreis
[* 31] ihrer
Thätigkeit zu ziehen, als bis jede Familie in den Vereinigten Staaten
[* 32] eine Bibel erhalten habe.
Sie hat seit ihrer Gründung (1817) über 36 Mill. Exemplare abgesetzt. Die Zahl der seit 1800 auf der ganzen Erde verbreiteten
Bibeln wird auf 150, die Gesamtverbreitung im J. 1878-1879 auf 5 Mill. geschätzt. Natürlicherweise
konnte es auch diesen Instituten nicht an Gegnern fehlen. Als 1817 die Regensburger Bibelgesel
lschaft vom Papst aufgehoben wurde,
erging gleichzeitig auch im Österreichischen ein Verbot gegen die Bibelgesellschaften
, infolgedessen die bereits
hier
und da entstandenen eingingen. In Rußland ist die Geistlichkeit der Bibelverbreitung in der jetzigen Volkssprache
meist abhold.
Selbst in dem protestantischen England nahmen Mitglieder der Hochkirche an dem Wirken der Bibelgesellschaften
Anstoß, besonders aus Abneigung
vor dem toleranten Standpunkt derselben den Dissenters gegenüber. Im freier denkenden Deutschland erhob man Widerspruch gegen
die Bibelgesellschaften
nicht sowohl auf Grund konfessioneller Bedenken, als vielmehr auf die Erfahrung sich berufend, daß
das durch die Verbreitung der Bibel beförderte Lesen derselben lange nicht den Segen wirklich gewähre, den man nach den großen
jener Verbreitung gebrachten Opfern zu erwarten berechtigt sei.
Besonders gegen die britische Bibelgesellschaft wurden ihre Schattenseiten, der Luxus in ihrer Administration, das Fabrikmäßige der Arbeit, der engherzige Geist (z. B. in Weglassung der Apokryphen) und die Sucht, das Reich Gottes nach Quadratmeilen zu messen, hervorgehoben. Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß die Bibel durch die ein wirksames Mittel zur Zivilisation, Humanisierung und christlichen Bildung der Völker geworden ist, des Nutzens für die linguistischen Studien, der aus diesen Bemühungen hervorgeht, nicht zu gedenken.