Titel
Bewässerung
oder
Irrigation, das
Mittel, dem
Boden und durch ihn der
Vegetation die erforderliche Feuchtigkeit,
eine der
Bedingungen frischen und ergiebigen Pflanzenwachstums, zu verschaffen; sie ist dasselbe im großen Maßstabe, was
das
Begießen bei der Gärtnerei im kleinen ist, und muß, gleich diesem, zu passender Jahreszeit mit Wasser von entsprechender
Beschaffenheit und auf einem
Boden, welcher schon im voraus dafür empfänglich gemacht worden ist, vorgenommen
werden. Da in warmen Klimaten oder auf sonst sterilen
Flächen häufig die Zufuhr von Wasser die einzige
Bedingung der
Fruchtbarkeit
eines
Bodens ist, so ist die Bewässerung
schon seit den ältesten
Zeiten zu einer der bedeutendsten
Meliorationen in der
Landwirtschaft
und demgemäß auch in systematischer
Weise zu einer Kunst ausgebildet worden, welche die eine Hälfte
der
Aufgabe der landwirtschaftlichen Kulturtechnik bildet.
Faksimile von Gutenber

* 2
Bibel.Schon die Bibel [* 2] erwähnt an mehrern Stellen die Leitung von Wasser über die Saaten; das Land zwischen Euphrat und Tigris, Mesopotamien, galt im grauen Altertum seiner zu Befruchtungszwecken durchgeführten Kanalisation halber für ein Vorbild landwirtschaftlichen Fortschritts; die Länder der ältesten Kultur, China, [* 3] Indien und Ägypten, [* 4] haben von jeher und bis heute die in jeglicher Weise zur Belebung ihrer Saaten benutzt. Das letztere Land begnügt sich keineswegs mit den periodischen Überschwemmungen des Nilstroms, sondern leitet dessen Gewässer vermittelst eines in der Neuzeit durch großartige Dampfwasserhebewerke unterstützten, weitverzweigten Kanalsystems durch sein ganzes Ertragsgebiet bis zum Rande der Wüste.
Bewässerung

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Seite 52.934. In Europa
[* 5] waren die
Etrusker die ältesten Bewässerun
gskünstler. Von den riesigen Werken, welche sie ausschließlich zum
Zwecke der Wasserzufuhr für die Felder errichteten, geben noch gegenwärtig die
¶
mehr
kolossalen Reste der philistinischcn Kanäle zwischen Etsch und Po Zeugnis. Sie übertrugen ihre Kunst auf die Römer.
[* 7] Am höchsten
entfaltete sich die Organisation der in der Lombardei. Seit den Römerzeiten unablässig entwickelt und ausgebaut, erstreckt
sich deren Kanalnetz für landwirtschaftliche Bewässerun
gszwecke gegenwärtig über 430000 ha. Die Hauptkanäle wurden zum
Teil schon im frühesten Mittelalter von den Städten Mailand,
[* 8] Brescia, Cremona unter der Herrschaft der Visconti, Sforza, Pallavicini,
Maggi, im Mantuanischcn durch die Gonzaga angelegt, unter Benutzung der vorhandenen Wasserbauten der Alten.
Spanien und Portugal

