Begehrungs
vermögen,
ein
Ausdruck der ältern
Psychologie, der die Erscheinungen zusammenfaßt, welche sich auf ein
Streben aus der Gegenwart in die Zukunft beziehen, die Begehrungen und Verabscheuungen, Neigungen und
Abneigungen, dann auch die Überlegungen, Entschließungen und Willensakte. Es wurde gesondert einerseits vom Erkenntnisvermögen,
andererseits vom Gefühlsvermögen. Man unterschied außerdem ein unteres oder niederes und ein oberes oder höheres Begehrungs
vermögen, indem
man zu jenem die Äußerungen der sinnlichen
Triebe, des instinktmäßigen
Wollens, ebenso die Neigungen und
Leidenschaften, zu diesem das verständige, überlegte, vernünftige sittliche
Wollen rechnete.
In der letztern
Beziehung setzte Kant die praktische, sittlich gesetzgebende
Vernunft dem obern Begehrungs
vermögen gleich. Die ganze
Ansicht
vom geistigen Leben jedoch, in welcher die
Annahme eines besondern Begehrungs
vermögen wurzelt, hat sich als unzureichend zur Erklärung der
psychischen Vorgänge erwiesen, und die
Psychologie hat es als ihre
Aufgabe erkannt, die verschiedenen
Arten des Begehrens (Wunsch,
Begierde,
Trieb, Neigung, Leidenschaft, Wille) in ihrer individuellen Bestimmtheit und Veränderlichkeit
aus elementaren Erscheinungen und allgemeinen Gesetzen abzuleiten.
Hiernach werden Begehren und Widerstreben als die beiden Grundformen der Triebe aufgefaßt, als Gefühle der Lust oder Unlust in Verbindung mit mehr oder weniger deutlichen Vorstellungen und gefolgt von Bewegungen, welche das vorhandene Lustgefühl zu vergrößern oder das empfundene Unlustgefühl zu beseitigen bestimmt sind. Dies geschieht dadurch, daß die jenen Vorstellungen entsprechenden thatsächlichen Zustände des Körpers herbeigeführt und die dazu erforderlichen äußern Bedingungen hergestellt werden.