Baukunst
,
[* 2]
Architektur, im weitern
Sinne die Kunst, die das ganze weite Gebiet des Bauens begreift,
soweit es nicht dem einfachsten Zweck in anspruchsloser
Weise dient. Die Baukunst
umfaßt demnach nicht nur künstlerisch ausgestattete
Bauwerke, wie
Tempel,
[* 3]
Kirchen, Museen,
Paläste, sondern zu ihr gehören auch die hervorragendern bürgerlichen
Gebäude sowie
die
Kriegs- und Festungsbauten, die
Straßen-,
Brücken-, Wasser-, Schiffs- und Maschinenbauten. Im engern
Sinne versteht man unter Baukunst
die
Summe der
Baustile der verschiedenen
Völker. Infolge der Verschiedenheit der Bedürfnisse, des
Klimas, der
Baumaterialien, noch mehr aber infolge der durch Zeit und Volksart bedingten verschiedenen
Auffassung der idealen
Elemente unterscheidet man zahlreiche
Baustile, in denen sich der geistige
Kulturzustand der
Völker treu
abspiegelt.
Unscheinbare Anfänge einer Baukunst
finden sich schon in ältesten und noch in jüngsten
Zeiten bei unkultivierten Völkern. Von
einer wirklichen Baukunst
kann jedoch nur da die Rede sein, wo eine höher entwickelte Kultur höhere
Aufgaben stellt. Die ältesten
Werke der Baukunst
sind
Altäre und Grabdenkmäler. Auf der niedrigsten
Stufe der Kultur erfüllen den beabsichtigten
Zweck in einfachster
Weise aufgerichtete
Steine,
Steinkreise und aufgeworfene Hügel
(Menhir,
Dolmen,
Stonehenge), wie sich solche
in
Skandinavien, England und Nordfrankreich finden.
Etwas mehr ausgebildet sind schon jene in
Amerika.
[* 4] Die ältesten
Denkmäler einer wirklichen Baukunst
finden sich in den Niederungen
des
Nils, des Euphrat und
Tigris, also in
Ägypten
[* 5] (s.
Ägypten, Bd. 1, S. 244
b) und Westasien, wo die assyrische und
babylonische
(s.
Babylonien, S. 234 b), wie die persische Baukunst
sich als geistig verwandt und die phönizisch-hebräische Baukunst
sich
als ein Übergang zur ägyptischen erweisen. Von dieser vielfach beeinflußt zeigt sich die älteste
in
Griechenland
[* 6] (pelasgische und
Italien
[* 7] (etrurische Baukunst
), aus welcher die griechische Baukunst
mit ihren Unterstufen des dor., ion.
und korinth.
Stils und die römische Baukunst
hervorgehen. Gegen Ende des röm. Kaiserreichs verfiel
die Baukunst
der
Antike mehr und mehr; dafür bildete sich mit der Ausbreitung des
Christentums langsam die altchristliche
Baukunst
(s. Altchristliche Kunst) heraus, welche in
Italien, dem oström.
Reich (s.
Byzantinische Kunst),
Deutschland
[* 8] u. s. w. weiter
gedieh.
In den vom
Islam eroberten
Ländern erwuchs gleichfalls aus antiken Resten die islamitische Kunst, die sich in Nordafrika,
Westasien und
Spanien
[* 9] als arabische oder maurische Kunst (s.
Arabische Kunst), ferner in
Indien,
Persien
[* 10] und im türk.
Reich in vielgestaltiger
Weise Geltung verschaffte. Sie berührte die vorher ganz gesonderten Kunstweisen von
China
[* 11] und
Japan.
Die christliche Baukunst
des
Abendlandes nimmt bald bei den verschiedenen Nationen einen verschiedenen Charakter an; doch herrschen
gleichwohl gewisse international-gemeinsame Stilformen, so zunächst im romanischen
Stil, dann in der
zuerst in Nordfrankreich ausgebildeten
Gotik, die ihren Höhepunkt
im 13. Jahrh. erlangte.