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Spanien.
Das Wasser liefern ihnen teils die Flüsse
[* 9] Adda, Tessin,
Brembo, Serio, Oglio, Mella, Clisio und Mincio, teils in
geringerm Maßstabe die Fontanili, gefaßte Quellen, von welchen insbesondere diejenigen geschätzt werden, welche auch in der
rauhen Jahreszeit ein warmes Wasser von durchschnittlich 10° R. ergießen, zur Anlage u nd Bewässerung
der herrlichen Winterwiesen,
Marcite, die sich außer der Lombardei nur noch in Spanien
[* 10] vorfinden. Die Abschlüsse der Bewässerung
münden sämtlich
in den Po, der durch sie große Mengen an Schlamm und Befruchtungsstoffen zu geführt erhält.
Die Länge aller lombard. Bewässerung
skanäle beträgt über 7000 km.
Die Wasserzufuhr, zu 1 l per Sekunde und Hektar, beläuft sich auf 428 cbm in der Sekunde. Der größte Bewässerung
skanal
der Lombardei ist der Naviglio grande, welcher, aus der Adda gespeist, die Wiesen, Hanf-, Lein- und Getreidefelder,
auch einige Reispflanzungen im östl. Teile des Mailändischen und in der Provinz Lodi, im ganzen ein Gebiet von 98000 ha bewässert;
er ist 50 km lang und zugleich schiffbar.
Noch größer ist als Kanal
[* 11] die 57 km lange Muzza, welche jedoch bloß auf zwei Dritteilen ihres Laufs
zur Bewässerung
eines Gebietes von 16400 ha benutzt wird, welches die Gera
[* 12] d’Adda und Crema einschließt. An den
großen Naviglio schließt sich der Kanal von Bereguardo, an die Muzza mehrere von Brembo, Serio und Oglio gespeiste Kanäle
im Bergamaskischen; ihnen reihen sich an die von Pavia, Cremona, Gavardo, Martesana (mil dem Naviglio
interno, der die Spülwasser der Stadt Mailand aufnimmt), Fusa; die Wasserleitungen Vailata, Ritorto, Pallavicino, Lonata,
Calcinata, Aquanegra, Marchionale, Pozzola u. a. Minder ausgebildet als in der Lombardei ist das Bewässerung
swesen im Piemontesischen;
doch hat dasselbe seit Erbauung des großen Cavourkanals (s. d.) einen größern Aufschwung genommen.
(Vgl. Hamm,
[* 13] Die Meliorationen in Italien,
[* 14] Wien
[* 15] 1875.)
Geschichtskarten von D

* 16
Deutschland. Aus der Lombardei gelangte durch heimgekehrte Söldner im 18. Jahrh, die Kunst der Bewässerung
nach Deutschland,
[* 16] zunächst an den Niederrhein,
wo sie sich besonders im Siegener Lande festsetzte und ausbildete. England, dessen Klima
[* 17] sie nicht bedarf, hat
wenig an Bewässerung
sanlagen auszuweisen, desto mehr Frankreich, das in seinem Süden noch mehr darauf angewiesen ist als
die Lombardei; die bedeutendsten Bewässerung
seinrichtungen finden sich hier in den Thälern der Loire und Garonne, ferner
in den Depart. Savoie und Haute-Savoie, Bouches-du-Rhône, Herault, Gard u. s. w. In Spanien haben schon die Mauren die
Bewässerung
eingeführt; ihr verdankt die Huerta di Valencia
[* 18] einzig ihre üppige Fruchtbarkeit. Aber auch die Urvölker der Neuen Welt
wußten sie zu gebrauchen, wie die Überbleibsel der von den Azteken in Mexiko
[* 19] ausgeführten großartigen Bewässerung
sanlagen
noch heute beweisen.
Die gegenwärtig in Anwendung befindlichen Bewässerungssysteme in Deutschland, meistens nur für Feuchterhaltung und Befeuchtung von Wiesenflächen benutzt, lassen sich in drei Gruppen bringen, je nachdem sie gewöhnliches Wasser verwenden oder zugleich eine Erdbewegung oder eine Düngung bezwecken. Zwar ist stets der wichtige Nebenzweck jeder Bewässerung eine direkte oder indirekte Befruchtung; [* 20] allein es kommt darauf an, welche Stoffe dem Wässerungswasser aufgeladen werden. Die reine Bewässerung umfaßt die folgenden Systeme:
1) Einsickerung oder Infiltration. Sie besteht darin, daß das in Gräben oder natürlichen Läufen zugeführte Wasser auf den Boden nur durch Eindringen von der Böschungsseite her wirkt, deshalb sich nicht über den Rand der Zuleitungen zu erheben braucht. Eine solche Bewässerung ergiebt auf leichtem, durchlassendem Terrain, insbesondere auf Moorland, ausgezeichnete Resultate; sie wird angewendet bei der Dammkultur der Moore und vorzugsweise in Lagen mit schwammigem Erdreich, deren Pflanzenwachstum viele Feuchtigkeit erheischt, also bei den Plantagenwirtschaften der warmen Zone. Eine hohe Temperatur unterstützt wesentlich die Wirkung der Infiltration.
Ausdehnung (der festen

