Beernaert
*, Auguste Marie François, belg. Staatsmann, geb. zu Ostende [* 3] als der Sohn kleinbürgerlicher Eltern, studierte die Rechte und ließ sich in Brüssel [* 4] als Advokat beim Appellhof nieder. Er begründete seinen Ruf frühzeitig durch eine ungewöhnliche Rednergabe, die ihn auch beim Gebrauch der niederländischen Sprache [* 5] nicht verläßt. Da er in den Streitfällen des Wahlrechts einzelner als Sachwalter der Liberalen auftrat und Mitverwalter der liberalen Zeitung »Étoile belge« war, wurde er allgemein zu den Liberalen gerechnet, obschon er der eigentlichen Parteipolitik stets fern geblieben.
Seine
Berufung in das
Ministerium
Malou erregte daher 1872 nicht geringe Überraschung. Als
Minister der öffentlichen
Arbeiten
aber beschränkte Beernaert
seine Thätigkeit streng auf die Angelegenheiten seines
Ressorts, auch nachdem er 1874 für
Thielt in die Zweite
Kammer gewählt war; die bedeutendste Leistung Beernaerts
aus dieser Zeit ist die
Verstaatlichung größerer
Eisenbahnen. Nach dem
Sturz des
Ministeriums
Malou im Juni 1878 nahm Beernaert
seine Rechtspraxis wieder auf; in der
Kammer stand er
mit
Malou,
Jacobs und Woeste an der
Spitze der
Opposition gegen das
Ministerium
Frère-Orban, dessen Steuerpläne
er 1883 mit
Nachdruck bekämpfte. Er nahm sehr regen
Anteil an der
Gründung einer Mittelpartei, deren Vertreter 1884 in
Brüssel
als Unabhängige gewählt wurden, bald darauf aber in der klerikalen
Partei gänzlich aufgingen. Im zweiten
Ministerium
Malou
erhielt Beernaert
das an
Stelle des Unterrichtsministeriums geschaffene
Ministerium für
Landwirtschaft,
Gewerbe und
Kunst.
Als infolge der Entlassung der
Minister
Jacobs und Woeste auch
Malou zurücktrat, übernahm
an des letztern
Stelle
den Vorsitz im
Kabinett und das
Finanzministerium. Beernaert
führte die Umwandlung der 4proz.
Staatsschuld in 3proz.
und mehrere Steuerreformen durch; 1889 brachte er die
Kammern dazu, fast ohne
Widerspruch zu genehmigen, daß der
Staatsschatz
sich für 10 Mill.
Frank an dem Unternehmen der Congoeisenbahn beteiligen dürfte. In der Leitung der allgemeinen
Politik war
Beernaert
bestrebt, seine
Partei zur Mäßigung anzuhalten, was ihm jedoch meist nur durch
Verschiebung der brennenden
Angelegenheiten gelang. 1887 bekämpfte er ohne Erfolg die aus der parlamentarischen Anregung vorgeschlagenen Fleischzölle;
ebenso bekannte er sich im
Gegensatz zu der Kamm
ermehrheit als Anhänger der persönlichen
Wehrpflicht. Durch die Ungeschicklichkeit
des
Ministers
De Volder kam es im
Mai und
November 1889 dazu, daß Beernaert
mit diesem von der
Opposition beschuldigt
wurde, die Arbeiterwirren im
Hennegau teilweise durch Lockspitzel hervorgerufen zu haben, eine unbewiesene Behauptung, welcher
einstimmige
Vertrauenszeugnisse der
Rechten die
Spitze abbrachen. In der vlämischen
Frage trat Beernaert
als Kabinettschef für die
Forderungen der
Vlämen ein.