Titel
Beschwerde.
1) Auf dem Gebiete der
Verwaltung heißt Beschwerde
das Rechtsmittel, welches dem durch einen
Akt der Verwaltungsbehörde
Benachteiligten zusteht und welches durch Anrufung der höhern Instanz die Beseitigung jenes
Aktes bezweckt. Während früher
die Beschwerde
auf diesem Gebiete nur eine formlose Anrufung höherer
Behörden war, hat die neuere Verwaltungsgesetzgebung sie unter
bestimmten
Voraussetzungen in den
Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit (s. d.) eingefügt, ohne daß jedoch
hierdurch die erstere Beschwerde
beseitigt worden wäre. In besonderer
Weise hat die Reichsgewerbeordnung das
Beschwerde
verfahren für genehmigungspflichtige
Anlagen geordnet. Die Grundzüge des
Verfahrens sind von
Reichs wegen normiert,
die nähern Vorschriften giebt das Landesrecht (Gewerbeordn. §§. 16, 20 fg.).
Deutsche Altertümer -

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Deutsche. 2) Eine ähnliche Bedeutung hat die in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, z. B.
in Vormundschafts-Nachlaßsachen, in Grundbuchsachen. Darüber enthalten die einschlagenden Landesgesetze
die maßgebenden Bestimmungen. Für Beschwerde
dieser
Art ist das Deutsche
[* 2] Reichsgericht nicht zuständig.
3) Im Civilprozeß (vgl. Civilprozeßordn. §§. 530-540) bedürfte es neben den Rechtsmitteln
der
Berufung (s. d.) und Revision (s. d.),
welche der Korrektur sachlicher, auf mündliche Verhandlung in Form des
Endurteils unter den Prozeßparteien
ergehender
Entscheidungen dienen, noch eines Rechtsmittels zur endgültigen
Entscheidung von prozessualen Nebenstreitpunkten,
welche teils nur die Vorbereitung (Verhandlung) oder Ausführung
(Vollstreckung) des
Endurteils betreffen, teils gar nicht
zwischen den Parteien, sondern zwischen Parteien und Dritten (z. B. Zeugen) entstehen, also
mehr formaler Natur sind. Dieses Rechtsmittel bildet die Beschwerde.
Dieselbe ist ihrem Zweck entsprechend
unter vereinfachte Formen gestellt, auch nicht mit Suspensiveffekt (s.
Berufung 1) ausgestattet. Sie zerfällt in die einfache
oder fristlose und die sofortige Beschwerde
, deren wesentlicher Unterschied darin beruht, daß die letztere der formellen
Rechtskraft (s. d.) fähig ist, die erstere nicht. - Zulässig ist die
Beschwerde
einerseits gegen
Entscheidungen, welche ein das Prozeßverfahren betreffendes Gesuch einer Partei, für welches mündliche
Verhandlung nicht vorgeschrieben ist, zurückweisen, andererseits in gewissen von der Civilprozeßordnung besonders bezeichneten
Fällen.
Über die hat zu entscheiden die nächst höhere Instanz, also bei Beschwerde
gegen ein
Amtsgericht das übergeordnete Landgericht,
bei Beschwerde
gegen ein Landgericht das übergeordnete Oberlandesgericht, bei Beschwerde gegen
ein Oberlandesgericht das Reichsgericht. Gegen die
Entscheidung des Beschwerde
gerichts ist unter Umständen, nämlich wenn
dieselbe einer Partei einen neuen selbständigen Beschwerde
grund bietet, ein Fall, der ausgeschlossen ist beim Vorliegen
zweier gleichlautender
Entscheidungen, eine weitere an die noch gegebene höhere Instanz statthaft.
Die Einlegung der Beschwerde
erfolgt grundsätzlich beim angegriffenen und nur in dringenden Fällen beim Beschwerdegericht,
und zwar durch Einreichung eines Schriftsatzes, welcher regelmäßig dem
Anwaltszwange (s.
Anwaltsprozeß) unterliegt, in gewissen
Ausnahmefällen auch durch Erklärung zum Gerichtsschreiberprotokoll. Die Vorbringung neuer
Thatsachen und
Beweise ist zulässig.
