In den bombenfesten
Kasematten sind Sträflinge untergebracht. In der untern
Festung befinden sich große
Magazine und
Kasernen
und hart an der
Donau der
Turm
[* 5] Nebojscha. Die
Festung ist gut armiert, würde aber nicht im stande sein,
eine Belagerung auszuhalten. Zwischen der
Festung und der Stadt zieht sich ein an 200 m breiter, früher wüster
Raum hin,
Kalimegdan genannt, der seit mehreren
Jahren zu einem schönen
Park umgewandelt ist. Belgrad wird in sechs
Bezirke eingeteilt.
Der Stadtteil Dortschol, wo bis 1862 die
Türken wohnten, ist ganz verschwunden; gerade
Straßen durchkreuzen
ihn; nur hier und da stehen einsam und öde die hohen
Minarets der türkischen
Moscheen, die in einigen
Jahren ganz verfallen
sein werden. In diesem Stadtteil befinden sich auch die Reste der interessanten
Ruine des
Prinz Eugenschen
Palastes. Belgrad war früher und zwar bis 1862 mit
Wällen umgeben, durch welche fünf
Thore in die eigentliche Stadt führten.
Das schönste
Thor war das unter
Laudon erbaute
Stambul-Kapu, welches erst 1868 niedergerissen wurde.
Einige
Schritte von der
Stelle des ehemaligen
Thors steht das 1871 eröffnete
Theater
[* 6] und demselben gegenüber
das eherne
Monument des 1868 ermordeten
FürstenMichael Obrenowitsch III., welches enthüllt wurde. Außer der
Kirche
in der
Festung hat Belgrad noch 5 griechisch-katholische und 1 evang.
Kirche, 1 kath.
Kapelle (im österreichischen Gesandtschaftsgebäude), 2
Synagogen
und 1
Moschee für die in Belgrad seßhaften türkischen
Handwerker und Kaufleute, deren Zahl etwa 30 beträgt.
Die Zahl der Einwohner ist von (1882) 36,177 auf (1884) 40,000 gestiegen.
Belgrad ist der Sitz des Einfuhrhandels
aus Österreich
[* 8] und Deutschland,
[* 9] und auch den größten Teil der Ausfuhr in das Ausland vermittelt Belgrad. Auch ist der Transitverkehr
zwischen Österreich und der Türkei
[* 10] sehr lebhaft, besonders seitdem die Eisenbahnlinie Belgrad-Nisch dem öffentlichen Verkehr übergeben
wurde. Wenn erst die Verbindung dieser Linie mit den türkischen Bahnen hergestellt sein wird, wird dieser
Handel großartige Dimensionen annehmen. Die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft und die Österreichische Staatseisenbahngesellschaft
haben ihre Agenturen in und vermitteln den Verkehr mit Österreich.
Belgrad steht an der Stelle des alten Singidunum. In denKämpfen der Bulgaren, Griechen und Ungarn
[* 16] mehrmals zerstört, ward es 1343 vom
serbischen König und nachmaligen KaiserStephanDuschan als Zwingburg wieder aufgebaut; bald nachher wurde
die Festung von den Ungarn erobert und kam erst 1382 an die Serben zurück. Georg Brankowitsch, Fürst von Serbien, trat 1426 an den
König Siegmund von Ungarn ab, welcher die Festungswerke gegen die Türken verstärkte. Nachdem die Stadt
von letztern wiederholt belagert worden war (1440 von SultanMurad II., 1456 von SultanMohammed II., gegen welchen Joh. Hunyady
die Stadt durch den Sieg vom verteidigte), fiel sie endlich nach tapferer Gegenwehr in die HändeSolimans
II. und gehörte von da an 167 Jahre lang zum türkischen Reich. Am wurde Belgrad von dem KurfürstenMaximilian von Bayern
[* 17] mit 53,000 Mann kaiserlicher und Reichstruppen eingeschlossen und 6. Sept. erstürmt, aber schon vom
GroßwesirMustafa Köprili zurückerobert.
Ein Angriff des Herzogs von Croy auf Belgrad 1692 war ohne Erfolg. Dagegen wurde Belgrad vom PrinzenEugen seit belagert
und, nachdem das türkische Entsatzheer unter Köprili 16. Aug. in der Schlacht bei Belgrad, dem glänzendsten Sieg des Prinzen, zurückgeschlagen
worden war, 22. Aug. zur Übergabe gezwungen. Im Frieden von Poscharewatz 1718 blieb es den Österreichern, die es neu
befestigten und zu einem blühenden Handelsplatz umschufen; aber nach der für die Österreicher unglücklichen Schlacht bei
Krotzka wurde Belgrad im BelgraderFrieden nebst Schabatz und Orsova an die Türken abgetreten. Die Festungswerke Belgrads,
welche die Österreicher vor ihrem Abzug zerstört hatten, wurden von den Türken wiederhergestellt; die
Stadt selbst aber sank in den Schmutz der
übrigen osmanischen Orte zurück. Im österreichisch-türkischen Krieg 1788-91 wurde
Belgrad wieder von dem österreichischen GeneralLaudon erobert, fiel aber im Frieden von 1791 von neuem an die Türkei
zurück.