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Ausdehnung.2) Stauung (Submersion) oder Überstauung. Es wird dabei ein Boden seiner ganzen Ausdehnung [* 21] nach mit Wasser überflutet, welches so lange darauf stehen bleibt, bis er sich genügend vollgesogen hat. Es wird hierbei durch Absatz der im Wasser suspendierten Stoffe zugleich eine Düngung der überstauten Fläche herbeigeführt. Die Zuleitung erfolgt gewöhnlich mittels Schwellung eines Wasserlaufs durch Wehren oder Schleusen; das Wässerungsgrundstück muß in den meisten Fällen eingedämmt werden. Die Stauung erfolgt nur im ersten Frühjahr oder im Spätherbst.
3) Rieselung (Irrigation). Bei diesem System wird der zu bewässernde Boden von laufendem Wasser unaufhörlich überrieselt, weshalb er ein Gefälle haben muß. Je nachdem dieses natürlich ist oder künstlich hergestellt werden muß, spricht man von natürlicher Bewässerung oder von Kunstbau. Läuft das Berieselungswasser bloß nach einer Seite hin, also auf einseitig schiefer Fläche hinab, so nennt man diese Bewässerungsart Hangbau; werden auf künstliche Weise zwei geneigte Flächen dachförmig aneinandergelehnt, so daß das Wasser von ihrer First aus beide überrieselt, so ist dies ein Dach- oder Rückenbau.
Bewdley - Bewegung

* 22
Seite 52.935.Eine Vermittelung zwischen Stauung und Rieselung bildet die Bewässerungsmethode von Petersen in Wittkiel in Holstein (daher auch Petersenscher Wiesenbau genannt) in Verbindung mit der Drainierung (s. d.); durch besondere von der Oberfläche durch Drähte zugängliche Ventile können einzelne Drainabteilungen geschlossen werden, so daß das Wasser, welches durch Berieselung zugeführt wird, unterirdisch nicht abfließen kann, sich staut und nun von unten den Boden und die Wurzeln der Pflanzen durchtränkt, bei genügender Wassermenge aus den Ventilschachten heraustritt und die Wiese berieselt. Beim Öffnen der Ventile wird der Boden durch die Drainanlage rasch entwässert und das Wasser steigt in eine neue tiefer gelegene Abteilung, wenn deren Ventile geschlossen werden, unterirdisch empor. Durch ein derartig wiederholtes Anstauen und Ablassen, verbunden mit einer oberirdischen Berieselung, wird nicht nur eine ausgiebige Bewässerung, sondern ¶
mehr
auch eine energische Durchlüftung des Bodens erzielt (S. Wiesen.)
4) Röhrenbewässerung. Die Zufuhr des Wassers geschieht in Röhren, [* 23] die Verteilung mittels mechan. Vorrichtungen. Man hat dazu entweder Spritzwagen von besonderer Konstruktion (Schweiz) [* 24] oder läßt sogar das Wasser aus durchlöcherten Rinnen von oben herab gleich einem Regen auf die Felder strömen (England). Mit diesem seltener angewendeten System der Bewässerung läßt sich auch zugleich eine flüssige Düngung verbinden. Bewässerung mit Erdbewegung. In vielen Gegenden findet diese in natürlicher Weise statt, z. B. in Ägypten durch die Überschwemmungen des Nils, welche stets eine, wenn auch äußerst geringe Schlammschicht zurücklassen und auf diese Weise das Bodenniveau allmählich erhöhen.
Diesen Effekt erzielt man aber auch auf künstliche Weise durch eine Bewässerung, deren Hauptzweck nicht die Zufuhr von Wasser, sondern von Erde in feinzerteilter Gestalt ist, wodurch eine Niveauveränderung und Verbesserung des Bodens herbeigeführt wird. Ist die erstere das Ziel, so heißt diese Melioration Anschwemmung (Colmatage, s. Kolmation); wird bloß eine befruchtende Wirkung beabsichtigt, Aufschwemmung (Limonage). Mittels der Colmatage (dies ist der gebräuchliche technische Ausdruck) werden die größten Korrektionsarbeiten mit überraschenden Erfolgen durchgeführt, z. B. Valdichiara, toscan.
Maremmen u. s. w. in Italien; Vallées de l’Arve (Haute-Savoie), de l’Arc et de l’Isere (Savoie) u. s. w. in Frankreich. – Bewässerung mit Düngung. Hierbei hat die Bewässerung den Zweck, eine gleichmäßige Zufuhr von befruchtenden Stoffen über größere Flächen zu vermitteln. Dies geschieht entweder mittels Druck durch stärkere Motoren (Dampfkraft u. s. w.) oder im natürlichen oder künstlichen Gefälle. Die Bewässerung selbst ist eine Rieselung. Man unterscheidet die Grubendüngerbewässerung (engl. Sewage) zur vorteilhaften Verwertung und Abfuhr der städtischen Abfälle, und das schott. System der flüssigen Düngung mittels unterirdischer Röhren und Schläuche, nach Kennedy.
Wärmeeffekt - Wärmelei

