Titel
Berchtesgaden
(in Urkunden des 13. und 14. Jahrh. Pertherscadmen und Perhthersgadem genannt).
1) Landschaft und
Bezirksamt im bayr. Reg.-Bez. Oberbayern, hat 630,80 qkm und (1890) 17789 (8532
männl., 9257 weibl.) E., 24 Gemeinden (Gnotschaften) und 99 Ortschaften,
darunter eine Stadt, und umfaßt die Amtsgerichtsbezirke Berchtesgaden
(8947 E., 12 Gemeinden) und
Reichenhall (8839 E., 12 Gemeinden).
Die Landschaft entstand aus einer um 1122 gestifteten klösterlichen
Niederlassung, deren Pröpste unter
Kaiser Maximilian
Ⅰ. mit der Reichsunmittelbarkeit des Ländchens, das etwa den
Umfang des jetzigen Amtsgerichtsbezirks besaß, Sitz
und
Stimme auf der Fürstenbank erlangten.
Die gefürstete Propstei wurde 1803 säkularisiert und dem neu errichteten Kurfürstentum Salzburg [* 2] einverleibt, mit dem sie 1810 an Bayern [* 3] kam. Das Ländchen bildet eine wegen ihrer Naturschönheiten vielbesuchte Alpenlandschaft, die zwischen die Thäler der Salzach und Saalach eingeschoben ist und der Formation der Trias angehört. Eine Menge großer, teils kubischer, teils scharfgrätiger Bergformen drängen sich so an- und ineinander, daß sie einen ungeheuern Fels- und Hochgebirgskranz um die Spalte des berühmten Bartholomäus- oder Königssee (602 m) zu bilden scheinen.
An der südl. Grenze breitet sich die zerklüftete Masse des Steinernen Meers (2500 m) mit der Schönfeldspitze (2650 m) aus. Von diesem Felsenwall ziehen sich zwei starre Felsgrate nördlich in das Innere des Ländchens (der kühn aufspringende Watzmann 2714 m, der Kleine Watzmann 2404 m und der Hochkalter 2629 m, dessen Südspitze, das Kammerlinghorn 2483 m, einer der schönsten Aussichtspunkte in den Alpen [* 4] ist) und umschließen mit dem östl. und westl. Grenzwall die drei Hauptthäler des Berchtesgadener Beckens: das Hintersee-, das Wimbachthal und das Thal [* 5] des Königssees, die sich alle drei in dem grünen Thale der Ramsau vereinigen. Diesen gegenüber erhebt sich, gegen Norden, [* 6] der unmittelbar in die Ebene abfallende Untersberg 1975 m, berühmt durch die uralte Sage von Kaiser Karl d. Gr., der, von Bergmännlein bedient, im Berge die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs erwartet. Außer dem Reichtum an Salz [* 7] und Holz [* 8] bietet das Land Marmor, Gips [* 9] und Kreide. [* 10] Die Hauptbeschäftigungen der Bevölkerung [* 11] sind Viehzucht, [* 12] Waldarbeit, ¶
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Holzschnitzerei, Holz- und Beindreherei, Marmorschleiferei, Arbeit in den Salzbergwerken und Salinen. – 2) Marktflecken
im Bezirksamt Berchtesgaden
, 19 km südlich von Salzburg, am Achen oder Alm, dem Abfluß des Königssees, in 576 m Höhe, an der Linie Reichenhall-Berchtesgaden
(18,81 km) der Bayr. Staatsbahnen,
[* 14] Sitz des Bezirksamtes, eines Amtsgerichts (Landgericht Traunstein),
Zoll-, Forst-, Rent- und Hauptsalzamtes, hat (1890) 2179 E. (66 Evangelische), Post, Telegraph.
[* 15] Von den Kirchen zeichnet sich
die Stiftskirche aus mit schönem roman. Kreuzgange, Marmorgrabsteinen der Berchtesgadener Äbte, geschnitzten Chorstühlen
und andern Altertümern.
Das ehemalige Stiftsgebäude, am Felsabhange, ist jetzt königl. Schloß. An der Südseite des Orts hat 1852 König Max Ⅱ. eine Villa bauen lassen. Außerdem bedeckt ein breiter Villensaum die Gehänge rings um den Ort. Ein Standbild des Prinzregenten Luitpold wurde 1893 errichtet. Ferner hat ein Hospiz der Franziskaner, Filiale der Armen Franziskanerinnen, gewerbliche Fortbildungs-, Distriktszeichen- und Schnitzschule, Schlachthaus, Essigfabrik, Hammerwerk, Mühle, Sägewerk und wird wegen seiner herrlichen und selbst im Winter vor rauhen Luftströmungen geschützten Lage als Sommerfrische, Luftkurort und Solbad sowie wegen der Nähe des Königssees (s. d.) von Reisenden viel besucht.
Mittlere Jahrestemperatur 7,66° C. (Winter 1,34, Frühling 10,97, Sommer 14,55, Herbst 3,77). Berchtesgaden
ist berühmt durch die hier
wie in der Umgegend, insbesondere seit Errichtung der Industrieschule (1858), in hoher Vollendung gefertigten
Holzschnitzwaren. Gegenwärtig widmen sich in und Umgegend (besonders in Schönau) über 400 Familien mit mehr als 2000 Personen
diesem Industriezweige und verdienen damit gegen 200000 M. Die Salzbereitung und der Salzhandel wird schon seit dem Propst
Dietrich 1174 betrieben.
Die aus den Siedewerken im Überschuß erzeugte Sole wird durch gewaltige, 120 km lange Leitungen über das Gebirge hinweg nach Reichenhall (s. d.) und mit der dortigen überschüssigen Quellsole vereinigt, nach Traunstein und Rosenheim geleitet, um in diesen holzreichen Gegenden versotten zu werden. –
Vgl. Koch-Sternfeld, Geschichte
des Fürstentums Berchtesgaden
(3 Bde.,
Münch. 1815);
ders., Die Gründung und die wichtigern geschichtlichen Momente des ehemaligen fürstl.
Reichsstifts und heutigen
Fürstentums Berchtesgaden
(ebd. 1861); Führer durch das Berchtesgadener Land, hg. von der Sektion Berchtesgaden
des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins
(7. Aufl. 1889).