Beharrungs
vermögen,
die Eigenschaft der Körper, kraft welcher sie in dem angenommenen Bewegungszustande beharren, bis eine äußere Ursache diesen Zustand abändert. Bei ungenauer Beobachtung kommt man leicht zu der Ansicht, daß die Geschwindigkeit eines etwa durch einen Stoß in Bewegung gesetzten Körpers von selbst allmählich abnimmt. Die genauere Untersuchung lehrt jedoch, daß ein Körper auf einer horizontalen Bahn sich desto länger und gleichmäßiger fortbewegt, je glatter diese Bahn ist. So kann ein Körper auf einer Eisbahn sehr lange seine Geschwindigkeit beibehalten, ein gut gearbeiteter Kreisel auf einer Spitze eine halbe Stunde fort rotieren. Bewegt man die ¶
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641 Körper mit der Hand, [* 3] so empfindet man den Widerstand der Bahn als einen Druck derselben Art wie derjenige, der die Körper in Bewegung setzt. Je kleiner dieser Widerstand (Druck) ist, desto länger und gleichmäßiger bewegen sich die Körper fort. Durch solche Überlegungen erkannte Galilei (1638), daß die Bewegungsgeschwindigkeit der Körper nur durch gegenwirkende Kräfte vermindert wird, ebenso wie dieselbe nur durch Kräfte erzeugt werden kann. Sowie eine Kraft [* 4] nötig ist, ein Geschoß, [* 5] einen Eisenbahnzug in Bewegung zu setzen, so kann auch nur eine Kraft dieselben aufhalten. Da das Wesen einer Kraft (s. d.) in der unausgesetzten Beschleunigung (s. d.) oder Geschwindigkeitsänderung im Sinne der Kraft besteht, wie dies z. B. beim Fall (s. d.) des Körpers deutlich hervortritt, so ist klar, daß, wo keine Kraft wirksam ist, auch keine Geschwindigkeitsänderung eintritt.
Die Richtung einer Bewegung kann sich ebenfalls nur ändern, wenn von anderer Richtung eine Kraft wirkt. Ohne die Wirkung einer Kraft behält also ein bewegter Körper seine Richtung und Geschwindigkeit ungeändert bei. Ein ruhender Körper bleibt ohne Kraft nach demselben Gesetze in Ruhe. Dieses dem Augenschein so sehr widersprechende Gesetz der Trägheit (Inertia) oder Beharrung (von Galilei 1638) bildet mit dem Kraftbegriff, in dem es eigentlich schon enthalten ist, die wichtigste Grundlage der Mechanik; die klare Erkenntnis derselben bedeutet einen der größten Fortschritte. –
Vgl. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung (2. Aufl., Lpz. 1889);
Wohlwill, Die Entdeckung des Beharrungs
gesetzes (in der
«Zeitschrift für Völkerpsychologie», 1884).