Titel
Bellini
,
1)
Gentile, ital.
Maler, geboren um 1426 als der älteste Sohn von Jacopo Bellini
(1400-1464), gest. in
Venedig,
[* 2] übte mit seinem
Bruder
Giovanni einen entscheidenden Einfluß auf die
Entwickelung der venezianischen
Malerei, indem
er besonders das
Charakteristische der äußern
Erscheinung, das Bildnis, betonte. Er führte große (durch
Brand zu
Grunde gegangene)
Arbeiten im Dogenpalast und in der Scuola di
San Giovanni Evangelista in
Venedig (die
Wunder des
heiligen Kreuzes,
jetzt in der
Akademie) aus und unternahm 1479 im Auftrag der
Signoria eine
Reise nach Konstantiopel, wo er das noch erhaltene
Bild
Mohammeds II. malte.
2)
Giovanni, ital.
Maler,
Bruder des vorigen, geboren um 1428, gest. in
Venedig, gab der venezianischen
Malerei des 15. Jahrh. nach Form,
Inhalt und
Kolorit ihr Gepräge und legte durch sein Vorbild und seine Lehrthätigkeit den
Grund zur höchsten
Blüte
[* 3] derselben im 16. Jahrh. Unter dem Einfluß von Bellini
Vivarini in
Venedig und von
Mantegna in
Padua
[* 4] gebildet, vereinigte er die energische
Charakteristik und die Formenplastik des letztern mit der
Anmut und
Lieblichkeit des erstern. Um 1464 ging er von
Padua nach
Venedig, wo er bis zu seinem Ende eine umfangreiche Thätigkeit auf
dem Gebiet des Kirchenbildes und des
Porträts entfaltete und zu höchstem Ansehen gelangte, nachdem er
sich bei
Antonello da
Messina
[* 5] in der
Ölmalerei vervollkommt und sein
Kolorit zu außerordentlicher
Kraft
[* 6] entwickelt hatte.
Obwohl ein Teil seiner Gemälde (darunter die großen Arbeiten im Dogenpalast) untergegangen sind, haben sich noch etwa 80 Altar- und Madonnenbilder von seiner Hand [* 7] erhalten. Die bedeutendsten sind: der tote Christus mit zwei Engeln (Berlin), [* 8] derselbe mit Maria und Johannes (Mailand), [* 9] Christus im Schoß der Maria von Heiligen umgeben (Stuttgart), [* 10] thronende Madonna mit dem Kind, Hiob, 5 Heilige und 3 musizierende Engel (Venedig, Akademie), Madonna mit dem Kind, 4 Heilige und 2 Engel (1488, Venedig, Santa Maria de' Frari), thronende Madonna mit dem Kind, ¶
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4 Heilige und ein Geige spielender Engel (1505, Venedig, San Zaccaria, Hauptwerk), der heil. Christoph mit dem Kind, Augustin und Hieronymus (1513, Venedig, San Giovanni Crisostomo). Von seinen Bildnissen sind der Doge Giovanni Mocenigo und der Doge Leonardo Loredano mit seinen Söhnen hervorzuheben. Es gelang ihm, die Befangenheit der ältern Meister vollkommen abzustreifen und in seinen letzten Jahren zur vollen Freiheit der Renaissance zu gelangen, welche in den von ihm beeinflußten Giorgione, Palma und Tizian ihren Höhepunkt erreichte.
3) Lorenzo, Mediziner, geb. zu Florenz,
[* 12] ward 1663 Professor der Anatomie in Pisa,
[* 13] zuletzt Leibarzt des Großherzogs von
Toscana; starb Er ist sehr verdient um die anatomische Untersuchung der Nieren und Entdecker
der nach ihm genannten Röhrchen in den Nierenwärzchen (tubuli Belliniani
, Bellinische Gänge), auch als Dichter bekannt,
namentlich durch seine »Bucchereide« (Flor. 1729). Er schrieb: »De structura et usu rerum« (Flor. 1662) u. a. Seine »Opera
omnia« erschienen Venedig 1708, 2 Bde., u. öfter.
