Bessarabien
,
ein Gouvernement des südwestlichen Rußland (s. Karten »Rußland« u. »Rumänien«), [* 3]
vom Schwarzen Meer, dem Dnjestr und dem Pruth umschlossen, welch letzterer die Grenze gegen die Moldau u. Bukowina bildet, umfaßt 45,630,8 qkm (828,7 QM.). Der südliche Teil ist flaches, mit hohem Gras überwuchertes Steppenland, den nördlichen bedeckt ein nicht hoher, bewaldeter Zweig der Karpathen. Bei Bender beginnen die aus verkrüppelten Eichen, wilden Obstbäumen und Dornengebüsch bestehenden Steppengehölze, in welchen sich zahlreiche Wölfe sammeln. Im ganzen ist etwa ein Fünftel der Provinz unbrauchbares Land, etwa ebensoviel ist Kulturboden, und fast die Hälfte bildet Weideland; 2808 qkm (51 QM.) sind mit Wald bedeckt.
Außer den erwähnten Grenzflüssen sind der Kagilnik und der Jalpuch als Hauptflüsse des Landes zu nennen. Das Klima [* 4] ist im Sommer sehr heiß, namentlich im S., im Winter dagegen ziemlich streng; zuweilen dauert der Frost vom September bis März. Aber trotz der häufigen Dürre und der gewaltigen Sommerhitze sind nach dem Regen die Ernten äußerst ergiebig; nur die Weinernte wird nicht selten durch anhaltenden Herbstregen verdorben. Die Bevölkerung [* 5] bezifferte sich 1881 auf 1,397,842 Seelen.
Hier leben Moldauer, Russen, Serben, Bulgaren, Griechen, Armenier, Juden, Tataren, Zigeuner sowie zahlreiche deutsche Kolonisten. Im ganzen zerfallen die Kolonien in in zwei Klassen: 82 Dörfer wurden an den Ufern des Pruth und des Kagul von griechisch-bulgarischen Kolonisten, 27 andre in den Ebenen des südlichen Teils von Deutschen gegründet;
eine Schweizerkolonie liegt 6 km von Akjerman.
In dem Maß, wie die Zahl der Kolonisten sich vermehrte, wurden ihnen neue Ländereien angewiesen. Jetzt leben im sogen. Budschak (s. d.) etwa 70,000 Bulgaren, deren Auswanderung namentlich aus Schumna, Sliwno, Prawady Ende vorigen Jahrhunderts begann;
sodann zwischen denselben über 26,000 Deutsche, [* 6] deren Dörfer bedeutungsvolle Namen tragen, wie Borodino, Leipzig, [* 7] Beresina, Paris, [* 8] Töplitz, Arcis etc. Haupterwerbszweige der Bevölkerung sind Ackerbau und Viehzucht; [* 9]
am meisten gebaut werden Weizen, Hirse [* 10] und Mais;
außerdem liefert der Boden Flachs, Tabak [* 11] (1883: 9 Mill. kg), Melonen und Kürbisse, wild wachsenden Safran und Krapp etc. Die gesamte Getreideernte betrug 1877: 5,953,000 hl. Auch Obst- und Maulbeerbäume, Rüben sowie Wein werden mit Erfolg gebaut (der beste wächst um Akjerman und am linken Ufer des Dnjepr-Limans; der Ertrag beläuft sich in günstigen Jahren auf 22 Mill. hl).
Der Viehstand weist (1876) 158,000
Pferde,
[* 12] 351,000
Rinder
[* 13] und
(1882) 1,895,852
Schafe,
[* 14] davon 265,369 feinwollige, auf. Außerdem finden sich
Schweine,
[* 15]
Ziegen, viel
Wild,
Büffel, wildes Geflügel,
z. B.
Trappen,
Kraniche,
Reiher etc., sehr viele
Fische,
[* 16]
Bienen etc. Das Mineralreich liefert
Salz
[* 17] (von dem
jährlich 820,000 metr.
Ton. gewonnen werden),
Salpeter,
Steinkohlen,
Marmor etc. Die noch unbedeutende
Industrie Bessarabiens
beschäftigt sich mit der Herstellung von
Branntwein (1883
Produktion 51 Mill.
Grad),
Öl (163
Ölmühlen),
Mehl
[* 18] (von den im J. 1883 vorhandenen 6948
Mahlmühlen
wurden nur 3 mit
Dampf
[* 19] betrieben), Wollwaren (besonders
Jacken und
Teppiche),
Leinwand, Töpferwaren,
Bier
(6
Brauereien),
Zucker
[* 20] (1
Fabrik).
Die
Industrie ist meist nur auf den Lokalbedarf berechnet. 1879 zählte man nur 130
Fabriken mit 894 Arbeitern und einem Produktionswert
von 2 Mill.
Rubel. Nicht viel bedeutender ist der
Handel, der durch mehrere gute Häfen, z. B. zu
Kilia
und
Akjerman, unterstützt wird und fast ausschließlich in den
Händen der
Juden und Armenier sich befindet. Bessarabien
wird von einem
Zivilgouverneur, der unter dem
Generalgouverneur von
Neurußland steht, verwaltet. Die Hauptstadt
Kischinew
[* 21] ist der Sitz einer
Diözese, zu welcher 1034
Kirchen und etwa 20 Klöster gehören. Eingeteilt wird in sieben
Kreise
[* 22] (Tsenuts):
Kischinew, Bielzy,
Chotin,
Bender,
Akjerman, Orgjejew und
Soroki. - Bessarabien
, von skythischen Nomadenstämmen bewohnt, kam 106
n. Chr.
als östlicher Teil von
Dacien durch Trajan in lockere Abhängigkeit von
Rom,
[* 23] ward im 3. Jahrh. von den
Goten besetzt, in der
Völkerwanderung der Schauplatz verheerender Völkerzüge, von dem
Stamm der
Bessen (von denen es seinen
Namen führt), dann nacheinander von andern Völkern (Ugrern,
Petschenegen,
Kumanen etc.) besetzt.
Seit 1367 gehörte es zur
Moldau und war dann abwechselnd im
Besitz der
Tataren und der
Türken. Ein Zankapfel in den
Kriegen
zwischen Rußland und der Türkei,
[* 24] wurde Bessarabien
durch den
Frieden von
Bukarest
[* 25] mit Rußland vereinigt.
Da das Land sehr verwahrlost war, wurde von der russischen
Regierung bestimmt, daß die großen Gutsbesitzer entweder ihren
Wohnsitz im Land nehmen, oder ihre
Güter verkaufen mußten; so wurden letztere meist verkauft, wodurch eine
große Zahl kleinerer
Besitzer ins Land kam, was zur
Kultur desselben einiges beitrug.
Beim Frieden von Adrianopel 1829 kamen noch einige Annexe an Rußland, wodurch die Donaumündungen der Türkei verloren gingen. Diese Annexe, ein Landstrich zwischen dem Pruth und Jalpuch und der südliche Teil bis zum Trajanswall, mit den Festungen Ismail und Kilia, etwa 202 QM. mit 180,000 Einw., wurden durch den Pariser Frieden vom an die Moldau zurückgegeben. In dem Berliner [* 26] Frieden von 1878 erhielt Rußland 9274 qkm (168,4 QM.) mit gegen 127,000 Einw. zurück.
Vgl. Nakko, Geschichte Bessarabiens
von den ältesten
Zeiten an
(Odessa
[* 27] 1873).