Das
Verfahren im weitern fällt dem gerichtlichen Amtsbetriebe anheim. Erachtet das Gericht oder der
Vorsitzende, dessen
Entscheidung angegriffen wird, die Beschwerde
für begründet, so haben sie derselben abzuhelfen.
Sonst ist die Beschwerde
dem Beschwerdegericht vorzulegen. Vor diesem bedarf es keiner mündlichen Verhandlung; wohl
aber kann schriftliche Erklärung der Beteiligten eingeholt werden. Das Beschwerde
gericht hat grundsätzlich
selbst zu entscheiden. Die unstatthafte Beschwerde wird als unzulässig verworfen, die unbegründete zurückgewiesen.
Ist die Beschwerde begründet, so hat das Beschwerdegericht die angefochtene
Entscheidung aufzuheben und die dann erforderliche
Anordnung
regelmäßig selbst zu treffen; doch kann es solche auch der angegriffenen Instanz übertragen. - Die Regelung der sofortigen
Beschwerde weicht wesentlich insofern ab, als sie einer
Notfrist von zwei Wochen unterliegt und auch in nicht
dringenden Fällen beim Beschwerdegericht eingereicht werden kann und die angegriffene Instanz zur eigenen Abänderung des
angegriffenen Beschlusses nicht befugt ist.
4) Im Konkursverfahren ist nach der Deutschen Konkursordnung (§. 66, Abs. 3) bezüglich aller ergangenen Entscheidungen Beschwerde zulässig, soweit dieses Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. In allen diesen Fällen findet «sofortige» Beschwerde statt (s. unter 3). Das Recht der Beschwerde steht allen Personen zu, deren Interesse durch die ergangene Entscheidung verletzt wird.
Nach der Österr. Konkursordnung (§. 70) kann derjenige, der sich durch die Verfügungen des «Konkurskommissars» (s. d.) beschwert erachtet, die Entscheidung des Konkursgerichts einholen, gegen welche (nach §. 257) der «Rekurs» an den höhern Richter offen steht.
Beschwerdebuch - Besch

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Seite 52.877.5) Im Strafprozeß (§. 346) ist die Beschwerde zulässig gegen alle von den Gerichten in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz erlassenen ¶
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Beschlüsse (s. d.) und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden (s. d.), des Untersuchungsrichters (s. d.), des Amtsrichters (s. d.) und eines beauftragten oder ersuchten Richters (s. d.), soweit das Gesetz nicht dieselben der Anfechtung entzieht. Ausgeschlossen ist die a. gegen Urteile (s. d.) und die der Urteilsfällung vorhergehenden Entscheidungen der erkennenden Gerichte, sofern letztere nicht Verhaftungen, Beschlagnahmen oder Straffestsetzungen betreffen oder gegen dritte Personen, die nicht zu den Prozeßbeteiligten gehören, gerichtet sind (§. 347);
beschwerde gegen Beschlüsse und Verfügungen des Reichsgerichts und der Oberlandesgerichte überhaupt (§. 346);
c. gegen Beschlüsse in der Beschwerde-Instanz mit Ausnahme der vom Landgerichte erlassenen, Verhaftungen betreffenden Beschlüsse (§. 352);
d. in den in der Strafprozeßordn. §§. 28 (s. Ablehnung), 46 (s. Wiedereinsetzung), 180 (s. Voruntersuchung), 199, 200, 209 (s. Eröffnung des Hauptverfahrens), 270, 388 (s. Unzuständigkeitserklärung), 279 (s. Schwurgericht) und im Gerichtsverfassungsgesetz §§. 41, 52, 53, 75 (s. Schöffengericht), 94 (s. Schwurgericht) behandelten Fällen.
Die Beschwerde steht nicht bloß den Prozeßbeteiligten (Angeklagten, Staatsanwalt, Privat- und Nebenkläger), sondern auch dritten Personen (Zeugen, Sachverständigen, Verteidigern, Dolmetschern, Schöffen, Geschworenen u. s. w.) zu, sofern sie durch die Entscheidung betroffen werden (§. 346). Man unterscheidet auch hier die einfache Beschwerde, welche die Regel bildet, von der «sofortigen», welche an eine einwöchige Frist gebunden ist. (Vgl. Strafprozeßordn. §§. 28, 46, 81, 122, 180, 181, 199, 209, 270, 363, 412, 455, 461, 463, 494, 501; Gerichtsverfassungsgesetz §. 183.) - Die Beschwerde kann zu Protokoll des Gerichtsschreibers oder schriftlich eingelegt werden, der Regel nach bei demjenigen Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird (judex a quo), in dringenden Fällen - die sofortige auch sonst - bei dem Beschwerdegericht (judex ad quem).
