(spr. beck'nsfihld oder bihk'nsfihld), Marktstadt in der engl.
GrafschaftBuckingham, 36 km westnordwestlich von
London,
[* 3] hat (1891) 1773 E. Beaconsfield war Lieblingsaufenthalt des Dichters E.
Waller
und Wohnsitz Edmund
Burkes, die beide hier starben und begraben liegen.
Nach diesem Orte erhielt
Benjamin
Disraeli bei seiner
Erhebung in die Peerage (1876) den
Titel Earl of
B. ^[]
(spr. beck'nsfihld oder bihk'nsfihld),Benjamin Disraeli, seit 1876
Graf von Beaconsfield, engl. Staatsmann und Schriftsteller,
geb. zu
London, stammte aus einer jüdischen, ursprünglich inSpanien
[* 4] angesessenen Familie,
die Ende des 15. Jahrh.
vor derInquisition nach
Venedig
[* 5] geflüchtet und von dort, Mitte des 18. Jahrh., in England eingewandert
war. Er wurde mit seinem
Vater Isaak Disraeli (s. d.) getauft.
Die erste Erziehung erhielt Beaconsfield durch Privatunterricht,
arbeitete seit 1821 mehrere Jahre bei einem
Londoner Sachwalter, gab aber diesen
Beruf 1831 endgültig
auf, als sein erster
Roman «Vivian Grey» (5 Bde.,
Lond. 1825–27) mit seiner vortrefflichen
Schilderung des höhern engl. Gesellschaftslebens einen glänzenden Erfolg errang
und ihn plötzlich zum berühmten Schriftsteller machte. 1828–31 unternahm er eine
Reise nach
Spanien,
Italien
[* 6] und dem
Orient,
die auf seine
Anschauungen maßgebenden Einfluß übte, vor allem gegenüber dem
Judentum, das in ihm einen
warmen Verteidiger fand. Dieser orient. Einfluß zeigte sich besonders in seinem
Roman «The wondrous tale of
David Alrov» (1833);
vor demselben war erschienen eine
Swift nachgebildete Satire «The adventures of Popanilla» (1828) und
dieRomane «The young Duke» (3 Bde.,
Lond. 1830) und der bedeutendere «Contarini Fleming,
a psychological autobiography» (4 Bde., ebd. 1832); später
verfaßte er noch die
Romane«HenriettaTemple» (1836) und
«Venetia» (1837). Nach der Rückkehr von seiner
Reise stürzte Beaconsfield sich
mit Eifer in das polit. Leben, welches damals ganz von dem Kampf um die Parlamentsreform beherrscht war.
In einer
Broschüre «What is he?» (1832) legte er ein ganz demokratisches
Glaubensbekenntnis ab und gab ein die Revolution
verherrlichendes «Revolutionary epic» (Lond.
1834; neue Aufl. 1864) heraus.
Seine gleichzeitige Bewerbung um einen Parlamentssitz schlug fehl, und es folgte bei ihm eineAnnäherung
an die Konservativen, so daß er endlich 1837 als
Anhänger Peels in das
Unterhaus gewählt wurde. Er suchte durch eine auffallende
äußere Erscheinung in Kleidung, Gebaren und Redeweise die
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wurde aber bei seinem ersten
Auftreten durch das lärmende Gelächter der Zuhörer zum
Abbrechen seiner Rede gezwungen. Durch seine
Heirat mit
Mrs. Wyndham Lewis, einer vermögenden
Witwe, Aug. 1839, wurde er äußerlich unabhängig und gewann zugleich in
seiner Gattin eine treue, an seiner ganzen Lebensarbeit teilnehmende Gefährtin.
Mit zäher Ausdauer erwarb er sich einen allmählich wachsenden polit. Einfluß und gründete zu Anfang der vierziger Jahre
mit Lord Manners,
George Smythe u. a. die Partei des
Jungen Englands (s. d.). Er forderte eine verjüngte
Torypartei, die mit demokratischen Grundsätzen für das
Volk einträte, darüber aber ein starkes und populäres Königtum;
auf
Kirche, Monarchie und
Volk sollte diese Partei sich stützen. Eine
Schilderung des
«Jungen England» gab er in einem
seiner besten
Romane «Coningsby, or the new generation» (3 Bde.,
Lond. 1844). Ihm folgten mit ähnlichen polit. Ideen «Sybil,
or the two nations» (3 Bde., ebd. 1845) und
«Tancred, or the new crusade» (3 Bde., ebd. 1847).