Als der türkische Despotismus 1804 die Serben zur Empörung trieb, wurde Belgrad von den letztern wiederholt
belagert und die umschanzte Stadt mit Sturm genommen, die Festungsbesatzung 30. Dez. zur Kapitulation gezwungen und
im Januar 1807 die Festung von ihnen geräumt. Die Stadt wurde hierauf Sitz der serbischen Regierung, geriet jedoch, als diese
im BukaresterFrieden von den Russen, ihren bisherigen Beschützern, aufgegeben worden war,
nebst den übrigen serbischen Festungen abermals in die Gewalt derTürken, welche die Festung auch noch behaupteten, als sie
die Unabhängigkeit Serbiens anerkannt haben. Erst wurde die Festung feierlich dem serbischen FürstenMichael Obrenowitsch III.
übergeben und von den türkischen Truppen geräumt.
türk. Dar
[* 18] ul-Dschahid («Stätte des Religionskrieges»),
ungar. Nándor Fejérvár,
Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Serbien, liegt unmittelbar am Einfluß der 400 m breiten Save in die hier 750 m
breite Donau, auf dem rechten Ufer beider Flüsse und hat sehr veränderliches Klima
[* 19] mit schroffen Übergängen,
im Sommer bis 40° C., im Winter bis -20° C. Das Weichbild umfaßt 10,85 qkm mit 6328 Häusern. Die Bevölkerung nimmt stark
zu und betrug 1884: 20 651, 1890: 54 458 (32 008 männl., 22 450 weibl.) E., darunter 41 366 Griechisch-, 5480 Römisch-Katholische
und 2350 Israeliten. Die Mehrzahl sind Serben, daneben Serbo-Macedonier, Griechen, Zinzaren und wenige Deutsche, Czechen und
Ungarn. Belgrad besteht aus Festung und Stadt.
Die Festung zerfällt in zwei Teile, die obere auf einem gegen die Donau sanft, gegen die Save schroff (47 m) abfallenden
Bergrücken gelegen, hat eine alte Umwallung mit Gräben und Mauern gegen W. und SW., ein bastioniertes Hornwerk
[* 21] mit Ravelins, gegen S. Infanteriekasernen, die 1862 erbaute Kommandantur, Verwaltungsgebäude, Kasematten für 5-600 Sträflinge,
einen Brunnen
[* 22] mit 300 Steinstufen und das Grabdenkmal des 1683 hier erdrosselten Großwesirs Kara Mustapha. Die untere Festung
bestreicht beide Flüsse, enthält eine Kaserne, Magazine und die St. Rosalienkirche.
1) Dunavski Kvart (türk. Dortjol), der Festung zunächst auf der Donauseite, ehemals
Türkenstadt, Judenviertel und Wohnplatz der Donaufischer, mit der schön angelegten, geraden Duschanstraße, dem
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Lehrerseminar St. Sava, Gebäuden mehrerer Gesandtschaften und des Roten Kreuzes, großen Dampfbädern und dem einzigen, gut
erhaltenen türk. Bethaus (Džamija).
2) Varoški Kvart enthält die 1842 erbaute Metropolitan-Kathedrale mit dem 1882 renovierten Hauptaltar und der Gruft der
Familie Obrenowitsch, die prot. Kirche und Schule, die Hochschule am großen Platz, das Erzdenkmal des
Fürsten Michael, das Theater, die Nationalbank, große Geschäftshäuser, Kaufläden und Hotels.
3) Savski Kvart (türk. Savomahala) am Saveufer vor der untern Festung, mit dem Bahnhofe, Dampferlandungsplatze und den großen
Magazinen (z. B. der Tabaksregie), den Petroleumlagern des Fürsten Gagarin und dem Hauptzollamte.
4) Teraziski Kvart auf dem Bergrücken, ist breit angelegt, enthält das königl.
Palais, die meisten Ministerien, die Garnisonkirche und das Hauptpostamt.
5) Bračarski Kvart mit dem neuen Stadtteile und Englezovac (engl. Stadtteil), dessen
Grund und Boden aus den Fonds der EnglischenBibelgesellschaft angekauft, parzelliert und gegen Abzahlung den Bewohnern überlassen
wurde, enthält das Finanz- und das Bautenministerium, zahlreiche Militäranstalten, mehrere Gesandtschaftshotels
und viele villenartige Gebäude mit großen Gartenanlagen.
6) Kalilulsti Kvart mit der ältesten Kirche der Stadt, St. Marcus, Friedhöfen, Kasernen, den königl. Zuchtstallungen, dem
Bürgerspital und der deutschen Schule.
Verwaltung. Belgrad wird durch einen Bürgermeister (Gehalt 10000 Frs.), 7 Gemeinderäte, 5 Sekretäre und 32 unbesoldete Gemeinderäte
und Abgeordnete verwaltet. Für die Sicherheit sorgen 80 Schutzleute und 120 Gewölbewächter. Die Feuerwehr zählt 25 Spritzen
und Wagen, 50 angestellte und 80 freiwillige Feuerwehrleute. Die neue Wasserleitung
[* 24] ist bis auf 2 Reservoirs, die elektrische
Beleuchtung
[* 25] beinahe vollendet. Die Stadt hat 1 Mill. Frs. Schulden; die Einnahmen bestehen in Steuerzuschlägen
und Verzehrungsabgaben.
