Titel
Bernstein.
[* 2]
Verfälschungen des
Bernsteins, der in kleinen
Fragmenten in den
Handel kommt, sind nicht selten. Der Bernstein
unterscheidet
sich von den weichern
billigen
Harzen durch seine
Geruchlosigkeit und die dem Fingernagel widerstehende
Härte.
Kopal ist nahezu ebenso hart wie Bernstein.
Auf einer heißen
Platte aber gibt Bernstein
scharf aromatische, wie
Gewürznelken riechende
Dämpfe, während Kopaldämpfe medikamentös bitter, an
Kopaivabalsam erinnernd riechen. Von Glasimitationen unterscheidet
sich Bernstein
dadurch, daß er von einer Messingstecknadel geritzt wird,
Glas
[* 3] nicht. In einer
Lösung von 28 g trocknem
Speisesalz in 250 g
Wasser sinkt
Glas zu
Boden, während und
Kopal in der Mitte schweben.
Ein klares Spaltungsstück von
Steinsalz wird durch eine scharfe Kopalkante nicht geritzt, während eine scharfe Bernstein
kante
eine wenn auch nur mit der
Lupe
[* 4] sichtbare
Furche reißt. Geringere Kopalsorten schmelzen bei 180-230°, B.
erst bei 287°.
Letzterer brennt daher an der Kerzenflamme, ohne abzuträufeln, während dies bei
Kopal erfolgt. Auch sind
diese Kopalvarietäten in
Schwefelkohlenstoff oder
Äther merkbar löslich, Bernstein
nicht.
Falsifikate aus ordinären
Harzen schmelzen
oder erweichen in kochendem
Wasser.
Während Bernstein
, namentlich der weiße, undurchsichtige, unter dem
Mikroskop
[* 5] zahlreiche, der gelbe, durchsichtige
seltenere und kleinere
Poren zeigt, sind dieselben in dem in heißem
Öl erweichten und dann geformten Bernstein verschwunden, wogegen
dieser unzählige fischschuppenartige feine
Sprünge besitzt. Das aus Bernsteinabfällen mit heißem
Schwefelkohlenstoff und
Äther dargestellte Ambroid zerfällt, wenn
man es längere Zeit in
Äther legt. Um zu prüfen, ob größere
Bernsteinstücke wirklich aus einem
Stück bestehen oder aus mehreren kleinen zusammengesetzt sind, legt man sie in kochendes
Wasser, welches gekittete
Stücke trennt.
[Geschichtliches.]
Die Ausgrabungen der neuern Zeit haben aus prähistorischen Gräbern, z. B. denjenigen von Hallstatt, der ältesten Eisenzeit aus Italien [* 6] und aus vorhomerischen Gräbern Griechenlands, so zahlreiche Stücke zu Schmuckgegenständen verarbeiteten Bernsteins ans Licht [* 7] gefördert, daß die Frage nach der Herkunft desselben zu einer brennenden geworden war. In den der Vorgeschichte Griechenlands ungehörigen Königsgräbern von Mykenä [* 8] fand Schliemann allein mehr als 1000 Bernsteinperlen der verschiedensten Größen, und ebenso sind die prähistorischen Museen Italiens [* 9] sehr reich an derartigen Funden.
Da man nun das Alter der Gräber von Mykenä noch über die Zeit der sogen, dorischen Wanderung (um 1100 v. Chr.) ansetzt, so würde man hier die sichern Spuren ältester Handelsbeziehungen zwischen Griechen und nordischen Völkern vor sich haben, wenn der Nachweis geführt werden könnte, daß es sich dabei um Ostseebernstein handelt. Früher hat man auch bei der Erwähnung der Bernsteinsagen seitens des Homer und andrer sehr alter Dichter keinen Zweifel daran gehegt, daß es sich so verhalte, und der französische Herodotforscher Larcher trug kein Bedenken, anzunehmen, daß der sagenberühmte Eridanosstrom, aus dem der Bernstein gefischt werden sollte, die Nadaune bei Danzig [* 10] wäre, während Hasse wohl richtiger den Eridanos auf die Ostsee bezogen hatte. Man nahm an, daß die Phöniker ihre Seefahrten bis zu den nordischen Meeren ausgedehnt und von dort Zinn und Bernstein geholt hätten. Nachdem die letztere Annahme im besondern durch Müllenhoff erschüttert worden war, begann indessen die Meinung, daß an nähern Orten gegrabener Bernstein das Material für diese prähistorischen Schmucksachen [* 11] hergegeben habe, die Oberhand zu gewinnen, und im besondern bemühte sich Capellini, zu beweisen, daß ¶
mehr
der Bernstein der etruskischen Nekropolen aus Funden der italienischen Molasse (Bologna) stamme. Nun ist es allerdings richtig, daß Bernstein nicht bloß an den germanischen Seeküsten, sondern auch an vielen Orten Mittel- und Südeuropas, ja selbst in Nordafrika und Syrien gelegentlich gefunden wird, wenn auch alle diese Fundorte an Ergiebigkeit gegen die Ostseeküsten für den Handel kaum in Betracht kommen.
Inzwischen fand Helm, daß die fossilen Harze südlicher Fundorte vom Ostseebernstein wesentlich verschieden sind, und daß der Bernstein von Mykenä und der prähistorischen Gräber Italiens thatsächlich mit Ostseebernstein identisch ist. Schon vor längerer Zeit hatte er gezeigt, daß die Bernsteinsorten südlicher Herkunft bei der trocknen Destillation [* 13] höchstens Spuren von Bernsteinsäure liefern, von der man 4-7 Proz. aus Ostseebernstein erhält. Die Benrnsteinsorten des Südens liefern statt dessen Ameisensäure und sind vielleicht als das Harz eines ganz verschiedenen Baumes zu betrachten.