Italien, welches schon vor dem Eintreten
der
Gotik sich der antiken Bauweise, von der überall Reste erhalten waren, zu erinnern begann, ließ zuerst im 15. Jahrh.
diese «wiedergeboren» werden (Renaissance) und stellte
sie der bald als barbarisch und deutsch verachteten (daher gotisch genannten) ältern Kunst entgegen.
Bis etwa 1550 hatten alle früher gotisch bauenden Völker die Renaissance aufgenommen (Frührenaissance); seitdem begann überall die formal strengere Durchbildung der antiken Formen (Hochrenaissance), die, immer mehr gesteigert, schließlich den Barockstil (s. Barock) herbeiführte. Neben diesem ging mit wechselndem Erfolge der Klassicismus her, der namentlich in Holland, England und Frankreich seine Stützpunkte fand, während Italien, Deutschland, Belgien [* 12] und Spanien dem Barockstil vorzugsweise huldigten.
Mit der Regierungszeit Ludwigs XIV. kam die franz. Kunstanschauung zum allgemeinen Siege, welche eine Verquickung des Klassicismus im Äußern mit dem verfeinerten und verschnörkelten Barock, dem Rokoko (s. d.) im Innern darstellt. Seit der Mitte des 18. Jahrh. beginnt die Zeit des Klassicismus, der, hervorgerufen durch die Lehren [* 13] Palladios über die Antike (Palladianismus), überall, zuletzt in Deutschland, die Überhand bekam und zwar unter der Leitung Englands, welches gleichzeitig infolge seiner sentimentalen Geistesströmung und der Ruinenschwärmerei die dort nie ganz vergessene Gotik wieder aufleben läßt.
Der Palladianismus äußert sich in
Frankreich als Messidorstil und
Empire und verbreitet sich neben der romantischen Baukunst
von
hier über ganz Europa,
[* 14] in den einzelnen
Ländern verschiedenartig sich abspielende stilistische Kämpfe hervorrufend. Nachdem
in letzter Zeit der Klassicismus im Hellenismus
(Berlin),
[* 15] in der Hellenischen Renaissance
(Wien)
[* 16] und im
Neogrecque
(Paris)
[* 17] eine letzte
Blüte
[* 18] gehabt hatte, wich er einer zweiten Renaissance, die sich in den verschiedenen
Ländern
an den heimischen Formen heranbildete, zugleich aber überall auf die ital. Hochrenaissance
zurückgriff.
In den vierziger Jahren in
Frankreich und in den achtziger Jahren in
Deutschland trat auch
der
Barock und das Rokoko neu wieder auf.
Die der griechischen Kirche anhängenden Völker, die Slawen, besonders die Russen, hatten inzwischen den byzant. Stil in mäßigen Umbildungen fortgeführt und meist erst seit dem 18. Jahrh. sich der europ. Bewegung angeschlossen.
In neuester Zeit hat sich in England und Amerika, weniger in Frankreich und Deutschland der Gegensatz zwischen den einzelnen Stilen zu Gunsten einer freien Verwendung aller auf Grund einer modernen Durchbildung ihrer Formen entwickelt. Solche Versuche, Neues zu schaffen, sind vielfach in etwas gewaltsamer Weise gemacht worden. Sie vollziehen sich am besten bei den mit minder kunstgeschichtlichem Ballast behafteten Amerikanern und Engländern (Queen Victoria Style). (S. die Artikel über die Kunst der einzelnen Länder und einzelnen Stile.)