Behörden. Belgrad ist Residenz des Königs und Sitz der höchsten Regierungsbehörden und Gerichte des Landes, eines Erzbischofs,
des Präfekten mit 6 Unterpräfekten und 250 Gendarmen, eines Festungs- und Divisionskommandos, anderer militär.
Behörden und der Vertreter aller fremden Mächte.
Bildungs- und Vereinswesen. hat eine königl. Hochschule in einem 1861 von Kapetan
Miša Anastasijević, einem reichen Kaufmanne, geschenkten Gebäude, mit philos., jurist. und technischer Fakultät (35 Professoren), 3 Gymnasien, 1 Realschule, 1 Lehrer-
und 1 geistliches Seminar, eine Militärakademie, eine höhere Mädchenschule sowie 6 Knaben- und 6 Mädchenschulen (1190
Schüler, 620 Schülerinnen). Außerdem bestehen die Akademie der Wissenschaften (seit 1886), die Gelehrte
Gesellschaft (seit 1842), die Nationalbibliothek (80000 Bände), das Nationalmuseum mit zahlreichen serb. und ungar.
Altertümern und das Nationaltheater (850 Plätze). AußerTurn- und Schützengesellschaften wirken wohlthätige Vereine (Rotes Kreuz)
und eine Freimaurerloge. An Zeitungen erscheinen 10 politische, 3 Handels- und mehrere Fachblätter sowie 4 für Litteratur
und Kunst.
Industrie und Handel. Die Industrie ist nicht bedeutend. Es giebt 4 Dampfmühlen, 1 Lederfabrik, 10 Druckereien, 6 Ziegeleien, 2 Spiritusbrennereien, 2 Brauereien, 1 Gießerei,
[* 26] 1 Hutfabrik.
Der Handel ist lebhaft; er vermittelt die Einfuhr österr. Erzeugnisse und die Ausfuhr der
Rohprodukte
für das ganze Land. Es giebt 5 Banken, Filialen von 3 Versicherungsgesellschaften und 1 Handels- und Gewerbekammer.
Verkehrswesen. Belgrad liegt an der Linie Belgrad-Nisch (244 km) der Serb. Eisenbahn mit Anschluß an die Linie Budapest-Theresiopel-Semlin
der Ungar. Staatsbahnen.
[* 27] Im Innern der Stadt dienen 320 Fiaker und seit Frühjahr 1892 eine Pferdebahn dem Verkehr, Telephonverbindung
besteht nur zwischen den Behörden. Der Schiffsverkehr auf der Save und Donau ist lebhaft. Neben der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft
entsteht ein serb. Unternehmen.
Umgebung und Vergnügungsorte. Beliebte Promenaden bilden der Stadtpark (Kali megdan) und 2 km im SW. der königl. Park Toptschider
(Artilleriewiese) mit dem Schlosse des ersten Fürsten Milosch, einem Obelisken zur Erinnerung an die 50jährige
Befreiungsfeier 1865 und einem Tiergarten, in dem 1868 Fürst Michael ermordet wurde.
Geschichte. Schon zur röm. Zeit war die Stadt, damals Singidunum genannt und zur Provinz Obermösien gehörend, Standquartier
einer Legion. Im Mittelalter wird sie Alba
[* 28] graeca (deutsch «Griechisch-Weißenburg») genannt. Vom 7. bis 9. Jahrh.
gehörte sie den Avaren, im 10. den Bulgaren, im 11. und 12. Jahrh. stand sie wieder unter der Herrschaft
des byzant. Kaisers und litt 1241 und 1242 sehr unter den Verwüstungen der Mongolen. Im 14. Jahrh.
war Belgrad im Besitz der Serben.
Als ungar. Grenzfeste (seit 1433) ging sie nach mehrfachen glücklichen Verteidigungen an
die Türken unter Suleiman II. verloren, denen die Deutschen und Österreicher sie im Laufe der folgenden Jahrhunderte dreimal, 1688 unter
Emanuel von Bayern, 1717 nach dem Siege des Prinzen Eugen mit 40000 Mann über das dreimal so starke türk. Entsatzheer und 1789 (Laudon)
wieder abnahmen, ohne sie dauernd behaupten zu können; nur in den J. 1718-39 gehörte Belgrad mit
einem großen TeileSerbiens zu Österreich. Infolge der serb. Erhebung (s. Serbien, Geschichte) im Anfange des 19. Jahrh. wurde
Belgrad Hauptstadt des neubegründeten Fürstentums, während die Festung in den Händen der Pforte blieb, bis letztere 1867 auf
diplomat. Wege genötigt wurde, auch diese aufzugeben, nachdem 1862 ein türk.
Kommandant zum Schutze einer seitdem ausgewanderten türk. Kolonie die offene Stadt bombardiert hatte.