Titel
Betriebssystem
,
Ackerbausystem, landwirtschaftliches Betriebssystem
oder Wirtschaftssystem, die Gesamtheit
derjenigen Regeln und Grundsätze, nach welchen ein bestimmter
Boden bewirtschaftet wird, um auf demselben die größtmögliche
Menge Pflanzensubstanz hervorzubringen. Das Betriebssystem
ist demnach der besondere Charakter, welchen eine
Landwirtschaft annimmt infolge
der Einwirkung von äußern, allgemeinen und lokalen Einflüssen. Bis zu gewissem
Grade sind die Betriebssystem
abgängig von den beiden
Hauptfaktoren der
Vegetation,
Klima
[* 2] und
Boden.
Diese zu regeln und zu modifizieren, wie es dem jeweiligen Zwecke des Betriebes entspricht, ist Aufgabe der Wirtschaftskunst. Gewöhnlich macht man einen Unterschied zwischen extensivem Betrieb und intensivem Betrieb; bei dem erstern wird mit den möglichst geringen, bei letzterm mit den möglichst großen Mitteln der höchste Reinertrag oder die größte Bodenrente zu erzielen gesucht. Natürlich kann jedes System einer Wirtschaft ebensowohl extensiv als intensiv betrieben werden.
Neben
Boden,
Klima und
Lage beeinflußt der
Absatz oder die thunlichst vorteilhafte Verwertung der gewonnenen Produkte die
Bildung
eines am meisten. Die
Aufstellung und Befolgung eines Betriebssystem
ist keineswegs
Bedingung der Produktion, im Gegenteil
wird letztere auf dem weitaus größten
Teil der Erde ohne ein solches erzielt. Die Bodenkultur auf ihrer niedrigsten und
auf ihrer höchsten
Stufe hat keine
Systeme; diese bilden gewissermaßen nur den Leitfaden, mittels dessen sich die minder
Vorgeschrittenen endlich bis zur völligen
Freiheit des Betriebes hinanarbeiten. Die bestehenden landwirtschaftlichen
Betriebssystem
lassen sich in folgende Gruppen bringen ^[Doppelpunkt fehlt]
1) Die Brandwirtschaft. Die Vegetation eines Bodens wird in bestimmten Zeiträumen durch Feuer zerstört, das durch die Asche gekräftigte Erdreich als Acker bestellt, solange es sich hinreichend ertragsfähig zeigt, sodann wiederum dem Wildwachstum überlassen. Diese in uncivilisierten Gegenden häufige Kulturmethode ist auch in Deutschlands [* 3] Waldgebirgen noch hier und dort mit regelmäßiger Wiederkehr üblich. Als verbesserte Brandwirtschaft ist zu betrachten die im nordwestl.
Europa [* 4] noch vielfach durchgeführte Moorbrand-Plaggenwirtschaft. Sie ist auf dem Terrain der Heiden und Moore heimisch; die oberste Narbe des Bodens mitsamt der Pflanzendecke wird abgeschält, die «Plaggen» genannten Stücke werden in Haufen gesetzt, langsam schwelend verbrannt, die Asche verteilt und untergeackert. Hierauf wird das Neuland, vielleicht mit einiger Düngernachhilfe, mehrere Jahre hindurch mit Buchweizen, Roggen oder Hafer [* 5] bestellt, alsdann der Natur überlassen; abermals überziehen es Heidekräuter oder Moorgräser, bis es wiederum reif ist zum Plaggenhauen. Diese Betriebsart verursacht den Höhenrauch (s. d.); sie ist schon den alten Römern bekannt gewesen, wie eine Stelle in Virgils «Georgica» zeigt. Zur Urbarmachung jungfräulicher Territorien ist überall die Hilfe des Feuers unentbehrlich. Nicht zu verwechseln mit der Moorbrandwirtschaft ist die in der neuesten Zeit so höchst erfolgreich eingeführte Melioration der Moordammkultur (s. Moorkultur) nach Rimpau u. a.
2) Die Koppel- oder Dreeschwirtschaft. Ein kleinerer Teil oder auch die Hälfte des Areals kommt unter den Pflug [* 6] und wird jährlich mit Nutzpflanzen bestellt, der andere Teil bleibt zur Weide, [* 7] aber im Wechsel mit dem ersten, liegen, und der Reinertrag wird aus der Viehzucht [* 8] gewonnen. Bloße Gras- oder reine Weidewirtschaft, wie sie in den Marschen oder auf Gebirgsweiden sich findet, hat mit Ackerbau nichts zu thun; sie beschränkt sich auf die Erzeugung von tierischen Produkten.