Mit seiner wachsenden litterar. wuchs auch seine polit. Bedeutung. Nachdem er Peel zuerst unterstützt
hatte,
stand er 1846 zu dessen schärfsten schutzzöllnerischen Gegnern. Er griff ihn mit allen
¶
mehr
Mitteln seiner gewandten Dialektik, seines schneidenden Witzes und seiner bittern Ironie an und rettete, obgleich er die Annahme
der Zollaufhebung nicht verhindern konnte, doch seine Partei vor gänzlicher Zersprengung. Nach dem TodeBentincks 1848, dem
er in «Lord GeorgeBentinck. A biography» (Lond. 1851) ein treffliches litterar. Denkmal setzte, mußten
seine toryistischen Parteigenossen, die bisher den jüd. Emporkömmling mit gewisser Zurückhaltung
behandelt hatten, ihn in aller Form als ihren Führer im Unterhaus anerkennen. Im Febr. 1852 ernannte ihn Graf Derby zum Schatzkanzler;
Beaconsfield ließ aus taktischen Gründen das schutzzöllnerische System fallen, hatte aber mit seiner Finanzverwaltung wenig Glück;
die Verwerfung seines, vornehmlich von Gladstone bekämpften Budgets führte schon den Sturz
des Ministeriums herbei.
Erst im Febr. 1858 gelang es den Tories, sich wieder der Regierung zu bemächtigen, worauf Beaconsfield im zweiten Ministerium Derby
wieder seinen Posten als Schatzkanzler einnahm. Seine finanziellen Maßregeln hatten diesmal bessern Erfolg, aber
der Widerstand gegen die von ihm eingebrachte Reformbill und die einer Parlamentsauflösung folgende Neuwahl nötigten
das Kabinett schon zum Rücktritt. Gegenüber dem neuen Premierminister Palmerston hielt sich die Opposition in
den nächsten Jahren zurück, Disraeli forderte nur größere Energie im Auftreten nach außen.
Nach Lord Palmerstons Tod 1865 begann eine neue Epoche für er bekämpfte, von einem Teil abtrünniger
Liberaler, den sog. Adullamiten, unterstützt, die Reformbill des Ministeriums Russell-Gladstone und bahnte sich durch dessen
Niederlage, in dem dritten Ministerium Derby von neuem den Weg ins Amt. Nun suchte er seinerseits
sowohl seine eigenen frühern wie die letzten liberalen Vorschläge für Parlamentsreform durch einen in der Erweiterung des
Wahlrechts noch radikalern Antrag zu überbieten.
Mit ganz hervorragendem Geschick erreichte er dessen Annahme auch bei der eigenen Partei, und als zugleich Graf Derby aus Gesundheitsrücksichten
zurücktrat, übernahm Beaconsfield im Febr. 1868 die Leitung der Regierung. Er kündigte in seiner
Antrittsrede «eine wahrhaft freisinnige Politik» an, stand aber bald einer
oppositionellen liberalen Mehrheit im Unterhaus gegenüber. Trotzdem blieb er im Amt und ließ es auf den Entscheid der Neuwahlen
ankommen. Als diese gegen ihn ausfielen, sah er sich genötigt, noch vor dem Zusammentritt des neuen
Parlaments zurückzutreten Die von der Königin ihm angebotene Peerswürde nahm er für seine Gemahlin an, die
zur Viscounteß von Beaconsfield erhoben wurde, während er seine leitende Stellung im Unterhaus beibehielt. Nach Graf Derbys
Tod wurde er der alleinige Führer der konservativen Partei und blieb es bis zu seinem
Tode.
Zunächst beschränkte er sich auf hartnäckige Opposition gegen Gladstone, vor allem gegen dessen auswärtige Politik; aber
auch die Entstaatlichung der irischen Kirche, die irische Landbill, die Armeereform, die Erziehungsbill, die Ballotbill wurden
mit mehr oder weniger Heftigkeit von ihm bekämpft. Inzwischen begann im Volk die Reaktion gegen das Übermaß
und die Überstürzung der zahlreichen ReformenGladstones, und als das Parlament März 1873 der Regierung mit der irischen
Universitätsbill eine Niederlage bereitete, übernahm
Disraeli die Leitung der Geschäfte, nachdem ihm die allgemeinen Neuwahlen
im Jan. 1874 eine große Mehrheit gebracht hatten. Im Februar kündigte er als sein Programm vorzüglich
die Verbesserung der öffentlichen Gesundheitspflege und der gesellschaftlichen Zustände der arbeitenden Klassen an; zugleich
wurde angedeutet, daß in Bezug auf auswärtige Politik ein entschiedeneres Auftreten das durch die Liberalen eingebüßte
Ansehen Englands im Auslande zurückerobern solle. Beaconsfield brachte eine Reihe socialer Reformmaßregeln durch, vor allem
zeichnete er sich gegenüber seinem Vorgänger durch eine klare und geschickte auswärtige Politik aus. 1874 geschah die
Einverleibung der Fidschi-Inseln, 1875 der Ankauf der Sueskanal-Aktien, April 1876 die Erhebung der Königin Victoria
[* 8] zur Kaiserin
von Indien, während durch Gathorne Hardy eine Armeereorganisation durchgeführt wurde.
