Titel
Bekker
,
1) Balthasar, aufgeklärter Theolog der reform. Kirche, geb. zu Metzlavier in Westfriesland, wo sein Vater Prediger war, studierte zu Groningen und Franeker, ward Prediger in dem friesischen Dorf Oosterlittens, sodann nacheinander zu Franeker, Loenen und Weesp in Holland, endlich 1669 zu Amsterdam. [* 2] Schon in Friesland hatten ihm seine Verteidigung der Cartesianischen Philosophie und die Herausgabe eines Lehrbuches der Dogmatik (betitelt »Vaste Spisse«, »Starke Speise«) den Vorwurf des Socinianismus zugezogen; als er aber in seinem Hauptwerk: »De betoverde weereld« (»Die bezauberte Welt«, 1691 u. öfter), den herrschenden Aberglauben in betreff böser Geister, Hexen und Zauberer angriff, ward er von einer Synode 1692 abgesetzt und exkommuniziert. Er starb
2) Elisabeth, eine der ausgezeichnetsten holländ. Schriftstellerinnen, geb. zu Vlissingen, war verheiratet mit dem reformierten Prediger Adrian Wolff in Beemster und trat zuerst mit kleinen satirischen Arbeiten, dann auch mit größern Werken auf. Aufsehen erregte gleich anfangs ihre Erzählung »De menuet en de Dominées-Pruik«, ein witziges und in seinen naiven Sittenschilderungen äußerst treffendes Werkchen. Dann lieferte sie ernsthafte Gedichte, z. B. »Walcheren« (1769),
»De brief van Jacoba van Bayeren«, »Andromache aan Agamemnon« (eine Heroide) u. a. Nach dem Tod ihres Gatten lebte sie in inniger Freundschaft mit der geistreichen Agathe Deken (s. d.),
mit welcher sie auch während
des sogen. englischen
Kriegs nach
Frankreich zog und sich zu
Trévoux niederließ (1788), wo ihre Liedersammlung »Wandelingen
in
Bourgogne« entstand.
Endlich 1798 nach
Holland zurückgekehrt, nahmen sie ihren
Wohnsitz im
Haag,
[* 3] wo Bekker
starb
und ihre Freundin
Deken ihr bereits 14. Nov. d. J. im
Tod nachfolgte. Die Bedeutung von Bekker
für die holländische Litteratur beruht
nicht auf ihren Gedichten, sondern auf ihren Prosawerken, namentlich den
Romanen, welche sie in
Gemeinschaft
mit der
Deken schrieb, und worin sie sich bemühte, der Schriftsprache die ungezwungene, natürliche Leichtigkeit der Unterhaltungssprache
zu geben.
Beide Frauen sind als die Schöpferinnen des niederländischen Originalromans zu betrachten. Ihr Hauptwerk ist die »Historie van mejuffrouw Sara Burgerhart« (Haag 1782, 2 Bde.; neue Ausg. 1879), die sich ebenso gegen die französische Romantik wie gegen die deutsche Sentimentalität wandte und ihren Wert ohne alles Haschen nach Effekt in einfacher, wohlmotivierter Darstellung und gediegener Charakteristik suchte. Die folgenden Romane sind in demselben Geist gehalten, aber breiter und redseliger und geben der Neigung zum Moralisieren zu viel Raum. Sie heißen: »Historie van den heer Willem Leevend« (Haag 1784-85, 8 Bde.);
»Brieven van Abraham Blankaart« (das. 1787-89, 3 Bde.);
»Cornelia Wildschut« (das. 1793, 6 Bde.).
Eine Anthologie aus ihren Werken nebst ihrer Biographie veröffentlichte J. ^[Johannes] van Vloten: »Het leven en de uitgelezen werken van E. Wolff-Bekker« (Schiedam 1866) und »Lotse proza-stukken en brieven« (das. 1866).