3) Die Körnerwirtschaft widmet sich ausschließlich dem Anbau der Cerealien, welche nur mit dem Wechsel zwischen Winter- und Sommerfrucht aufeinander folgen; die hierdurch unausbleibliche Erschöpfung des Bodens wird auszugleichen gesucht durch die Brache, ein Jahr der Ruhe ohne Bestellung. Die Körnerwirtschaften heißen auch ¶
mehr
Feldersysteme, und zwar nach der Anzahl der Felder oder Abteilungen eines Landguts, die nebeneinander mit verschiedenen Nutzpflanzen
bestellt sind; sonach hat man Zweifelderwirtschaft, Dreifelderwirtschaft u. s. w. Letztere,
schon bei den alten Römern allgemein und durch sie nach Deutschland
[* 10] gebracht, war und ist noch das verbreitetste aller Betriebssy
stem. Sie
bringt nach Brache zweimal Getreide
[* 11] und muß das zur Produktion des Düngers notwendige Futter von außen,
d. i. von Wiesen beziehen, ohne welche letztere sie nicht haltbar ist.
Durch die Einführung des Klees und der Kartoffeln wurden die Körnerwirtschaften in ihrem Wesen erschüttert; die letztern waren nicht anders unterzubringen als in der Brache, welche zu diesem Zwecke bestellt werden mußte. An die Stelle der reinen Brache, welche nach der Bearbeitung mit dem Pfluge den Namen Schwarzbrache führt, tritt also bei der «verbesserten Körnerwirtschaft» die grüne oder besömmerte Brache. Alle Körnerwirtschaften begünstigen vorzugsweise den Raubbau, die Ausbeutung der Pflanzennährstoffe des Bodens ohne genügenden Ersatz, zumal wenn sie nicht durch ein bedeutendes Areal an Weiden und Wiesen oder durch besondere günstige lokale Verhältnisse von außen unterstützt werden.
4) Die Wechselwirtschaft beruht auf dem Princip, daß nicht alle Nutzpflanzen dem Boden die gleiche Menge von Nährstoffen entziehen, sondern bald des einen, bald des andern in größerm Maße bedürfen, so daß, wenn z. B. der Acker durch den Bedarf einer Getreideernte die Fähigkeit verloren hat, eine zweite Getreideernte zu liefern, er immer noch im stande ist, eine gute Ernte [* 12] an Hackfrüchten oder Futterkräutern zu gewähren. In diesem Falle hatte die Körnerfrucht den Gehalt des Bodens an Phosphorsäure, dessen sie zu ihrer Entwicklung bedarf, erschöpft, nicht aber denjenigen an Kali, den die nachfolgende Frucht dann vorwiegend in Anspruch nahm.
Das Wesen der Wechselwirtschaft besteht demnach darin, daß sie das Areal zur Hälfte mit Marktpflanzen, zur andern Hälfte mit Futtergewächsen bestellt. Allein auch diese Kombination schließt die Bodenerschöpfung keineswegs aus, sie verlangsamt sie nur. Der Fruchtwechsel (wie diese Wirtschaft ebenfalls häufig genannt wird) verstattet durchaus nicht eine völlige Wiedergabe aller dem Boden entzogenen Bestandteile der Pflanzennahrung: das verkaufte Getreide, die Wolle und die Milch der Tiere, die Mineralbestandteile und Proteinstoffe der Rübe und der Kartoffel, sie gehen meistens verloren für den Boden, der sie erzeugte, es muß daher eine Zeit kommen, wo der Boden daran darbt und dies in der Abnahme seines Produktionsvermögens deutlich zeigen wird.
Auf die Dauer kann die Wechselwirtschaft nur bestehen unter Beihilfe des sog. künstlichen Düngers, welcher dem Acker diejenigen
Mineralbestandteile wiedergiebt, welche ihm trotz der reichhaltigen Unterstützung durch eine gesteigerte
Viehhaltung dennoch entzogen werden. Da bei diesem Betriebssystem
die Hälfte des Areals dem Futterbau gewidmet ist, so muß auch die
Viehzucht die Hälfte des Reinertrags bringen. Die Wechselwirtschaft ist übrigens nicht, wie vielfach angenommen, neuern
Ursprungs, sie ist gleichfalls schon den alten Römern bekannt gewesen und von ihnen geübt worden; sie
schieden die für das Frumentum (Getreide) und die für die Leguminosen
[* 13] (Futterkräuter) bestimmten Feldabteilungen voneinander
und ließen dieselben in der Regel abwechseln. Die richtigen Gesetze der
Wechselwirtschaft datieren aber erst seit den von
Liebig aufgestellten Grundsätzen der Pflanzenernährung.
