Béranger
(spr. -rangscheh), Pierre Jean de, berühmter franz. Liederdichter, geb. zu Paris [* 2] von armen Eltern, wurde von seinem Großvater, einem armen Schneider, erzogen und nach dem Sturm auf die Bastille (1789) zu einer Tante gegeben, die ein Wirtshaus in Péronne hielt. In seinem 14. Jahr trat er bei einem Buchdrucker in die Lehre, [* 3] lernte hier in kurzer Zeit orthographisch schreiben und gewann die ersten Begriffe von Stil und Versbau. Im J. 1797 kehrte er nach Paris zu seinen Eltern zurück.
Seine
Neigung zur
Poesie wuchs immer mehr, seitdem er sich einige
Male den
Eintritt ins
Theater
[* 4] und zu den
Lustspielen
Molières
verschafft hatte. Indessen kam von seinen
Entwürfen zu größern
Dichtungen (eine satirische
Komödie: »Hermaphrodites«, ein
episches Gedicht:
»Clovis«, ein religiöses
Idyll: »Le
[* 5] pélerinage«) keiner zur Ausführung.
Sein
Vater,
der eine
Bank gegründet hatte, an der auch der Sohn beschäftigt war, hatte durch verfehlte
Spekulationen und royalistische
Konspirationen sich zu
Grunde gerichtet; die
Familie lebte in der größten Dürftigkeit, und schon faßte der junge Béranger
die
Idee, als
Soldat nach
Ägypten
[* 6] zu gehen, als seine lyrischen
Versuche dem damaligen
Senator
Lucian
Bonaparte
vor
Augen kamen (1803), der dem jugendlichen Dichter den eignen, ihm als Mitglied des
Instituts zukommenden Jahresgehalt anwies. 1809 erhielt
er auf
Arnaults
Empfehlung eine Sekretärstelle an der
Universität mit 1000
Frank (später 1200)
Gehalt, die er bis 1821 verwaltete.
Das genügte, um dem Dichter seine Sorglosigkeit und seinen Frohsinn wiederzugeben. In diese Zeit (1810-1814) fallen einige seiner leichtesten und lustigsten Lieder. 1813 wurde er in die fröhliche Genossenschaft des »Caveau« aufgenommen, deren Präsident Desaugiers war, und in demselben Jahr dichtete er die feine, beißende Satire auf Napoleon: »Le roi d'Yvetot«. Die erste Sammlung seiner Lieder: »Chansons morales et autres« (Par. 1815), in denen die Politik noch unberührt blieb, wurde mit der rauschendsten Begeisterung aufgenommen, trug ihm aber eine herbe Rüge von seiten der vorgesetzten Behörde ein.
Unbekümmert darum sang Béranger
weiter, gab aber an demselben
Tag, an welchem die zweite Sammlung erschien,
seine Entlassung ein (1821). In der Zwischenzeit war nämlich in ihm eine große
Wandlung vorgegangen. Teilnahmlos hatte er 1814 das
Empire fallen und die
Restauration einziehen sehen; das ihm während der
Hundert Tage angetragene
Amt eines Zensors hatte er
ausgeschlagen. Aber je mehr die
Reaktion um sich griff, je unverhüllter die
Pläne der
»Junker und
Pfaffen«
zu
Tage traten, um so heftiger wurde Bérangers
Opposition.
Neben Liedern, die Lisette und den Wein besingen, finden sich: »Le marquis de Carabas«, »Paillasse«, »Le ventru«, »Les capucins«, »Les révérends pères«;
aber auch: »Les enfants de la France«, »Le vieux drapeau«, »Le cinq mars«, welche den patriotischen Enthusiasmus in allen Herzen entflammten.
Schon waren 11,000
Exemplare verkauft, als die
Regierung die übrigen mit
Beschlag belegte und den Dichter vor
Gericht zog, das Béranger
zu dreimonatlicher
Gefängnisstrafe und 500
Fr.
Geldbuße verurteilte. Eine dritte Sammlung: »Chansons nouvelles«, erschien 1825, eine vierte:
»Chansons
inédites«, folgte 1828;
sie trug dem Dichter einen neuen Prozeß, neun Monate Gefängnis und 10,000 Fr. Geldbuße ein, welche sofort durch eine von seinen Freunden (Laffitte u. a.) eröffnete Subskription gedeckt wurde. So erreichte die Regierung ihren Zweck nicht;
der Dichter ging ruhig ins Gefängnis und besang weiter »die Feinde des Fortschritts und der Freiheit«. In welchem Maß diese Lieder der Julirevolution vorgearbeitet haben, läßt sich am besten aus der 1833 herausgegebenen letzten Liedersammlung erkennen.
