Titel
Bernoulli
(Bernouilli, spr. -nuji), eine aus Flandern stammende Gelehrtenfamilie, deren berühmteste Glieder [* 2] sind:
1)
Jakob,
Mathematiker, geb. zu Basel,
[* 3]
Professor der
Mathematik daselbst seit 1687, starb Er wandte die von
Leibniz
und
Newton erfundene
Infinitesimalrechnung auf die schwierigsten
Fragen der
Geometrie und
Mechanik an, entdeckte
und bestimmte die isochronischen und isoperimetrischen
Kurven, die
Kettenlinie, die parabolische und logarithmische
Spirale
und die
loxodromische Linie, erfand die nach ihm benannten
Bernoullischen Zahlen und ist einer der ersten Begründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Auf seinem Sterbebett bestimmte sich Bernoulli
selbst als
Epitaph das
Bild der logarithmischen
Spirale mit der
Umschrift: »Eadem mutata resurgo«, in
Anspielung auf die bekannte
Eigenschaft dieser
Kurve, daß sie ihre eigne
Evolute ist.
Seine
»Ars conjectandi« wurde erst 1713 nach seinem
Tod gedruckt. Eine Sammlung seiner Werke erschien mit Anmerkungen von
Nikolaus
Bernoulli
zu Genf
[* 4] 1744, 2 Bde.
2) Johann, Bruder des vorigen, ebenfalls Mathematiker, geb. zu Basel, war zum Kaufmannsstand bestimmt, lernte auf einer Reise nach Frankreich 1690 Malebranche, Cassini, de l'Hôpital und andre Mathematiker kennen, die ihn für ihre Wissenschaft gewannen. Er war Leibniz' eifrigster Vorfechter in dessen Streit mit Newton über die Erfindung der Differentialrechnung [* 5] und besonders an der Ausbildung der Integralrechnung [* 6] beteiligt. Im ¶
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J. 1693 ward er Professor der Mathematik in Wolfenbüttel,
[* 8] kehrte aber 1694 nach Basel
zurück, wo er in der medizinischen Fakultät
promovierte. In seiner Inauguraldissertation »De motu musculorum« (Groningen 1694) wandte er die Differentialrechnung auf die
mechanische Muskelbewegung an. Im J. 1695 wurde er Professor der Mathematik in Groningen, 1705 in Basel,
starb daselbst Seine
Abhandlungen wurden von Cramer gesammelt (Genf
1742, 4 Bde.). Seine »Korrespondenz mit Leibniz« erschien zu Genf
1745, 4 Bde. Bernoulli
erfand
das leuchtende Barometer
[* 9] und lieferte Untersuchungen über die Verluste und Zunahme, welche der menschliche Körper erfährt.
In der Abhandlung »De nutritione« (Lausanne
[* 10] 1742) behauptet er, daß der Mensch innerhalb eines Jahrs zwei
Drittel seines Körpers verliere, und daß nach zehn Jahren nur noch der 50. Teil des ursprünglichen Stoffes übrig sei. Unter
seinen astronomischen Abhandlungen sind die über die elliptische Form und die Neigung der Planetenbahnen die bedeutendsten.
Seine »Opera omnia« erschienen zu Lausanne 1742, 4 Bde., und enthalten 189 Aufsätze.
3) Nikolaus, Neffe des vorigen, geb. zu Basel,
studierte die Rechte, vorzugsweise aber Mathematik, namentlich auch in Groningen,
von wo er 1705 mit dem vorigen nach Basel
zurückkehrte. 1716 wurde er Professor der Mathematik in Padua,
[* 11] 1722 Professor
der Logik in Basel
und 1731 Professor des Lehnrechts daselbst. Er starb Bernoulli
fand die Bedingungen der Integrabilität der
Differentialgleichungen der ersten Ordnung und lieferte treffliche Arbeiten über die Wahrscheinlichkeitsrechnung.
4) Nikolaus, Sohn von Bernoulli
2), geb. zu Basel,
ward 1723 Professor der Rechte in Bern,
[* 12] 1725 Professor der Mathematik
in Petersburg,
[* 13] starb daselbst Er bereicherte mehrere Gebiete der höhern Geometrie, besonders die Theorie der orthogonalen
Trajektorien.
Vgl. Merian, Die Mathematiker Bernoulli
(Basel
1860).
5) Daniel, Bruder des vorigen, geb. zu Groningen, studierte in Basel Medizin und Mathematik, folgte 1725 einem Ruf an die Akademie zu Petersburg, kehrte 1733 als Professor der Anatomie und Botanik nach Basel zurück, ward 1750 Professor der Physik daselbst. Er starb in Basel. Seine »Hydrodynamik« (Straßb. 1738) ist das erste Werk, in dem die Bewegung der flüssigen Körper durch mathematische Analyse behandelt wird. Er löste zuerst das schwere Problem von den Schwingungen der Saiten und erweiterte die Mechanik durch die Lehre [* 14] von der Bewegung der Körper von gegebener Gestalt, da man sie bisher nur auf Punkte angewendet hatte. Er ist der Entdecker des mechanischen Prinzips von der Erhaltung der lebendigen Kraft. [* 15] Auch die Wahrscheinlichkeitsrechnung verdankt ihm viele Erweiterungen.