3) Immanuel, bedeutender Philolog und Kritiker, geb. zu Berlin [* 4] als Sohn eines unbemittelten Schlossers, besuchte das Gymnasium zum Grauen Kloster daselbst, studierte seit 1803 in Halle [* 5] Philologie und gewann dort die Zuneigung von F. A. Wolf, der ihm das Zeugnis ausstellte, daß er sein bester Schüler gewesen sei, wurde 1806 Inspektor des philologischen Seminars, nahm, als Halle westfälisch wurde, eine Hauslehrerstelle in Lanke bei Bernau an, wurde 1810 auf Wolfs Empfehlung außerordentlicher, 1811 ordentlicher Professor der Philologie in Berlin, 1815 Mitglied der Berliner [* 6] Akademie und starb daselbst Behufs Vergleichung von Handschriften befand er sich vielfach auf Reisen. So arbeitete er 1810-12 dritthalb Jahre in Paris, [* 7] wurde im Sommer 1815 abermals dorthin entsandt, um bei der Zurückforderung der aus Deutschland [* 8] stammenden Handschriften mitzuwirken und den Nachlaß Fourmonts für das »Corpus inscriptionum graecarum« auszubeuten, durchmusterte seit 1817 die Bibliotheken Italiens [* 9] und besuchte im Herbst 1819 zum drittenmal Paris, war 1820 in Oxford, [* 10] Cambridge, London, [* 11] Leiden, [* 12] Heidelberg [* 13] und 1839 wiederum in Italien. [* 14]
Seine großartige Thätigkeit richtete sich fast ausschließlich auf die diplomatisch-kritische Bearbeitung der klassischen Schriftwerke. Er unterscheidet selbst Rezensionen, d. h. völlig selbständig nur auf neuverglichenen Handschriften beruhende oder zuerst herausgegebene Schriften, und Rekognitionen. Von erstern nennen wir: »Apollonii Alexandrini de pronomine liber« in Buttmanns und Wolfs »Museum antiquitatis« (Berl. 1811),
die »Anecdota graeca« (das. 1814-21, 3 Bde.), Theognis (Leipz. 1815), Koluthos, Tzetzes (Berl. 1816),
Platon (das. 1816-23, 10 Bde.),
Thukydides (das. 1821, 3 Bde.; Oxford 1824),
die Attischen Redner (das. 1822-1823, 7 Bde.; Berl. 1823-24, 5 Bde.), die Bibliothek des Photios (das. 1824-25, 2 Bde.), die Scholien zur »Ilias« (das. 1825-27, 3 Bde), Aristophanes (Lond. 1829, 5 Bde.), Aristoteles (im Auftrag der Akademie, Bd. 1-3, Berl. 1831), Harpokration und Möris (das. 1833), Sextus Empiricus (das. 1842), das Onomastikon des Pollux (das. 1846), Cassius Dio (Leipz. 1849, 2 Bde.), Homer (Berl. 1843; 2. Ausg., Bonn [* 15] 1858, 2 Bde.; letztere mit eingedrucktem Digamma). Die Rekognitionen beziehen sich auf Herodian, Pausanias, Aratos, Herodot, Apollonios ¶
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Sophista, Polybios, Appian, Lukian, Diodor, Suidas, Apollodors Bibliothek, Heliodors Äthiopika, Flavius Josephus, Plutarchs Biographien. Von der durch die Berliner Akademie veranstalteten Sammlung der »Scriptores historiae byzantinae« hat er 25 Bände bearbeitet. Von lateinischen Autoren hat er nur Livius (Berl. 1829) und Tacitus (Leipz. 1831, 2 Bde.) ediert. Auch besorgte er eine neue Ausgabe von Nitz' »Griechischem Wörterbuch in etymologischer Ordnung« (Berl. 1821). Außerdem hat er sich viel mit provençalischen und altfranzösischen, zum großen Teil bis dahin ungedruckten Sachen befaßt, die teils in den Abhandlungen der Akademie, teils an andern Stellen publiziert wurden; so unter andern der provençalische »Fierabras«, die altfranzösischen Romane von »Aspremont«, von »Flor und Blancheflor«. Seine letzte Schrift sind die »Homerischen Blätter« (Bonn 1863-72, 2 Bde.).
Vgl. Sauppe, Zur Erinnerung an
Meineke und Bekker
(Gött. 1872).
4) Ernst Immanuel, namhafter Rechtsgelehrter, Sohn des vorigen, geb. zu Berlin, studierte daselbst und in Heidelberg und habilitierte sich nach einigen Jahren praktischer Thätigkeit 1853 in Halle, wurde dort 1855 zum außerordentlichen Professor ernannt und 1857 als ordentlicher Professor der Rechte nach Greifswald [* 17] berufen. 1874 ging er als Nachfolger Windscheids nach Heidelberg. Er schrieb: »Die prozessualische Konsumption« (Berl. 1853);
»Die Aktionen des römischen Privatrechts« (das. 1871, 2 Bde.);
»Das Recht des Besitzes bei den Römern« (Leipz. 1880);
»Über die Kouponsprozesse der österreichischen Eisenbahngesellschaften« (Weim. 1881).
Mit Th. Muther begründete er das »Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts« (Leipz. 1857-63, 6 Bde.). Auch war er eine Zeitlang Mitherausgeber der »Kritischen Vierteljahrschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft«.