Aber die ihm angebotenen Ämter und Würden lehnte er standhaft ab, ebenso wie den Sitz in der Akademie, einen Platz als Deputierter nach der Februarrevolution und das Kreuz [* 7] des zweiten Kaiserreichs. 1833 hatte er seinem Verleger Perrotin alle seine Werke für eine Leibrente von 8000 Fr. verkauft; seitdem lebte er meist auf dem Land, in Passy, erst seit 1852 wieder in Paris, wo er starb. Der Staat übernahm die Kosten der Bestattung; er wurde begraben mit den Ehren eines Marschalls von Frankreich.
Seine nachgelassenen Werke ergaben wider Erwarten nur 2 Bände: »Ma biographie« (1857),
die nicht viel Neues brachte, und »Dernières chansons« (1857),
enthaltend 94
Lieder aus den
Jahren 1834-51, von denen einige an seine beste Zeit erinnern. Seine
»Œuvres
complètes« mit und ohne
Illustrationen haben zahlreiche
Auflagen erlebt; auch die
Melodien zu den Liedern:
»La musique«, wurden gedruckt. Eine treffliche Übersetzung der sämtlichen
Gedichte hat Seeger geliefert (2. Aufl., Stuttg. 1859), einzelne
haben
Chamisso und
Gaudy in ihre Sammlungen aufgenommen. Zu erwähnen sind außerdem die Übersetzungen von
Laun
(Brem. 1869)
und von St.
Born (Stuttg. 1883). Béranger
wußte die
Saiten anzuschlagen, die in dem
Herzen seines
Volks den lebendigsten
Widerhall
fanden, und dies hat ihm vorzüglich die außerordentliche
Popularität verschafft, die ihm wie selten einem Dichter zu teil
ward.
Seine Lieder leben im Munde der Hohen wie der Niedern seiner Nation: man trällert sie auf Spaziergängen, braucht sie als Wiegenlieder;
der Soldat singt sie auf dem Marsch, der Gefangene im Kerker, ja selbst der schwarze Sklave in den Kolonien singt »Le Dieu des bonnes gens«. So ward der größte der Chansonniers Frankreichs auch sein erster Volksdichter.
Seine Gesänge sind meist satirischen Inhalts und verspotten die Gegner des liberalen Aufschwungs, weltliche wie geistliche, oder sie stehen in näherer oder entfernterer Beziehung zu Zeitereignissen; wenige halten sich frei von politischen Anklängen. Die meisten sind von unbeschreiblicher Anmut, von der liebenswürdigsten Naivität, der man auch einen laxen Scherz gern verzeiht, und erheben sich oft zu einem Adel des Stils und einem Gedankenflug, der den Dichter den gefeiertsten seiner Nation, ja den größten Lyrikern aller Völker an die Seite stellt. Dahin ¶
mehr
gehören namentlich: »La sainte alliance des peuples«, »Les
hirondelles«, »Les enfants de la France«, »Les adieux de Marie Stuart« und »Mon habit«, worin sich das tiefste und reichste Gemüt
ausspricht. Noch mehr als nach Eleganz strebte er nach Klarheit, und unablässig hat er an seinen Versen gefeilt. Mögen sich
allerdings unter den Töchtern seiner Muse auch oft sehr frivole, ja ungezogene befinden, die er sogar
als seine »Lieblingstöchter« erklärt, so muß und darf die Litteratur
sich damit trösten, daß sie den übrigen gut geratenen Kindern ein um so größeres Gefallen schenkt. Als Mensch hat sich Béranger
durch
sein unbeschränktes Wohlwollen und durch seine unbestechliche Rechtlichkeit die allgemeine Achtung zu
erwerben gewußt. Bérangers
Briefwechsel, herausgegeben von Boiteau (1859-60, 4 Bde.),
erregte große Streitigkeiten in der Presse.
[* 9]
Vgl. Arnould, Béranger
(Paris 1864, 2 Bde.);
Janin, et son temps (das. 1866).