Ballett
(franz. Ballet, ital. Balletto
, aus ballo,
»Tanz«, gebildet), eine durch
Tanz und
Pantomime auf der Schaubühne dargestellte und
von
Musik begleitete
Handlung, ein
von
Musik begleiteter mimischer
Schau- oder Kunsttanz. Ein solcher Kunsttanz ist entweder ein untergeordneter Teil einer mimischen
Darstellung, wie die den
Opern eingelegten Ballette
, oder ein wesentlicher Teil derselben, mit
Gesang verbunden (comédie-ballet,
auch opéra-ballet), oder eine für sich bestehende mimische
Darstellung, bei welcher der
Tanz, die
Pantomime und die
Orchesterbegleitung alles sind (ballet d'action oder ballet pantomime).
Der Ursprung dieser
Gattung theatralischer
Darstellung durch
Tanz,
Mimik
[* 2] und Orchestermusik ist in den
Pantomimen der alten
Römer
[* 3] zu suchen. Die frühste Form des modernen Balletts
war eine durch
Tanz ausgeführte, aber zugleich mit
Rede, öfters auch mit
Gesang verbundene theatralische
Handlung. In dieser Gestalt finden wir es zu Ende des 15. Jahrh. zuerst
an den prachtliebenden
Höfen
Italiens
[* 4] ausgebildet; seine eigentliche künstlerische Gestalt aber erhielt es in
Frankreich.
Baltasarini (genannt Beaujoyeux) führte das italienische Ballett
zuerst in
Paris
[* 5] ein und veranstaltete 1581 bei der Vermählung
des
Herzogs von
Joyeuse sein berühmtes Ballet comique de la reine, dem bis 1610 mehr als 80 am
Pariser
Hof
[* 6] aufgeführte und durchaus allegorisch gehaltene Ballette
folgten. Im 17. Jahrh. erfuhr
das Ballett
wesentliche Verbesserungen durch Ottavio Rinuncini, den
Maria von
Medici mit großem Aufwand unterstützte, und den
Kardinal von
Richelieu, der nach eigner
Erfindung prachtvolle Ballette
am
Hof zu
St.-Germain aufführen ließ,
in deren einem
Ludwig XIII. 1625 selbst mittanzte. In diesen Balletten
fand der wirklich mimische und charakteristische
Tanz
nur vorübergehend Platz.
Eine neue
Epoche für das in
Frankreich begann gegen Ende des 17. Jahrh. mit der
Gründung der großen französischen
Oper durch
Lully und den Operndichter
Ph.
Quinault, welcher das Ballett
mit der
Oper verflocht. Der erste
Versuch dieser Art, den er
Pastorale
nannte, waren seine
»Fêtes de
Bacchus et de l'Amour« (1671),
die als eine völlig neue
Erscheinung außerordentlichen Beifall
fanden; 1681 kam sein Ballett
»Triomphe de l'Amour« mit
Lullys
Musik in
St.-Germain zur Aufführung. Seitdem
wurden die eigentlichen, für sich bestehenden Ballette
nur noch in den Jesuitenkollegien bei feierlichen Gelegenheiten gegeben
(sogen. Ballets de collége). In der von
Quinault erfundenen und Ballett
genannten gemischten
Gattung wurde indes der
Tanz dem lyrisch-musikalischen
Teil völlig untergeordnet; die hierzu komponierten und eingelegten Tanzstücke hießen
Divertissements
oder
Fêtes.
Eine weitere Vervollkommnung des Balletts
bewirkte 1697
La Motte, indem er das
Interesse der
Handlung verstärkte und das in
engere
Verbindung mit der dramatischen
Wirkung brachte. Seine erste
Oper dieser Art war die »Europe galante« (1697 von
Campra
komponiert), welche das Vorbild des französischen Balletts
für die folgende Zeit geblieben ist.
