Bhutan
,
unabhängiger Gebirgsstaat im östlichen Himalaja in Ostindien [* 3] (s. Karte »Ostindien«),
zwischen 26-28° nördl. Br. und 89-93° östl. L. v. Gr., grenzt im N. an Tibet, im W. an Sikkim, im O. an die unzivilisierten Gebirgsvölker Oberassams (Abor, Mischmi etc.), im S. an Bengalen und umfaßt ein Areal von 35,200 qkm (640 QM.) mit 200,000 Einw. Das Land ist im Nordteil Hochgebirge mit Berggipfeln von mehr als 6760 m Höhe, im S. Mittelgebirge, die Vorberge des Himalaja mit tief eingerissenen Flußthälern enthaltend. In den Vorbergen gedeihen Reis, europäische Getreidearten, ja in ganz günstigen Lagen Zucker. [* 4]
Die Bewohner der alpinen
Region leben um so ärmlicher, da sie sich, wie alle Buddhisten, aus religiösem
Vorurteil der Fleischnahrung enthalten und nur
Milch,
Butter und
Käse genießen. Das wichtigste Jagdtier ist das
Moschustier.
Die Bewohner nennen sich
Bhutja und gehören zur tibetischen
Rasse (s.
Bhot); sie sprechen das
Tibetische, auch herrscht bei
ihnen wie in
Tibet die
Polyandrie.
Nominell gehorcht Bhutan
einem Herrscher, dem Dharma
Radscha (»Gesetzeskönig«),
der zugleich die Würde des höchsten geistlichen Oberhaupts bekleidet, in Wirklichkeit aber das willenlose Werkzeug seiner Umgebung ist. Die Hoheitsrechte werden von den obersten Würdenträgern ausgeübt; den höchsten Rang nimmt der Depa (»Regent«) ein, der von Hof- und Staatsbeamten auf Lebensdauer gewählt wird; auch dieser hat aber kaum über die Hauptstadt und ihre Umgebung Macht. Die wirkliche Gewalt wie das größte Einkommen liegen nicht in der Hand [* 5] der Zentralregierung, sondern in jener der drei Penlos (richtiger: Ponlob), d. h. der Provinzgouverneure von Paro, Tongso und Andipur, sowie des Festungsgouverneurs von Punakha (etwa 1250 m ü. M.) und der Hauptstadt Tassisudon (1333 m ü. M.). Diese Großen bedrücken die Unterthanen in jeder Weise; der Wohlhabende wird unter nichtigen Vorwänden seines Vermögens beraubt, der kleine Mann wird zu den härtesten Frondiensten im Ackerbau und als Lastträger bei Handelsunternehmungen gezwungen. Ein großes Hindernis für die Entwickelung des Landes ist ferner die große Zahl von Geistlichen. Sie beanspruchen, von den andern ernährt zu werden, und beteiligen sich an der Bodenbearbeitung nicht; Beschwörung der bösen Geister ist ihre Hauptbeschäftigung, und für diese erhalten sie noch weitere Gaben außer den Summen, welche ihnen die Pachter ihrer ausgedehnten Klostergüter zahlen.
Mit den Engländern kam Bhutan
zuerst 1772 in Berührung und 1826 in Streit infolge der Erwerbung
von
Assam durch jene. Der
Radscha von
Assam hatte früher die fruchtbaren
Thäler
(Duars) den Bhutanesen
längs seiner
Grenze gegen
einen
Tribut an
Moschus und andern wertvollen Handelsgegenständen abgetreten. Der
Tribut sollte einen bestimmten Wert
haben; da dieser Wert aber beim Verkauf nie erreicht wurde, forderte die indische
Regierung 1837 genaue Erfüllung, und die
Verhandlungen führten 1841 zur Abtretung der elf
Assam-Duars und des westlich davon
Britisch-Sikkim vorgelagerten
Distrikts
Ambari an die
Engländer, die dafür jährlich 20,100 Mk. zu bezahlen sich verpflichteten.
Räuberische Einfälle in die
Assam-Duars wurden mit Vorenthaltung der
Entschädigung geahndet, da
Vorstellungen
nichts fruchteten.
Nun stellten die Bhutanesen
1861
Truppen an der Sikkimgrenze auf; drei englische
Kompanien verjagten sie
zwar wieder, die
Regierung wünschte sich jedoch dauernd vor
Ruhestörungen zu sichern und beschloß 1862, eine englische Gesandtschaft
nach Bhutan
abzuschicken. Ende
November 1862 brach
Ashley
Eden mit einem großen
Gefolge von
Dardschiling in
Sikkim
auf, mußte sich aber schon an der
Grenze überzeugen, wie wenig angenehm sein Besuch war.
Auf dem Weg nach Punakha (nach der Hauptstadt kam er nicht) wurden ihm überall Hindernisse bereitet; seine
Eskorte mußte
wegen Mangels an Lebensmitteln zurückgeschickt werden. Anfangs noch artig empfangen, wurde er schließlich
mit dem
Tod bedroht und konnte seine Rückkehr erst nach Unterzeichnung eines
Vertrags bewerkstelligen, in welchem
England die
Assam-Duars wieder zurückgab. Das englische Ansehen forderte
Genugthuung für ein solches Benehmen; im
November 1864 wurde
der
Krieg erklärt und gegen jedes der sechs nördlich von den
Assam-Duars den Zugang zu Bhutan
beherrschenden
Forts eine stattliche
Armee gesandt, die sich ohne Schwertstreich in den
Besitz einiger festen
Punkte setzte.
Die Expedition war indessen so mangelhaft ausgestattet, daß kein des
Tibetischen Kundiger beim
Heer war, verhängnisvoll wurde
dies, als der Depa schriftlich feindselige Maßregeln ankündigte und diese
Briefe zur Entzifferung erst
nach
Kalkutta
[* 6] gesandt werden mußten. Der
Angriff fand statt, die
Engländer erlitten eine Schlappe, und erst nach neuen bedeutenden
Anstrengungen konnten 1866 die Bhutanesen
zur Abtretung der westlichen
Duars gezwungen werden. Im Friedensinstrument vom wird
dem Dharma
Radscha auf Wohlverhalten eine jährliche
Zahlung von 100,000 Mk. versprochen gegen Einlegung
englisch-indischer
Truppen in die Bergfesten Buxa und Dewangiri.
Als dann 1871-72 während der Expedition gegen die
Luschai an der birmanischen
Grenze die Grenzstriche gegen Bhutan
von
Truppen
entblößt werden mußten, ließen sich die Bhutanesen
mannigfache Übergriffe zu schulden kommen, was die
britische
Regierung 1872 veranlaßt, auf einer endlichen Feststellung der noch immer flüssigen
Grenze zu bestehen. Die Hauptstadt
Tassisudon (»geweihte Gesetzesstadt«) zählt über 2000
Kleriker; der
Palast des Dharma
Radscha beherbergt deren allein 1500.
Vgl. Turner, Account of an embassy to the court of the Teshoo Lama in Tibet (Lond. 1800; deutsch, Weim. 1801; nicht veraltet);
»Reports of missions to Bhotan« (Lond. 1865);
Rennie, Bhotan and the story of the Dooar war (das. 1866).