Beethoven
,
Ludw.
van, der größte neuere deutsche Tondichter, geb. in
Bonn,
[* 2] wo sein Großvater
Ludwig
van Beethoven
Kapellmeister, sein
Vater
Johann
van Beethoven
Tenorist in der kurfürstl. Kapelle war, zeigte früh ein auffallend musikalisches
Talent. Seine Schulbildung erhielt Beethoven
auf dem
Bonner
Tirocinium. Unter seinen ersten musikalischen Lehrern ragt der Opernkomponist
und Musikdirektor Neefe hervor, der das große
Talent des
Knaben sofort erkannte und in außerordentlichster
Weise förderte.
Durch ihn wurde Beethoven
bereits 1783 (in Cramers
Magazin) der musikalischen Welt als zweiter
Mozart vorgestellt, auf seine Veranlassung
erhielt er 1785 sein erstes
Amt als zweiter Hoforganist. Neefe vermittelte auch die Herausgabe seiner
Kompositionen. 1787 ging
Beethoven
nach
Wien,
[* 3] um
Mozarts
Schüler zu werden. Die
Krankheit der
Mutter, die bald auch starb, rief ihn zurück. 1792 schickte
ihn der Kurfürst zum zweitenmal nach der Kaiserstadt und in die
Lehre
[* 4] zu J.
Haydn.
Außer bei
Haydn fand Beethoven
bei Schenk, dem
Komponisten des «Dorfbarbier», Unterweisung, auch machte er nach
Haydns Abreise nach England 1794 bei
Albrechtsberger
einen theoretischen Kursus durch und erhielt von Salieri noch Anleitung zur Gesangskomposition.
Durch die Empfehlungen des Kurfürsten wurde er in die aristokratischen
Kreise
[* 5] eingeführt. Der Fürst K. Lichnowski nahm
ihn in sein Haus,
Graf Rasumowski stellte ihm sein Quartett, Fürst Lobkowitz seine Kapelle zur
Verfügung. So wurde Beethoven
bald
heimisch in
Wien, das er mit Ausnahme einer
Reise nach
Prag
[* 6] und
Berlin
[* 7] (1796) und einer Badereise nach
Teplitz
(1812) nicht wieder verließ. Den
Sommer brachte er gewöhnlich in der Nähe von
Wien auf dem
Lande zu, wo er im ungestörten
Genuß der freien Natur, die er leidenschaftlich liebte, Erholung und Anregung fand.
Hatte Beethoven
bald nach seiner Ankunft in
Wien als Virtuose den ersten Platz eingenommen, den er auch, namentlich durch sein geniales
freies
Phantasieren, behauptete, solange er als
Klavierspieler sich hören ließ, so trat er gleich mit dem ersten größern
Werke, das er veröffentlichte, drei Klaviertrios, 1795 ebenbürtig und vollberechtigt in
die erste Reihe
der großen
Komponisten. Von da an gab eine lange Reihe mannigfacher
Kompositionen Zeugnis von der
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mehr
stetigen, nach allen Seiten vordringenden, in Form und Inhalt gleichmäßig fortschreitenden, durch unerschöpflichen Reichtum
wahrhaft neuer Erfindungen immer wieder überraschenden Entwicklung seiner Schöpferkraft. In einem planmäßigen Entwicklungsgange
bemächtigte sich Beethoven
zuerst der verschiedenen Formen der Kammermusik von der Klaviersonate, die er zu ihrer vollen künstlerischen
Bedeutung ausbildete, bis zum Quartett (deren er 16 geschrieben hat), um das auf diesem Gebiete Gewonnene
auf die Orchestermusik zu übertragen, und bildete die gesamte Instrumentalmusik in einem neuen großen Stile aus. Mit sicherer
Hand
[* 9] ergriff er alle Mittel des musikalischen Ausdrucks, welche Mozart und Haydn überliefert hatten, und erweiterte und bereicherte
sie, indem er ihren Gehalt vertiefte und die architektonischen Formen ausbaute. Das innere Leben und
die äußere Erscheinung von Sinfonie und Sonate, die ganze Instrumentalmusik trat so durch Beethoven
auf eine neue, höhere Stufe.