Das Bestreben, die Geschichte der Kunst nach allen
Richtungen hin kennen zu lernen, die Wertschätzung der Baudenkmäler aller
Perioden und der Wunsch, diese in würdiger
Weise der Zukunft zu erhalten, hat zu einer gründlichen Erforschung
derselben und des Wesens der Baukunst
aller
Zeiten geführt. Restaurationsbauten und Vollendungsbauten sind überall im
Gange. Daneben
entstehen dann mit
¶
mehr
neuen Aufgaben, wie sie die Großindustrie, die Ausstellungen, die Krankenpflege, die Aufstellung von Sammlungen für Kunst und
Wissenschaft, Kirchenbauten u. a. stellen, mit neuen Konstruktionen, unter Anwendung von Eisen
[* 20] und Glas,
[* 21] auch architektonische
Anlagen ganz neuer Form, denen eine bedeutende Entwicklung noch bevorsteht. In neuester Zeit herrscht auf allen Gebieten der
in allen Kulturländern die regste Thätigkeit, welche neuerdings namentlich durch das Verfahren, große bauliche Aufgaben
durch Konkurrenzarbeiten zu lösen, noch gefördert wird. Über die zur Ausübung der Baukunst
erforderlichen Kenntnisse s. Bauwissenschaft.
- Der heutige Name der Träger
[* 22] der Baukunst ist Architekt (s. d.).
Strafrechtlich kommt die Baukunst insofern in Betracht, als mit der Ausübung derselben die Herbeiführung einer allgemeinen Gefahr für Menschen oder Sachen möglich ist. Das Deutsche [* 23] Strafgesetzbuch straft a. als gemeingefährliches Vergehen mit Geldstrafe bis zu 900 M. oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre, wenn wider die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst dergestalt gehandelt wird, daß hieraus für andere Gefahr entsteht (§. 330); baukunst als Übertretung mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft, wenn Einsturz drohende Gebäude trotz polizeilicher Aufforderung nicht ausgebessert oder niedergerissen werden, und wenn gebaut wird ohne Anwendung der angeordneten oder sonst erforderlichen Sicherungsmaßregeln, oder ohne die erforderliche polizeiliche Genehmigung, oder mit eigenmächtiger Abweichung von dem genehmigten Bauplan (§. 367, Nr. 13-15). Gleiche Bestimmung wie ad a hat der Österr. Strafgesetzentwurf von 1889, ähnliche Bestimmungen wie ad b das Österr. Strafgesetz von 1852 (§§. 380-386).
Über die Geschichte der Baukunst im allgemeinen vgl. Kugler, Geschichte der Baukunst (Bd. 1-3, Stuttg. 1854-59; fortgesetzt von Burckhardt, Lübke und Gurlitt, Bd. 4-8, ebd. 1867-89);
Lübke, Geschichte der Architektur (6. Aufl., 2 Bde., Lpz. 1884);
ders., Abriß der Geschichte der Baustile (4. Aufl., ebd. 1878);
von Sacken, Katechismus der Baustile (11. Aufl., ebd. 1894);
Ramée, Histoire de l'architecture (Par. 1868);
Fergusson, History of Architecture (3 Bde., Lond. 1865-70).
Von Lehrbüchern sind zu nennen: Deutsches Bauhandbuch (Berl. 1874-83; neue Bearbeitung u. d. T.: Handbuch der Baukunde, ebd. 1887 fg.; dazu als 2. Abteil.: Baukunde des Architekten, 3. Aufl., ebd. 1893 fg.);
Handbuch der Architektur, hg. von Durm, Ende u. a. (Darmst. 1881 fg.);
Mothes, Illustriertes Baulexikon (4. Aufl., 4 Bde., Lpz. 1884).
Zeitschriften in Deutschland: Centralblatt der Bauverwaltung (amtliches Organ des preuß. Arbeitsministers), Deutsche Bauzeitung, Zeitschrift für Bauwesen, Wochenblatt für Baukunde (sämtlich in Berlin);
Österreich: [* 24] Allgemeine Bauzeitung (Wien);
Frankreich: Revue générale de l'architecture et des traveaux publics (hg. von César Daly), Encyclopédie d'architecture, Gazette des architects et du bâtiment;
England: The Architect, The Builder (hg. von G. Godwin, London); [* 25]
Amerika: The Builder and Wood Worker (hg. von Hodgson, Neuyork). [* 26]