Titel
Belutschistan
(Balutschistan, auch
Beludschistan, engl. Beloochistan), das Gedrosia der Alten, ist das südöstlichste
Fürstentum des Hochlandes von
Iran, begrenzt im N. von
Afghanistan
[* 2] und
Britisch-Belutschistan, im O. von der brit.-ind. Landschaft
Sindh, im S. vom
Arabischen
Meer, im W. von
Persien.
[* 3] Die Nordgrenze folgt im allgemeinen dem 30. Breitengrade, die
Ostgrenze den Halabergen; die Westgrenze gegen
Persien, 1870 durch eine engl.
Kommission festgesetzt, läuft an der
Bucht von
Gwadar nach
NO., dann nach NW. bis zum Koh-i-Malik-i-sijah
(Berg des
Schwarzen Königs), wo afghanisches, belutschisches
und
pers. Gebiet zusammenstoßen. (S. Karte: Westasien II.)
Bodengestaltung. Das Streichen der Höhenzüge des meist gebirgigen Landes ist zumeist ein südsüdwestliches, die Fortsetzung des südafghan. Gebirgssystems. Das Suleimangebirge sendet seine Fortsetzung, das Halagebirge, nach Süden weiter und endet im Kap Muwarik (Monz), westlich von der Indusmündung. Daneben finden wir noch ein zweites Gebirgssystem mit ostwestl. Streichung, welches besonders im Süden (in der Provinz Mekran) zur Entwicklung gekommen ist.
Auch die hammerförmig in das Meer ragenden Vorgebirge der Mekranküste sind als halbversunkene Parallelkette anzusehen. Die Höhenzüge, welche im NO. das Gebiet der Marri und Bugti durchziehen, haben ebenfalls ostwestl. Streichung. Eben ist nur der nordwestl. Teil des Landes, östlich vom Koh-i-Malik-i-sijah, welcher der großen pers.-afghan. Sumpfniederung angehört. Die höchste Erhebung ist der Tschihiltänberg nördlich von Kelat (etwa 4000 m). Nahe der Südküste finden sich einige Schlammvulkane.
Eine bedeutende Flußentwicklung hat in Belutschistan
einesteils wegen der zahlreichen Gebirgszüge, dann aber wegen
der außerordentlichen Dürre des
Landes nicht stattfinden können. Viele Wasserläufe versiegen oder werden durch Bewässerungseinrichtungen
völlig aufgezehrt, bevor sie das
Meer oder den Indus erreichen. Die hauptsächlichen
Flüsse
[* 4] sind: im
N. der
Bolan und
Mula, im O. der Habd und Purali, im S. der Hingol, im W. der Descht mit dem Nihing. Die Durchbruchstäler
des
Bolan und
Mula durch die östl.
Gebirge sind die
Pforten von
Indien nach Belutschistan.
Klima, [* 5] Pflanzen- und Tierwelt. Das Klima ist in verschiedenen Teilen des Landes ein sehr verschiedenes und zeigt auch in einzelnen die schroffsten Gegensätze. Im Winter liegt der Schnee [* 6] monatelang selbst in den Thälern, im Sommer ist die Hitze unerträglich. Die Mekranküste wetteifert mit dem in Arabien gegenüberliegenden Oman um den Ruf der heißesten Gegend Asiens. Die Wüste Charan, ¶
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die Gedrosische Wüste der Alten, wo ein großer Teil von Alexanders Heer unterging, ist im Sommer unpassierbar. Der Boden ist meist steinig und nur bei Gandawa reich. Gold, [* 8] Silber, Kupfer, [* 9] Blei, [* 10] Eisen, [* 11] Zinn, Antimon, Bimsstein, Alaun, [* 12] Ammoniak, Salpeter und mehrere Salze finden sich. - Pflanzen gedeihen vorzüglich in den gut bewässerten Thälern, besonders die Obstarten der Mittelmeerflora: Aprikosen, Pfirsiche, Trauben, Mandeln, Pistazien, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Quitten, Feigen, Granatäpfel, Maulbeeren, Bananen und die ind. Guava. Neben den europ. Getreidearten wird Reis und eine Hülsenfrucht Dschoar, desgleichen Tabak [* 13] sowie Baumwolle [* 14] und vorzüglicher Indigo [* 15] gebaut. Der Dattelkultur wird in Mekran viel Sorgfalt zugewandt. - An Tieren sind Tiger, Leoparden, Hyänen, Wölfe, Schakale, Tigerkatzen, wilde Hunde, [* 16] Füchse, Hasen, Ichneumons, Antilopen, verschiedene wilde Schaf- und Ziegenarten, darunter die Bezoarziege und der Steinbock (Capra aegagrus Gm.), wilde Esel (Equus onager Schreb.) zu erwähnen. Die Vogelwelt gleicht der Persiens und Afghanistans.