4) Vincenzo, ital. Opernkomponist, geb. zu Catania in Sizilien, [* 14] war seit 1819 Schüler des Konservatoriums zu Neapel [* 15] und machte seine Studien besonders unter Tritto und Zingarelli. Von seinen ersten Kompositionen, bestehend in Kirchensachen, Instrumentalstücken für Flöte, Klarinette und Klavier und einer Kantate: »Ismene«, abgesehen, war es zuerst seine Oper »Adelson e Salvina« (1824 zu Neapel gegeben),
welche ihn bekannt machte und ihm den Auftrag verschaffte, für das
Theater
[* 16] San Carlo die Oper »Bianca e Fernando« zu komponieren. Dieses Werk fand bei seiner Aufführung (1826) so großen Beifall,
daß Bellini
alsbald einen Ruf nach Mailand erhielt, um für das Theater della Scala eine Oper zu schreiben. Das
hier entstandene Werk, welches sofort nach seinem Erscheinen (1827) den Ruhm des Künstlers über ganz Italien
[* 17] verbreitete,
war »Il Pirata«, Text von Felice Romani, welcher den Komponisten seitdem in seiner Thätigkeit aufs eifrigste
unterstützte.
Rasch aufeinander folgten jetzt die Opern: »La Straniera« (1829 zu Mailand),
»I Capuleti ed i Montecchi« (1830 zu Venedig),
»La Sonnambula« (1831 zu Mailand, für die Pasta geschrieben),
»Norma« und »Beatrice di Tenda« (beide letztere 1831), die
überall mit Entzücken aufgenommen wurden und ganz Europa
[* 18] von den einschmeichelnden, schmachtenden Melodien
des Sizilianers widerhallen machten. Bellini
begab sich 1833 nach Paris
[* 19] und von da nach London,
[* 20] wo er glänzende Aufnahme fand. Doch
kehrte er 1834 nach Paris zurück, um für die dortige Italienische Oper seine »Puritani« zu schreiben, die mit neuem Enthusiasmus
begrüßt wurden und zugleich einzelne nicht unwesentliche Fortschritte in seiner künstlerischen Entwickelung
bekundeten.
Leider raffte ein früher Tod den Künstler hinweg; er starb in Puteaux bei Paris. Bellini
ist kein dramatischer Komponist
im deutschen Sinn des Worts; er strebt nicht danach, ein dramatisches Ganze zu schaffen, sondern begnügt sich, dem Sänger
ein weites Feld theatralischer Erfolge zu eröffnen, und opfert diesem Streben nicht selten den wahrhaft
dramatischen Ausdruck völlig auf. Dabei fehlen ihm die übersprudelnde Genialität und geistreiche Mannigfaltigkeit Rossinis,
während er in der Rückkehr von der überladenen Kolorierung Rossinis zum einfachen getragenen Gesang sowie überhaupt in
dem ungekünstelten Ausdruck reicher und ernster Empfindung jenem gegenüber unleugbare Vorzüge besitzt.
Auch arbeitete er gewissenhafter und sorgfältiger als Rossini. Von besonderm Wert für den Erfolg seiner Opern war noch der Umstand, daß ihm zur Ausführung derselben die vorzüglichsten Gesangskräfte zu Gebote standen, namentlich der Tenorist Rubini und die Pasta, für deren eigentümliches Talent mehrere seiner tragischen Rollen [* 21] ausdrücklich bestimmt sind.
Vgl. Pougin, Bellini
, sa vie, ses œuvres (Par. 1868);
Percolla, Elogio biografico del Cav. V. Bellini
(Neap. 1876).
Eine geistvolle Schilderung seiner künstlerischen Persönlichkeit findet man in Ferdinand Hillers »Künstlerleben« (Köln [* 22] 1880).