Die freie Wirtschaft ist kein eigentliches System; dieselbe bindet sich an keine andern Normen als an diejenigen des Gleichgewichts zwischen Erschöpfung und Ersatz; sie produziert, nicht was sie kann, sondern was sie will. Möglich ist es aber nur mit Erfolg, sobald genügende Betriebsmittel zu Gebote stehen und Intelligenz sie leitet. Das Wesen der freien Wirtschaft besteht darin, daß eine bestimmte Fruchtfolge niemals im voraus festgesetzt ist, ebenso die sich gleichbleibende Schlageinteilung des Ackerlandes wegfällt. Sie ist ein Industrialbetrieb, dessen Produktion sich der Nachfrage anzubequemen weiß; sie ist der Gipfel der Hochkultur.
Die geographische Verbreitung der Wirtschaftssysteme nachzuweisen, ist eine schwierige, bis jetzt nur mangelhaft gelöste Aufgabe. Der größte Teil der produktiven Erdoberfläche wird gegenwärtig noch gar nicht systematisch bewirtschaftet, sondern nur benutzt; den nächstgrößten Raum nimmt wahrscheinlich die freie Wirtschaft ein, welche in China, [* 14] Japan, Indien, Nordamerika [* 15] vollkommen einheimisch ist. Die Verbreitungskreise der Körnerwirtschaft und der Weidewirtschaft halten sich so ziemlich die Wage; [* 16] die Brandwirtschaft findet sich nur vereinzelt.
Aus der Litteratur über die Betriebssystem
sind hervorzuheben: Koppe, Revision der Ackerbausysteme (Berl. 1818);
Kreißig, Ökonomische und physik.
Beleuchtung [* 17] der wichtigsten Feldbau- oder Wirtschaftssysteme (Lpz. 1833);
Schwerz, Natur, Wahl und Wert aller bekannten Fruchtfolgen und Feldsysteme (Bd. 3 von dessen Anleitung zum praktischen Ackerbau, 3. Aufl., Stuttg. 1843);
Schober, Grundzüge zur Theorie der Wirtschaftssysteme (Anklam [* 18] 1846);
von Wulffen, Entwurf einer Methodik zur Berechnung der Feldsysteme (Berl. 1847);
Göriz, Die in Württemberg [* 19] üblichen Feldsysteme und Fruchtfolgen (Tüb. 1848);
Hlubek, Die Wirtschaftssysteme in national-ökonomischer, statist. und pekuniärer Beziehung (Prag [* 20] 1851);
Maron, Extensiv oder Intensiv? Ein Kapitel aus der landwirtschaftlichen Betriebslehre (Oppeln [* 21] 1859);
Themann, Der Fruchtwechsel und seine Bedeutung (Bonn [* 22] 1864);
Walz, Landwirtschaftliche Betriebslehre (Stuttg. 1867);
Themann, Die Wirtschaftsregulierung und Verkoppelung im nördl. Deutschland (2. Aufl., Oldenb. 1869);
Drechsler, Die Statik des Landbaues (Gött. 1869);
Komers, Die landwirtschaftliche Betriebsorganisation (2. Aufl., Prag 1876);
Delius, Die Reinerträge der Wirtschaftssysteme (Glogau [* 23] 1871);
Thaer, System der Landwirtschaft (Berl. 1877);
Settegast, Die Landwirtschaft und ihr Betrieb (3. Aufl., Bresl. 1885);
Krafft, Lehrbuch der Landwirtschaft, Bd. 4: Die Betriebslehre (4. Aufl., Berl. 1885);
Pohl, Landwirtschaftliche Betriebslehre (Bd. 1 u. 2, Lpz. 1885-89);
von der Goltz, Handbuch der landwirtschaftlichen Betriebslehre (Berl. 1886);
Fühling, Ökonomik der Landwirtschaft (ebd. 1889);
Dünkelberg, Die landwirtschaftliche Betriebslehre (2 Bde., Braunschw. 1889-90);
Bürstenbinder und Guradze, Intensiv oder Extensiv? (Berl. 1891).