Baumwollgewebe
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Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Baumwollgewebe,
Baumwollgewebe.
Während ein kleinerer Teil des Baumwollge
spinstes gezwirnt als Näh- und Strickgarn seinen besonderen
Weg der Verwendung geht, dient die bei weitem größte Menge zu Geweben sehr mannigfacher Art. Die feinsten Erzeugnisse der
Weberei, deren Muster ehedem zu hohen Preisen aus Indien kamen, sind die Musseline oder Batiste, von denen abwärts
sich eine lange Reihe an Beschaffenheit und Güte sehr verschiedener Webstoffe erstreckt, bis zu ganz ordinären, halt- und
dauerlosen, nur durch große Wohlfeilheit sich auszeichnenden Stoffen für die untersten Stände.
Große Haltbarkeit ist bekanntlich überhaupt nicht bei Baumwollwaren zu finden; sie gleichen diesen Mangel im allgemeinen wieder aus durch ihre Wohlfeilheit, die einen öftern Wechsel gestattet. Wohlfeil und den weitesten Kreisen zugänglich ist die Ware erst durch die Maschinenspinnerei gemacht worden. Während die Handspinnerei bei Baumwollgarn ganz und gar bedeutungslos geworden ist, hat man auch das Weben, wenigstens in England, zum allergrößten Theil den selbstthätigen Webstühlen übertragen, während auf dem Kontinent die Verbreitung der Maschinenstühle weniger rasch vor sich gegangen ist, in dem letzten Jahrzehnt aber bedeutende Fortschritte gemacht ¶
hat. Indes liegt es in der Natur der Spinnmaschinen selbst, daß sie Webmaschinen hervorrufen, und es haben sich in neuerer Zeit vielfach große Spinnereien entschlossen, zur Selbstverarbeitung ihrer Produkte zugleich mechanische Webereien anzulegen, da eine solche Vereinigung natürlich eine größere geschäftliche Selbständigkeit und freiere Dispositionsfähigkeit gewähren muß. So weit aber auch die Maschinenweberei an Produktionsfähigkeit die Handarbeit übertrifft, so kann sie doch nicht dieselbe in allen Fällen ersetzen, und für feine Gewebe aus den höheren Garnnummern wird der Handstuhl wohl seinen Platz behaupten. - Das Verweben der Baumwollgarne geschieht im allgemeinen in derselben Weise wie bei den übrigen Spinnstoffen.
Man unterscheidet daher auch hier die Gewebe hinsichtlich ihrer Fadenverbindung in glatte oder schlichte, nach Art der Leinwand gewebte, in geköperte Stoffe, gemusterte = dessinierte Gewebe und in sammetartige Gewebe. Es ist unthunlich, auf die zahlreichen Einzelheiten der Weberei, die dabei vorkommenden Apparate und deren Wirkungsweise hier näher einzugehen, was ohnehin nur unter Zuhilfenahme von Abbildungen mit der erforderlichen Deutlichkeit geschehen könnte.
Als fertige Handelsware sind die Gewebe entweder noch ganz roh belassen, oder sie empfangen vorher erst verschiedene Bearbeitungen zur Verschönerung ihres Äußern, indem sie gewaschen, gebleicht, geglättet oder geglänzt, gefärbt oder gedruckt werden u. s. w. Das Baumwollgarn bildet entweder das einzige Material eines Gewebes, das dann ein einfaches Baumwollzeug ist, oder es gehen in das Gewebe zugleich seidene, leinene oder schafwollene Fäden ein, wie dies bei den zahlreichen gemischten Stoffen der Fall ist.
Die glatten, einfachen Gewebe machen den größten Teil aller Baumwollwaren aus, schon weil sie den Fond zu den meisten bedruckten Stoffen abgeben. Sie werden nach Art der Leinwand oder des Taffets gewebt, welche die älteste und einfachste Stoffbildung aufweisen. Die Kette zerfällt in zwei gleiche Abteilungen, die abwechselnd gehoben und gesenkt werden, so daß die aufeinander folgenden Kettenfäden abwechselnd über und unter jedem Schußfaden liegen. Das Schußgarn wird gewöhnlich um einige Nummern feiner genommen als das Kettengarn.
Hinsichtlich der Dichtigkeit, also der mehr oder weniger gedrängten Lage der Webfäden, gibt es viele Abstufungen und kann man ungefähr drei Gruppen aufstellen, ohne jedoch die Grenzen scharf ziehen zu können; dichte, halbdichte und lose oder offene Gewebe. Dichte, leinwandartig gewebte Stoffe sind die Kattune baumwollener Batist und Taffet, Kalliko, Indienne, Nanking, Shirting, Cambric, Perkai, Gingham, auch schottische oder englische Leinwand genannt, Haircord, Inlet, Sarsenet, Rips, Hals- und Taschentücher u. s. w. Zu den mehr oder weniger lockern und durchsichtigen gehören Jaconet, Nessel, Barège, Batiste und Musseline, deren feinste Nummern Vapeurs heißen, Mull, Organdin, Linon. Tüll oder Gaze mit noch mehr Durchsichtigkeit schließt sich hier an, weicht aber ab hinsichtlich seines Baues, da er mit zwei Ketten, deren Fäden sich in eigentümlicher Weise umschlingen, gewebt ist. Bobbinet oder Spitzengrund ist ebenfalls das Erzeugnis einer besondern Maschine. - Geköperte Gewebe zeichnen sich dadurch aus, daß bei ihnen Ketten- und Schußfäden auf beiden Seiten des Gewebes in ungleicher Ansicht erscheinen, weil die Kette sich beim Treten in zwei ungleiche Partien abteilt.
