Beaumarchais
(spr. bomarschä), Pierre Augustin Caron de, franz. Schriftsteller, geb. zu Paris, [* 2] war der Sohn eines Uhrmachers, dessen Kunst er nicht ohne Talent bis zu seinem 21. Jahr ausübte. Durch sein anziehendes Äußere und gewandtes Benehmen, seinen Humor und Sinn für Poesie und Musik (er spielte vorzüglich Harfe) gewann er die Gunst der Frauen; durch seine Heirat mit der Witwe eines niedern Hofbeamten wurde er bei Hof [* 3] bekannt und den Töchtern Ludwigs XV. als Lehrer des Harfenspiels empfohlen, eine Stellung, in der er sich bis 1760 zu halten wußte.
Durch geschickte Benutzung seines Einflusses erwies er dem
Bankier
Paris-Duverney einen
Dienst, den dieser so hoch schätzte,
daß er in die Finanzgeschäfte einweihte und ihm eine große
Summe vorstreckte, mit welcher Beaumarchais
sich den Adelstitel und einflußreiche
Hofämter kaufte und ein beträchtliches
Vermögen erwarb. 1764 reiste er nach
Spanien,
[* 4] um die
Ehre seiner
Schwester zu schützen,
der ein höherer spanischer
Beamter, Clavigo, die
Ehe versprochen hatte; es gelang ihm, die
Entsetzung und
Verbannung des Wortbrüchigen
zu erwirken.
Hierüber schrieb er sein erstes Stück: »Eugénie« (1767),
ein bürgerliches Rührstück in Diderots Manier, welches (sowie die Erzählung der spanischen Reise im 4. Memoire) Goethe für seinen »Clavigo« benutzte;
dann 1770: »Les deux
amis, ou le négociant de
Lyon«,
[* 5] erfolglos wie das erste. In demselben Jahr starb sein
Gönner Duverney und hinterließ die
Notiz, daß
er an Beaumarchais
15,000
Livres schulde.
Diese
Summe wollte der
Erbe, der
Graf de la Blache, nicht bezahlen;
es kam zu einem
Prozeß, den in erster
Instanz gewann.
Nun wurde an das
Parlament appelliert. Inzwischen mußte Beaumarchais
wegen eines
Streits mit dem
Herzog von Chaulnes ins Gefängnis wandern. Das benutzten seine Gegner; durch
Verleumdungen,
falsche
Briefe etc. wurde das
Parlament so gegen Beaumarchais
eingenommen, daß er verurteilt wurde. In dieser verzweifelten
Lage bewährten
sich seine
Energie und sein erfindungsreicher
Geist aufs glänzendste. Er hatte, um beim
Berichterstatter seines
Prozesses, dem
Rat Goezman, Zutritt zu erhalten, der
Frau desselben 100
Louisdor, eine
Uhr
[* 6] mit
Brillanten und 15
Louisdor
für den
Schreiber überreicht.
Als der
Prozeß verloren war, gab die
Dame alles zurück, nur nicht die 15
Louisdor. Darüber Lärm und
Klage von Beaumarchais'
Seite und
von Goëzman hochmütige Antwort und neue
Insinuationen.
Nun veröffentlichte Beaumarchais
seine
»Mémoires du sieur Beaumarchais
par lui-même«, 4 Abhandlungen
(1774-78; neue Ausg. von
Sainte-Beuve, 1873), in denen er mit glänzender
Beredsamkeit, feinem
Humor und
köstlicher
Ironie die
Schäden der damaligen
Rechtspflege aufdeckt und sich zum Rächer der gedrückten Menschheit und zum
Vorkämpfer des rechtlosen dritten
Standes aufwirft.
Damit hatte sich Beaumarchais
die öffentliche Meinung wiedererobert; er war der gefeiertste
Mann in
Paris, die ganze
Aristokratie, der
Prinz von
Conti, ja die
Dauphine
Marie Antoinette trugen offen ihre Bewunderung für ihn zur
Schau. Seine Feinde
mochten ihn immerhin verleumden, das
Parlament ihn wiederum verurteilen; vor dem
Publikum hatte
er seine
Sache gewonnen. Eine
der ersten Regierungshandlungen
Ludwigs XVI. war, das verhaßte
Parlament
Maupeou aufzulösen und das
Urteil
gegen Beaumarchais
kassieren zu lassen.
Seine
Popularität wuchs aber ins Ungeheure durch die Aufführung seiner beiden
Lustspiele: »Le
[* 7]
barbier de Séville, ou la précaution
inutile« und dessen Fortsetzung »La folle journée, ou le mariage de
Figaro«, zu denen noch das spätere, aber weit schwächere
Stück: »La mère coupable«, gehört. Im J. 1772 am
Théâtre français angenommen, während des
Prozesses zurückgestellt,
wurde der
»Barbier« erst im
Februar 1775 aufgeführt, zuerst wegen seiner
Länge (5
Akte) ohne den erwarteten Erfolg, dann, als
Beaumarchais
ihm das »fünfte
Rad« genommen, mit ungeheurem Beifall.