Von allen untersuchten Proben aus südlichen Fundstätten ergab nur der rumänische Bernstein eine annähernde Menge Bernsteinsäure; doch kommt gerade diese Sorte für Schmucksachen am wenigsten in Betracht, da sie an Farbe, Härte und Polierfähigkeit dem Ostseebernstein erheblich nachsteht. Es scheint demnach kaum mehr einem Zweifel zu unterliegen, daß die vorhomerischen Griechen sowohl als die vorgeschichtlichen Etrusker ihren Bernsteinbedarf von den Ostseeküsten bezogen haben, und Krause hat dargelegt, daß diese Thatsache auch den ältern griechischen Schriftstellern und selbst noch dem Herodot wohl bekannt war, und daß erst Äschylos, Sophokles und Euripides durch ihre poetischen Behandlungen der Sage vom Sturz des Phaethon in den Eridanos die alte Tradition verwirrten und zu der später allgemein angenommenen Meinung verleiteten, unter dem Bernsteinfluß Eridanos sei der Po zu verstehen. Noch später verschwand dann bei den Alten alle und jede sichere Kunde von dem Bernsteinland im Norden, [* 14] so daß es durch Pytheas, Plinius und Tacitus wieder völlig neu entdeckt werden mußte.
Die Frage, ob der Bernstein der Ostseeküsten auf dem Wasser- oder Landweg nach dem Süden gelangt sei, dürfte zu gunsten der letztern Verkehrsweise entschieden werden, wenn auch einzelne bis zur Ostsee gedrungene Fahrten der Phöniker kaum zu bestreiten sein möchten. Oppert hat unlängst eine Inschrift des Königs Assurnasirpal von Assyrien (883-860 v. Chr.) veröffentlicht, in der gesagt wird, daß seine Leute bis zu dem Meer vorgedrungen seien, woselbst der Nordstern im Zenith steht, und dort eine Substanz aus dem Wasser gefischt hätten, welche fast wie Kupfer [* 15] aussähe.
Man kann für wahrscheinlich halten, daß damit Bernstein gemeint war und unter »seinen Leuten« die von ihm unterworfenen Phöniker zu verstehen wären, die wenn auch nicht regelmäßig, so doch gelegentlich so weite Seereisen gemacht zu haben scheinen. Sicherlich aber gelangte der meiste Ostseebernstein auf dem Weg eines von Land zu Land gehenden Zwischenhandels an der Oder und Weichsel südwärts bis zur Donau und dann einerseits nach dem Po, anderseits direkt nach Griechenland, [* 16] wie dies unter anderm baltische Münzfunde darthun, die bis zum 6. Jahrh. v. Chr. zurückreichen und die höchst wahrscheinlich noch weiter zurückreichen würden, wenn man schon früher in Griechenland oder Italien gemünztes Geld gehabt hätte. In noch ältern Zeiten wurde der Bernstein höchst wahrscheinlich gegen Bronze- und Eisenwaren eingetauscht, und hier haben wir vermutlich den Ursprung der ältesten etrurischen und griechischen Geräte im
Norden zu suchen. Noch in den Tagen des Plinius kam der nordische Bernstein auf diesem Weg über Carnuntum bis zu den Po-Mündungen; die Küstenplätze des Adriatischen Meers bildeten die Hauptstapelplätze für den Handel mit dem leicht zu bearbeitenden Schmuckstoff, und da nun Bernsteinbalsketten schon damals, genau so wie heute, in dem Ruf standen, die Drüsenanschwellungen des Halses zu verhüten, der Kropf aber an den Südabhängen der Alpen [* 17] seit jeher heimisch war, so trugen die Landleute an den Po-Ufern allgemein Bernsteinketten, und dies, sagt Plinius, sei die Ursache gewesen, daß man im Altertum den Po für den Eridanos hielt, aus dem der Bernstein gefischt wurde.
Dieser Nachweis des außerordentlich hohen Alters der Handelsbeziehungen zwischen Mittelmeer- und Ostseevölkern ist an sich schon außerordentlich wichtig, wird aber noch merkwürdiger durch den Import nordischer Sagen nach Griechenland, der sich am leichtesten durch denselben erklärt. Krause hat es wahrscheinlich gemacht, daß die zu Homers Zeiten beinahe schon vergessenen, also uralten Mythenkreise von Orion und Meleager, die von den Griechen in nächste Verbindung mit dem Bernsteinmythus gebracht wurden, nur zwei verschiedene Formen des nordischen Mythus von Odin und seiner Eberjagd sind, und wie die Meleagersage wahrscheinlich aus einem Mißverständnis der nordischen Julfeier entstanden ist, bei der Feuerbrände gelöscht und als Lebenssymbole bis zum nächsten Julfest aufgehoben wurden.
Außerdem findet sich das Feuerbrandmotiv in viel organischerer Verbindung in der nordischen Nornagestsage als in dem griechischen Meleagermythus. Wenn es nun in der griechischen Sage heißt, die Schwestern des Phaethon oder Meleager hätten Bernstein geweint, oder wenn Orion dargestellt wurde, wie er den Bernsteinfluß (Eridanos) durchwatet, so deutet das alles auf den nordischen Ursprung dieser und so vieler andrer Homerischer Sagen, wie namentlich auch der Odyssee, in der sogar von den hellen, nur wenige Stunden dauernden Sommernächten Skandinaviens die Rede ist. - Zur Litteratur: Tesdorpf, Gewinnung, Verarbeitung und Handel des Bernsteins in Preußen [* 18] (Jena [* 19] 1887).