Der Gegensatz gegen Rußland und dessen Ausdehnungsgelüste in Asien
[* 9] wie am Mittelmeer leitete Beaconsfield vor allem
in der russ.-türk. Verwicklung. Zwar hielt er sich im Kriege neutral, nahm aber nach dem SiegeRußlands eine drohende Haltung
an, versammelte Truppen und Schiffe
[* 10] Jan. und April 1878 im Mittelmeer, bis Rußland in die Berufung eines europ. Kongresses nach
Berlin
[* 11] einwilligte. Bei seiner Rückkehr von dem Berliner Kongreß,
[* 12] auf dem er große Erfolge errungen hatte, Juli 1878, wurde
Beaconsfield mit großen Ehren von Königin und Volk empfangen, überhaupt stand er um diese Zeit auf der Höhe seiner Macht und seines
Ruhms.
Bereits vorher hatte er wegen seines vorgerückten Alters, in welchem er den Aufgaben des Unterhausführers
nicht mehr genügen konnte, sich als Viscount Hughenden und Graf von Beaconsfield ins Oberhaus erheben lassen. Allmählich aber machte
sich ein Rückschlag bei dieser in ihrer Größe zugleich kostspieligen Politik fühlbar. Bereits während des Russisch-Türkischen
Krieges hatte ihn die geschickt geleitete Opposition Gladstones zum Maßhalten gezwungen; der nun folgende
Krieg mit Afghanistan
[* 13] war zwar erfolgreich, forderte aber große Opfer, der Krieg gegen die Zulukaffern, der schließlich mit
vollem Sieg endete, hatte unglücklich begonnen.
Die von der Opposition genährte Mißstimmung war stärker, als Beaconsfield selbst ahnte; in der Hoffnung auf eine
neue Mehrheit löste er das Parlament März 1880 vorzeitig auf; aber die Neuwahlen brachten eine große
liberale Mehrheit, und Beaconsfield reichte infolgedessen 18. April seine Entlassung ein. Er beteiligte sich jedoch noch
ferner an öffentlichen Fragen, bekämpfte Gladstones afghan. Politik, erkrankte aber im Frühjahr 1881 und starb Er
wurde an der Seite seiner Gemahlin auf seinem Landsitze Hughenden in Buckinghamshire bestattet; auf AntragGladstones beschloß das Parlament die Errichtung eines Denkmals in der Westminsterabtei. Das Monument in der Pfarrkirche von
Hughenden wurde ihm von der Königin gewidmet. Die Peerswürde erlosch mit ihm, zum Erben seines Vermögens hatte er seinen
Neffen Coningsby Disraeli eingesetzt.
In seinen spätern Jahren hatte Beaconsfield noch schriftstellerischen Erfolg mit seinen Romanen «Lothair» (3 Bde.,
Lond. 1870) und «Endymion»
[* 14] (3 Bde., ebd. 1881; deutsch von Böttger, 3 Bde., Lpz. 1881) errungen.
Beaconsfield war mehr ein schlagfertiger Wortkämpfer als ein kunstvoller Redner. Seinen Bewunderern ist er ein wahrhaft
großer Staatsmann, seinen Gegnern nur ein höchst geschickter
¶
mehr
Komödiant. Entschieden hatte er große leitende Ideen, welche er mit Klarheit und Energie durchführte, war aber nicht immer
fehlerlos in der Wahl seiner Mittel und Wege.
Seine Reden sind gesammelt in: Church and Queen, five speeches delivered 1860–64 (Lond. 1865), Constitutional reform, five
speeches 1859–65 (ebd. 1866), Parliamentary reform, series of speeches 1848–66 (2. Aufl.,
ebd. 1867), Speeches on conservative policy of the last 30 years (ebd. 1870), Selected speeches of the late Right Hon. the
Earl of Beaconsfield (hg. von Kebbel, 2 Bde., ebd. 1882);
seine Briefe in: Home letters, written by the late Earl of Beaconsfield 1830–31 (ebd. 1885), Correspondence
with his sister (ebd. 1886).
Vgl. Mill, Disraeli the author, orator and statesman (Lond. 1863);
Benj. Disraeli Earl of a political biography (ebd. 1877);
Brandes, Lord Beaconsfield. Ein Charakterbild (Berl. 1879);
Hitchman, the public life of the Earl of Beaconsfield (3. Aufl., Lond.
1885);
Cucheval-Clarigny, Lord et sons temps (Par. 1880);
Ewald, The Right Hon. Benj. D. Earl of and his
times (2 Bde., Lond. 1882);
Althaus in «Engl. Charakterbilder» (2 Bde.,
Berl. 1870) und im «Neuen Plutarch», Bd. 9 (Lpz.
1882);
J. A. Froude, The earl of Beaconsfield (Lond. 1891).