Bei diesem Stück gelang es ihm, seine Autorrechte gegenüber den maßlosen Ansprüchen der Schauspieler zu behaupten und so die Anerkennung des geistigen Eigentums zu erwirken. Mehr Geschicklichkeit, als »Le mariage de Figaro« zu schreiben, gehörte fast dazu, es zur Aufführung zu bringen. Den König und alle einflußreichen Hofämter hatte er gegen sich; sieben Jahre lang waren alle Anstrengungen vergeblich trotz der Unterstützung der Königin und des Grafen von Artois.
Endlich gelang es, die Zustimmung des
Königs zu einer Privatvorstellung auf dem
Gute des
Grafen von Vaudreuil zu erhalten und
bald darauf zu der in
Paris Ungeheuer war der Andrang; die ganze
Blüte
[* 8] des
ancien régime beklatschte
ein
Stück, das dasselbe lächerlich machte und vernichtete. Hundertmal hintereinander wurde es gegeben, immer mit großem
Beifall, wenn auch nicht verschwiegen werden darf, daß Beaumarchais
Reklame und
Claque auf das geschickteste zu verwerten wußte. In
diesen von
Geist,
Witz und Lebendigkeit übersprudelnden
Stücken steht der erfindungsreiche
Figaro, der
weder Eltern noch
Vermögen hat, der
Klasse von Leuten gegenüber, die sich »bloß die Mühe geben, geboren zu
werden, weiter nichts«.
Und das ist die bitterste
Satire, daß alle diese Almaviva und Basile nicht merkten, daß hinter
Figaro nicht bloß Beaumarchais
, sondern
das
Volk selber stand, und daß sie mit ihrem thörichten Beifallklatschen das
Signal gaben zu ihrem eignen
Untergang.
»Figaro«, urteilte
Napoleon, war die
Revolution schon in
Aktion. Mit diesem welthistorischen
Stück hatte Beaumarchais
den Gipfel
seines Ruhms erreicht; er sollte nun erfahren, wie wandelbar das
Glück und die
Gunst des
Volkes sind. Eine zu scharfe
Replik
auf einen anoymen ^[richtig: anonymen]
Artikel hohen Ursprungs trug ihm
Gefängnisstrafe ein;
die Herausgabe von Voltaires Werken mißglückte fast ganz;
am meisten aber schadete ihm die Gegnerschaft
Mirabeaus, den er durch eine unbedachte Äußerung gereizt
hatte, denn dieser erwiderte mit so beißender
Ironie, geißelte Beaumarchais'
Hauptschwäche, die Geldgier, so schonungslos,
daß Beaumarchais
nicht zu antworten wagte;
er hatte seinen Meister gefunden.
Aber auch sein Talent ging auf die Neige. Seine Memoiren gegen Kornmann (1787), der seine eigne Frau unwürdig behandelt hatte, waren schwächer als die gegen Goëzman; vor dem Parlament gewann er den Prozeß, vor dem Publikum verlor er ihn. Man erzählte aus seinem häuslichen Leben tausend wahre oder falsche Details, die nur darauf ausgingen, Skandal und Spott zu erregen. Damals dichtete er seine Oper »Tarare«, ein tolles Stück mit revolutionären Anspielungen, eine Art Vorspiel zur Erklärung der Menschenrechte. Beim Ausbruch der Revolution, die er zum guten Teil vorbereitet hatte, erschrak er über die Zügellosigkeit der Geister. Er hatte sich fortwährend gegen hämische Anklagen beim ¶
mehr
Konvent zu verteidigen und that es, indem er seine Verdienste möglichst hervorhob. 1791 gab er »La mère coupable«, die schon erwähnte rührselige Fortsetzung der »Hochzeit«, heraus. 1792 zog ihm ein Flintenankauf, den er für Rechnung der Regierung in Holland ausführte, viele Verdrießlichkeiten und Gefahren zu. Er wurde gefangen genommen und entfloh nach London, [* 10] kehrte aber bald zurück, um mit den langweiligen »Mémoires, ou mes six époques« (1793) sich zu rechtfertigen.
Dann mußte er wieder fliehen, diesmal nach Hamburg, [* 11] wo er in der äußersten Not lebte, so daß er sogar am Licht [* 12] sparen mußte. 1796 kehrte er, fast ganz taub, zu seiner Familie zurück und starb am Schlagfluß. Man sagte auch, er habe sich selbst vergiftet. Außer den genannten Schriften existieren von ihm einige politische Aufsätze über England und seine Kolonien. Sein »Théâtre« erschien in neuer Ausgabe von Saint-Marc Girardin (1861) und von d'Heylli und Marescot (1868-72, 4 Bde.) mit Anmerkungen; seine »Œuvres complètes« gaben Moland (1874) u. Fournier (1875) heraus.
Vgl. Loménie, et son temps (3. Aufl., Par. 1873, 2 Bde.);
Huot, en Allemagne (das. 1869).