Abweichend von den glatten Geweben liegt bei ihnen nicht immer bloß ein Faden der Kette über oder unter dem Einschlagfaden, sondern oft zwei oder mehrere Fäden. Ferner wiederholen sich die Stellungen der beiden Faden nicht immer in derselben Lage, sondern ändern sich so ab, daß die Bindungen sich in seitlicher Fortschreitung wiederholen, woraus folgt, daß in einfachem Köper das Gewebe durchweg schräg überlaufende feine Streifen sehen läßt, ohne daß daraus [* 3] Figuren oder Muster gebildet werden. Zu den geköperten Waren gehören der Köper oder Croisé, baumwollene Merinos, Drell, Domestiks, Bast, Satin (englisch Leder), die verschiedenen Barchente mit den gerauhten und geschorenen Abarten (Beaverteen und Moleskin, Köpernanking, Zwillich u. s. w.) Eine besondere Klasse von Köperstoffen bilden die atlasartig gewebten Zeuge (s. Atlas). - Gemusterte oder façonnierte Stoffe sind solche, bei denen durch sehr verschiedenartig arrangierte Verschlingungen von Ketten- und Einschußfäden bestimmte Zeichnungen (Muster, Dessins) hervorgebracht werden. Es wechseln dann entweder verschiedenartig geköperte Stellen miteinander, oder es kommt glattes, geköpertes und Atlasgewebe zugleich vor, und die Muster bilden entweder Streifen oder die mannigfaltigsten anderen [* 3] Figuren. In diese Klasse gehören besonders die baumwollenen Damaste, die gemusterten Drells und Barchente, Perkaie, Musseline und Tülle, Pique, Wallis-Dimity und die mannigfach façonnierten Rock-, Beinkleider- und Gardinenstoffe. - Sammetartige Baumwollstoffe sind die verschiedenen Arten von Manchester, welche eine Nachahmung der Seidensammete vorstellen, die Velvets und Velveteens, Kastorin, Plüsch, Velpel u. s. w. Das Nähere über Herstellung der Sammete besagt der spezielle Artikel. Hinsichtlich der Färbung kann man andererseits die B. einteilen in weiß gebleichte, aus verschiedenfarbigem Garn gewebte, einfach gefärbte und buntgedruckte, von welchen letzteren namentlich ungeheure Massen als Kattune vorkommen, unter welcher Rubrik über die verschiedenen Methoden des Druckens das Hauptsächlichste beigebracht ist. - Gemischte Zeuge, die nur teilweise aus Baumwolle, sonst aus Seide, Leinen oder Schafwolle bestehen und sich demnach der Einrangierung in eine bestimmte Klasse nicht fügen wollen, bilden eine Klasse von Waren, bei der die allergrößte Mannigfaltigkeit der Arten, ein beständiger Wechsel der Moden und der Namengebung herrscht, da manchmal eine ganz kleine Änderung in den Zuthaten, der Musterung oder Appretur dem Fabrikanten Anlaß gibt, einen neuen Fabriknamen aufzustellen, der vielleicht nur eine rasch vorübergehende Existenz gewinnen kann. Die Mischung ¶
44 geschieht nicht nur durch Anwendung von Garnen verschiedener Natur und Herkunft, sondern auch so, daß gleich zwei verschiedene
Spinnstoffe zu einem Faden versponnen werden. Gegen Gemische, die sich für das geben, was sie sind, ist nichts einzuwenden;
schlimm aber ist es, wenn die Zumischung zugleich eine Fälschung ist, wenn z. B.
Baumwolle sich in Leinengewebe einschleicht und für solches gelten will, während sie in Wirklichkeit die Ware so verschlechtert,
daß sie nicht einmal so viel wert ist als ein reines Baumwollge
webe.
Die wichtigsten und konstanten Baumwollstoffe, sowohl reine als gemischte, sind in unserm Buche an ihrer betreffenden Stelle einzeln aufgeführt. Baumwollene Waren werden jetzt in allen europäischen Ländern mehr oder weniger fabriziert, und selbst Länder wie Rußland machen Fortschritte nach dem Ziele, ihren innern Bedarf selbst zu decken. Am ehesten wird dies wohl Nordamerika gelingen, womit dann die fremde Einfuhr dort ihr natürliches Ende erreicht haben wird.
Hinsichtlich der Massenhaftigkeit der Erzeugung steht noch immer England mit seinen guten Absatzmärkten in Ostindien und anderwärts obenan; im Verhältnis zur Größe der Länder zeigt sich ferner am produktivsten die Schweiz, dann Frankreich, Deutschland, Belgien, Österreich. Die englischen Fabrikate waren lange Zeit nicht nur die vollkommensten und schönsten, sondern auch die wohlfeilsten; sie stehen auch jetzt noch in letzterer Hinsicht etwas im Vorteil; aber in betreff der Schönheit der Muster und Farben können jetzt die Schweiz, Frankreich und auch Deutschland schon ganz wohl mit ihnen konkurrieren.
Für Deutschland namentlich, das nur hinter Frankreich noch etwas zurücksteht, fehlt es nur an größerem auswärtigen Absatz, um auch niedrigere Preise stellen zu können, und sähen die heimischen Abnehmer nicht so sehr auf niedere Preise, so würde sich die Fabrikation in Rücksicht auf Schönheit und Geschmack wohl auf den französischen Standpunkt stellen können. Im deutschen Zollgebiet belief sich 1878 die Einfuhr von B. auf mehr als 53000 k, die Ausfuhr auf mehr als 16000000 k. - Zoll: S. Tarif im Anh. Nr. 2 d 1-6, sowie die Anm. zu 2 d.