Vgl. »Die Baseler Mathematiker Daniel und Leonhard Euler« (Festschrift, Basel 1884). -
Sein Bruder Johann Bernoulli
, geb. zu Basel,
ging 1732 nach Petersburg, von wo er jedoch schon 1733 mit dem vorigen nach Basel
zurückkehrte.
Hier wurde er 1743 Professor der Rhetorik und 1748 der Mathematik und starb
6) Johann, Sohn von Bernoulli
5), geb. zu Basel,
ward 1764 Astronom in Berlin
[* 16] und starb daselbst als Direktor der mathematischen
Klasse der Akademie Er schrieb: »Recueil pour les astronomes« (Berl. 1772-76, 3 Bde.);
»Lettres sur différents sujets« (das. 1777-79, 3 Bde.);
»Sammlung kurzer Reisebeschreibungen« (das. 1782-1793, 15 Bde.);
»Archiv zur neuern Geschichte, Geographie, Natur
und Menschenkenntnis« (das. 1783-1788, 8 Bde.).
- Sein Bruder Jakob Bernoulli
, geb. zu Basel,
war erst Sekretär
[* 17] bei der österreichischen Gesandtschaft in
Turin,
[* 18] dann Professor der Mathematik in Petersburg, wo er starb.
7) Christoph, Neffe des vorigen, geb. zu Basel,
studierte nach einer wechselvollen Jugend seit 1801 Naturwissenschaften in
Göttingen
[* 19] und kam 1802 als ordentlicher Lehrer an das Pädagogium nach Halle.
[* 20] Nach zwei Jahren ging er nach
Berlin und Paris,
[* 21] eröffnete dann in seiner Vaterstadt 1806 eine Privatlehranstalt und erhielt 1817 die Professur der Naturgeschichte
an der Universität, seit welcher Zeit er sein Privatstudium vorzüglich der Technologie und Statistik zuwendete. 1861 legte
er seine Professur nieder und starb Bernoulli
war einer der fleißigsten Schriftsteller
im Fach der Technologie und politischen Arithmetik; seine Schriften vermitteln den Übergang von der ältern empirischen Behandlungsweise
zu der neuern rationellen.
Die verdienstlichsten sind: »Über den nachteiligen Einfluß der Zunftverfassung auf die Industrie« (Basel 1822);
»Rationelle Darstellung der gesamten mechanischen Baumwollspinnerei« (das. 1829);
»Handbuch der Technologie« (das. 1833-34, 2 Bde.; 2. Aufl. 1840);
»Handbuch der Dampfmaschinenlehre« (Stuttg. 1833; 5. Aufl., bearbeitet von Böttcher, 1865);
»Handbuch der industriellen Physik, Mechanik und Hydraulik« (das. 1834-35, 2 Bde.);
»Handbuch der Populationistik« (Ulm [* 22] 1840-41, Nachtrag 1843) und »Technologische Handencyklopädie« (Stuttg. 1850).
Auch gab Bernoulli
das »Bürgerblatt« und nach dessen Aufhören
das »Schweizerische Archiv für Statistik und Nationalökonomie« (Basel
1828-30, 5 Bde.) heraus. - Sein Sohn Johann
Gustav Bernoulli
, geb. 1811 zu Basel,
gest. bearbeitete
das von seinem Vater herausgegebene »Vademekum des Mechanikers« (17. Aufl., bearbeitet von Autenheimer, Stuttg.
1884).
8) Johann Jakob, Archäolog, geb. zu Basel, studierte auf der Universität seiner Vaterstadt, ward Gymnasiallehrer daselbst und erhielt sodann eine außerordentliche Professur der Archäologie an der dortigen Universität. Er schrieb: »Über den Charakter des Kaisers Tiberius« (Basel 1859);
»Über die Laokoongruppe« (das. 1863),
»Über die Minervenstatuen« (das. 1871);
»Aphrodite; [* 23] ein Baustein zur griechischen Kunstmythologie« (Leipz. 1873);
»Die Bildnisse des ältern Scipio« (1875) und »Die Bildnisse berühmter Griechen« (1877),
die beiden letztern Schriften als Programme des Baseler Pädagogiums, und »Römische [* 24] Ikonographie« (Stuttg. 1882, Bd. 1). - Sein Bruder Karl Gustav, geb. widmete sich den Naturwissenschaften, machte Forschungsreisen in Guatemala, [* 25] worüber er in »Petermanns Geogr. Mitteilungen« berichtete; er starb in San Francisco. Er schrieb auch: »Die Gefäßkryptogamen der Schweiz« [* 26] (Basel 1857).