Mit der dritten Sinfonie, der «Eroica» (1804), ist diese Richtung vollständig entschieden, die von da an in jeder neuen
Komposition eigentümlich sich ausspricht. Namentlich sind es die Sinfonien in B-dur (1806), in C-moll, die Pastorales ^[richtig:
Pastorale] (1807-8) und dann die in A-dur und F-dur (1812), welche wie Marksteine den Gang
[* 10] des Meisters bezeichnen. Ihnen reihen
sich die zwei großen Leonoren-Ouverturen in C-dur (1805 und 1806; beide das Op. 72 bildend), die drei
russ. Streichquartette (1806, Graf Rasumowski gewidmet) und die großen Konzerte für Klavier und Violine an. Auch auf dem Gebiete
der Gesangsmusik blieb Beethoven
nicht unthätig.
Neben Liedern und kleinern Stücken schrieb er 1803 die Kantate «Christus am Ölberg», 1805 folgte die Oper «Fidelio», welche
damals und in abgekürzter Form 1806 wenig Erfolg hatte, aber 1814, teilweise umgearbeitet, Beifall und
von da an einen dauernden Platz auf allen deutschen Bühnen errang. Es war die erste Leistung seit Mozarts «Zauberflöte», die
eine weitere Entwicklung ankündigte. Doch kam Beethoven
trotz wiederholter Anläufe nicht wieder dazu, eine Oper zu schreiben.
Nur noch zwei Festspiele, die er zur Eröffnung des Theaters in Pest 1812 komponierte: «König Stephan» und «Die Ruinen von
Athen»,
[* 11] ferner das Ballett «Die Geschöpfe des Prometheus» (1801),
die Musik zu Goethes «Egmont» (1810) und die Ouvertüre zu Collins «Coriolan» (1807) bilden die weitern dramat. Arbeiten B.s.
Als 1809 Beethoven
als Kapellmeister des Königs von Westfalen
[* 12] nach Cassel berufen wurde, traten der Erzherzog
Rudolf (B.s Schüler und Freund), Fürst Lobkowitz und Graf Kinsky zusammen und sicherten ihm ein Jahrgeld von 4000 Fl. gegen
die einzige Bedingung, Österreich
[* 13] nicht zu verlassen. Zwar schmälerten der Staatsbankrott 1811 und der bald darauf
eingetretene Konkurs des Fürsten Lobkowitz wie der Tod des Grafen Kinsky dieses Einkommen, doch sicherte es dem in der Vollkraft
des Schaffens stehenden Künstler eine unabhängige Stellung.
Das Kongreßjahr 1814 fand ihn auf der Höhe seines Ruhms: großartige Aufführungen seiner siebenten und achten Sinfonie,
der Sinfonie «Die Schlacht bei Vittoria» und einer Gelegenheitskantate «Der
glorreiche Augenblick», die Wiederaufnahme des «Fidelio» hatten
ihn zu einer Berühmtheit Wiens gemacht. Allein Beethoven
war nicht im stande, eine solche Anerkennung vollkommen zu empfinden, da
sich eine schon früh aufgetretene Harthörigkeit seit 1802 zu hochgradiger Taubheit gesteigert
hatte.
Das trotz aller Heilversuche immer wachsende Übel verdüsterte seinen von Kindheit an zur Melancholie
neigenden Sinn, machte ihn mißtrauisch und ließ ihn vereinsamen. Eine neue Quelle
[* 14] von Widerwärtigkeiten und Kümmernissen
entstand 1815, als er die Erziehung des von seinem verstorbenen Bruder Karl hinterlassenen Sohnes übernahm, seine äußern
Verhältnisse verschlimmerten sich, selbst seine Schaffenskraft stockte. Die Ernennung des Erzherzogs
Rudolf zum Erzbischof von Olmütz,
[* 15] die 1818 bekannt wurde, erregte in Beethoven
den Gedanken, zu dessen Installation eine Messe zu schreiben;
die mit der hingebendsten Begeisterung ausgeführte Komposition nahm ihn bis 1822 in Anspruch.