Ablauf - Ableitung

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Ablauf.Das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, ist bei der fristlosen - nicht bei der sofortigen - Beschwerde befugt, derselben durch Abänderung seiner Entscheidung abzuhelfen, andernfalls verpflichtet, die Akten vor Ablauf [* 4] von drei Tagen dem Beschwerdegericht vorzulegen (§. 348). Die hat der Regel nach keine aufschiebende Wirkung (Suspensiveffekt, s. d.), doch kann sowohl das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, als auch das Beschwerdegericht die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung anordnen (§. 349). Die Beschwerde kann auf rechtliche oder thatsächliche Gründe, auch auf neue Anführungen oder Beweise gestützt und dadurch dem Beschwerdegericht Veranlassung gegeben werden, eine schriftliche Gegenerklärung zu erfordern, sowie neue Ermittelungen anzuordnen oder selbst vorzunehmen (§. 350). Die Entscheidung erfolgt ohne mündliche Verhandlung, in geeigneten Fällen nach Anhörung der Staatsanwaltschaft (§. 351). Über Beschwerde gegen Entscheidungen des Untersuchungsrichters, des Amtsrichters und des Schöffengerichts entscheidet die Strafkammer (s. d.) des Landgerichts, über Beschwerde gegen Entscheidungen der Strafkammern und des Schwurgerichts entscheidet der Strafsenat (s. d.) des Oberlandesgerichts. Über Beschwerde, die sich auf die Zulässigkeit der Rechtshilfe (s. d.) und die Handhabung der Sitzungspolizei (s. d.) beziehen, entscheidet in allen Fällen das Oberlandesgericht (Gerichtsverfassungsgesetz §§. 72, 123, Nr. 5, 160, 183).
Die Österr. Strafprozeßordnung läßt gegen Entscheidungen der Bezirksrichter, sofern dieselben nicht der Berufung unterliegen, an den Gerichtshof erster Instanz binnen drei Tagen (§. 481), gegen Verfügungen oder Verzögerungen des Untersuchungsrichters an die Ratskammer und gegen deren Entscheidung ausnahmsweise, insbesondere über Verhaftung, Beschwerde mit dreitägiger Frist an den Gerichtshof zweiter Instanz zu (§§. 113, 114) und ordnet im übrigen die Beschwerde bei den einzelnen Fällen.
6) Wegen Justizverzögerung oder Justizverweigerung findet die Beschwerde sowohl in Civilprozeß- wie in Strafsachen an die vorgesetzte Behörde statt. Das Deutsche Reichsgericht ist nicht vorgesetzte Behörde der Landesgerichte; nur bei Ablehnung der Rechtshilfe geht eine A. an das Reichsgericht nach §. 160 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Dagegen ist nach Art. 77 der Reichsverfassung eine Beschwerde wegen Justizverweigerung an den Bundesrat zulässig.
7) Beim Militär sind die Vorschriften über Beschwerde erst in der neuesten Zeit einer Linderung unterzogen worden, indem eine Kabinettsorder vom bestimmt, daß der zweite Satz des Kriegsartikels 22 für die Folge festzusetzen habe, daß der Soldat niemals während oder unmittelbar nach Beendigung des Dienstes, sondern erst am folgenden Tage seine Beschwerde anbringen darf. Im weitern Verfolg dieser grundlegenden Änderung sind dann auch die Bestimmungen über die Beschwerdeführung der Personen des Soldatenstandes vom Feldwebel abwärts in diesem Sinn abgeändert worden. Nicht berührt sind bei dieser Neuerung die alten Vorschriften, nach denen die Beschwerde von Soldaten in einem besondern Dienstwege zur Kenntnis der Vorgesetzten desjenigen, über welchen Beschwerde geführt wird, zu gelangen haben.