Bevölkerung. [* 17] Diese, etwa 400000 Seelen auf etwa 315000 qkm, zerfällt in Belutschen und Brahui. Die Belutschen sind ein iranischer, den Afghanen in einzelnen Zügen ähnelnder Stamm. Sie sprechen einen iran. Dialekt, das Belutschī (s. Iranische Sprachen). Die Brahui (s. d.), ein wahrscheinlich dravidischer Stamm, haben sprachlich und ethnologisch sowie auch im bürgerlichen Leben nichts mit den Belutschen gemein. Die Brahui sind die herrschende Rasse; aus ihnen gehen die Herrscher hervor.
Beide Stämme sind wie die Afghanen sunnitische Mohammedaner. Das Land ist in 7 Provinzen geteilt:
1) Katschi-Gandawa und 2) das Land der Marri und Bugti im NO, 3) Dschhalawan im O., 4) Lus im SO., 5) Mekran im S., 6) Kohistan im W., 7) Kelat im N. Die wichtigsten Städte sind Kelat, Mastung, Bagh, Dadar, Gandawa, Nuschki, Dera Bugti und Sunmiani. Die Distrikte wählen ihre Oberhäupter (Chane). Der Chan von Kelat übt die Oberhoheit aus; er steht unter engl. Schutze, erhält ein Jahresgehalt und muß die Anlage engl. Militärstationen, besonders zum Schutze des Bolanpasses, gestatten. Ein engl. Agent hat seinen Sitz in Kelat. (S. Britisch-Belutschistan.)
Geschichte. Die ersten sichern Nachrichten über Belutschistan
geben uns die Geschichtschreiber Alexanders d. Gr., z. B. Arrian. Im 8. Jahrh.
wurde Belutschistan
von einem Heere der Chalifen von Bagdad durchzogen. Wann die Brahui und die Belutschen das Land eingenommen
haben, steht nicht fest. Es scheint, als ob das vordem von einer Hindudynastie regierte Land von den Brahui erobert worden,
und als ob die Belutschen später hinzugewandert seien. Die Belutschen behaupten arab. Ursprungs
zu sein und aus der Gegend von Haleb zu stammen.
Ihr Führer habe Tschâkur (Kâkur) geheißen. Der Name des Brahuichans, der zuerst das Land erobert haben soll, war Kumbar. Sein vierter Nachfolger, Abdullah-Chan, eroberte Katschi-Gandawa, welches damals zu Sindh gehörte. Noch während der Kriege der Kumbarâni (Nachfolger Kumbars) schickte Nadir Schah, der große pers. Eroberer, von Kandahar Expeditionen nach und unterwarf es. Dem tapfern Abdullah-Chan, der im Kampfe gegen die Nawwabs (Nabobs) von Sindh fiel, folgte sein verschwenderischer und tyrannischer ältester Sohn Hadschi Muhammed-Chan.
Die Mißregierung und Bedrückung dieses Fürsten veranlaßten seinen Bruder Naßir-Chan, einen bewährten Heerführer im Gefolge Nadir Schahs, nach Kelat zu eilen und, da Vorstellungen nichts nützten, seinen Bruder zu erstechen. Naßir-Chan, nachmals der Große genannt, bestieg unter dem Jubel des Volks den Thron [* 18] und wurde von Nadir Schah als Herrscher anerkannt (1739). Naßir verstand es, seine Herrschaft nach innen und außen zu festigen. Nach Nadir Schahs Tode (1747) erkannte Naßir zwar anfangs Ahmad Schah Durrani als König von Kabul an, erklärte sich aber später unabhängig.
Ein Heer, welches Ahmad Schah gegen den kühnen Naßir sandte, wurde vollständig geschlagen. Nun zog der große Eroberer selbst nach Süden, schlug die Brahui und schloß sie in Kelat ein. Da er aber die Festung [* 19] nicht bezwingen konnte, schloß er einen Friedens- und Freundschaftsvertrag, wonach er Naßirs Base heimführte, Naßir aber keinen Tribut zu zahlen hatte, sondern nur im Kriegsfalle ein Hilfskorps gegen Geldentschädigung aufbieten sollte. Naßir hatte häufig Gelegenheit, seine Lehnstreue zu beweisen, so besonders in der Schlacht bei Meschhed, die er zu Gunsten Ahmed Schahs entschied. Er starb hochbetagt 1795. Seine Nachfolger Mahmud und Mihrâb waren unbedeutend.
Letzterer kam 1839 in einem Kriege gegen die Engländer um. Sein Sohn Naßir II. kam 1841 zur Herrschaft. Er ließ sich 1854 von
den Engländern einen Vertrag aufnötigen, wonach er u. a. die Belegung belutschischer Orte durch brit.
Truppen dulden mußte und ihm ein Jahrgeld von 100000 M. zugesagt wurde; der Vertrag kam indes nicht zur
Ausführung. Sein Nachfolger Chudadâd-Chan hatte mit vielen Unruhen zu kämpfen und mußte sich wieder den Engländern in
die Arme werfen, die bei dieser Gelegenheit Quetta besetzten und es später einzogen. Durch Abmachungen vom und ist
der gegenwärtige Zustand geschaffen worden. Beim Durchzug der brit. Truppen durch Belutschistan
bei Gelegenheit des afghan. Krieges 1887 leistete
Chudadâd-Chan den Engländern Beistand.