Während eine früher für den Fürsten Esterházy komponierte Messe (1808) im wesentlichen den Haydn-Mozartschen Charakter
festhält, sind in diesem neuen Werke, das nach Ausdehnung,
[* 16] Mitteln und Intentionen die gewöhnlichen Dimensionen überschreitet,
die religiösen Empfindungen mit leidenschaftlicher Inbrunst ausgesprochen. Nach Vollendung dieser «Missa Solemnis» machte
sich Beethoven
mit gleichem Eifer an die Ausführung eines lange gehegten Plans, einer Sinfonie, deren letzter Satz mit Chören über
Schillers Lied an die Freude schließt.
Anfang 1824 war auch dieses Werk, das ebenfalls durch Ausdehnung und technische Schwierigkeiten, namentlich in den Gesangspartien,
ungewohnte Ansprüche machte, vollendet. Diesem folgten, zum Teil unter schweren körperlichen Leiden
[* 17] geschrieben, fünf große
Quartette, die auch heute noch mehr ein Gegenstand des Studiums als des allgemeinen Genusses sind. Beethoven
starb
nach längern Leiden an Wassersucht. Denkmäler von Beethoven befinden sich in Bonn (Erzstatue von Hähnel, errichtet 1845)
und Wien (von Zumbusch, 1880). Die sämtlichen Werke B.s erschienen bei Breitkopf & Härtel (24 Serien, Lpz. 1862-64). Ein
chronol. Verzeichnis der Werke veröffentlichte Thayer (Berl. 1865), ein thematisches
mit histor. Nachweisen über die Entstehung lieferte Nottebohm (Lpz. 1868; 2. Aufl. des Breitkopf & Härtelschen Verzeichnisses).
Ein Beethoven-Museum befindet sich in B.s Geburtshaus zu Bonn.
Litteratur. Wegeler und Ries, Biographische Notizen über Beethoven (Kobl. 1838);
Schindler, Biographie von L. van Beethoven (Münst. 1840; 4. Aufl. 1881);
von Lenz, Beethoven, eine Kunststudie (5 Tle., Kassel [* 18] und Hamb. 1855-60);
Marx, L. van Beethoven Leben und Schaffen (Berl. 1859; 4. Aufl. 1884);
Ulibischeff, Beethoven, ses critiques et ses glossateurs (Lpz. 1857; deutsch von Bischoff, ebd. 1859);
Nohl, B.s Leben (3 Bde., Wien u. Lpz. 1864-77);
ders., Beethoven, nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen (Stuttg. 1877);
Nottebohm, Ein Skizzenbuch von Beethoven (Lpz. 1865);
ders., Beethoveniana (ebd. 1872);
ders., B.s Studien, Bd. 1 (ebd. 1873);
ders., Zweite Beethoveniana (ebd. 1886);
Hiller, L. van Beethoven (ebd. 1871);
Thayer, Ludwig van B.s Leben (deutsch von H. Deiters, 3 Bde., Berl. 1866-79);
ders., Ein kritischer Beitrag zur Beethoven-Litteratur (ebd. 1877);
von Breuning, Aus dem Schwarzspanierhause.
Erinnerungen an Beethoven (Wien 1874);
Jahn, L. van Beethoven (2. Aufl., Elbing [* 19] 1875);
Wilder, Beethoven, sa vie et son œuvre d'après les documents authentiques et les travaux les plus récents (Par. 1883);
Frimmel, und Goethe (Wien 1883);
ders., Neue Beethoveniana (ebd. 1888; Neuausg. 1890);
von Wasielewski, L. van Beethoven (2 Bde., Berl. 1887);
Kalischer, Die «Unsterbliche Geliebte» B.s (Dresd. 1891). ¶