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Wärme.Bei der Bewässerung wirkt nicht bloß die kühlende und erfrischende Feuchtigkeit, sondern auch noch die Eigenschaft des Wassers, die unorganischen Pflanzennährstoffe im Boden löslich und den Gewächsen assimilierbar zu machen; ferner von anderm Boden dergleichen befruchtende Stoffe herbeizuführen, diese den Pflanzenwurzeln zu überliefern, den Boden locker zu erhalten, wohlthätige und nährende Gasarten in denselben zu bringen, kurz, ihre großen Erfolge resultieren aus der Vereinigung und Konzentration aller Kräfte des Bodens, der Luft, der Wärme, [* 25] des Lichts und der Feuchtigkeit, welche sie den Pflanzen zugänglich macht. Über das Associationswesen in der Bewässerung s. Wassergenossenschaften.
Litteratur. Sers, De l’irrigation dans les contrées montagneuses (Par. 1861);
Nadault de Buffon, Hydraulique agricole (2 Bde. mit Atlas, [* 26] ebd. 1862; Hauptwerk);
Hervé-Mangon, Expériences sur l’Emploi ds eaux dans les irrigations (ebd. 1863);
Laffineur, Guide pratique de l’ingénieur agricole, hydraulique irrigations (ebd. 1865);
Treuding, Ent- und Bewässerung der Ländereien (Hannov. 1865);
Haag, [* 27] Das Gesetz über die Be- und Entwässerungsunternehmungen zum Zwecke der Bodenkultur (Münch. 1866);
Beck, Über Ent- und Bewässerungsanlagen (Trier [* 28] 1866);
Villeroy und Muller, Manuel des irrigations (2. Aufl., Par. 1867);
Reinsch, Das Wasser und seine Bedeutung für das Leben der Pflanze (Erlangen [* 29] 1868);
Duponchel, Traité d’hydraulique et de géologie agricole (Par. 1868);
Laveleye, La Lombardie et la Suisse, études d’économie rurale (ebd. 1869);
Fegebeutel, Die Kanalwasserbewässerung (Danz. 1870);
F. C. Schubert, Landwirtschaftlicher Wasserbau (Berl. 1879);
Vincent, und Entwässerung der Äcker und Wiesen (2. Aufl., ebd. 1882);
Perels, Handbuch des landwirtschaftlichen Wasserbaues (2. Aufl., ebd. 1884);
Fuchs, [* 30] Der Petersensche Wiesenbau (ebd. 1885);
Ronna, Les canaux et les systèmes d’irrigation (Par. 1889).