Ludwig
XV. selbst tanzte in diesen neuen Balletten
, welche in den
Tuilerien ausgeführt wurden, mit. Das Ballett
blieb zwar noch immer
mit der
Oper verbunden, bildete aber eine für sich bestehende
Folge von
Handlungen bald ernsthaften, bald heitern
Ausdruckes,
wenn es sich auch zu einer selbständigen Kunstgattung noch nicht erhob. Man unterschied je nach dem
Inhalt und den auftretenden
Personen
Comédie-Ballet,
Pastoral-Ballet, Ballet allégorique und Ballet heroique.
Neue Verbesserungen
brachte Cahussac, der in seinen von
Rameau komponierten
»Fêtes d'Hymen et de l'Amour« (1747) nicht allein das Wunderbare (die
sogen.
Maschinerie) mit dem
¶
mehr
Ballett
verband, sondern auch den Tanz zu einem wesentlichen Teil des Inhalts machte, ohne jedoch mit seinem Stück Beifall zu finden.
Der eigentliche Schöpfer des Balletts als einer besondern Gattung der theatralischen Kunst ist Noverre, der es von der Oper wieder völlig trennte und zu künstlerischer Selbständigkeit erhob. Er war der erste, welcher die antike Pantomime mit dem in die genaueste Verbindung zu bringen unternahm; er erhob den Tanz zum wirklichen dramatischen Charaktertanz, der im B. die Hauptsache blieb, und dem sich der mimisch-plastische Teil stets unterordnen mußte, so daß die Handlung nicht bloß den Tanz herbeiführte, sondern auch größtenteils nur durch den Tanz ausgeführt ward.
Noverre wählte die anziehendsten und geeignetsten Stoffe aus der Mythologie und Geschichte aus und stellte sie durch die lebende mimische Malerei dem Zuschauer dar. Seine Ballette zeichnen sich durch sinnige Anordnung, glänzende Maschinerie, spannende Handlung und reizende Gruppierung wie überhaupt durch einen wahrhaft dramatischen Effekt aus und sind auf der Pariser Bühne das Muster für alle folgenden geblieben. Wo seine Schüler, wie Gardel und Vestris, die vorgezeichnete Bahn durch Neuerungen verließen, sind letztere zum Nachteil ausgeschlagen.
Eine bedeutende Erscheinung waren dagegen seit Anfang des 19. Jahrh. die pantomimischen Ballette des Ballettmeisters Galeotti zu Kopenhagen, [* 8] der das dramatisch-plastische Prinzip für die mimische Kunst aufstellte, den eigentlichen Tanz (im Gegensatz zu Noverre) der wirklichen Handlung unterordnete und ihn nur da einlegte, wo er ihn aus der Haupthandlung selbst herzuleiten wußte. Dem mythologischen Ballett machte das 1800 in Paris gegebene Ballett »Dansomanie« von Gardel dem jüngern ein Ende.
Dem einmal geöffneten Pfad folgten Dauberval (»La fille mal gardée«) und Duport (»Barbier de Séville«). Gleichzeitig wirkten Aumer und Henry bei dem Theater [* 9] der Porte St.-Martin und traten durch ihre Ballette: »Jenny, ou le mariage secret«, »Les deux Créoles« u. a. als Nebenbuhler der Großen Oper auf. Als Napoleon I. 1807 jenes Theater schließen ließ, begab sich Henry nach Neapel [* 10] und suchte dort das italienische Genre mit dem französischen zu verschmelzen; Aumer ging nach Deutschland [* 11] und weckte hier den Geschmack für das große Ballett. In Paris arbeitete indessen der Ballettmeister Milon bei der Großen Oper, wo er sein treffliches Ballett »Nina« aufführte.
Nach ihm haben sich als Ballettmeister hervorragenden Ruf verschafft: Philipp Taglioni in Paris und St. Petersburg [* 12] (»Die Sylphide«),
Hoguet in Berlin [* 13] (»Der Geburtstag«, »Die Danaiden«, »Aladdin«),
Paul Taglioni in Berlin (»Undine«, »Der Seeräuber«, »Don Quichotte«, »Flick und Flock«, »Ellinor«, »Morgano«, »Sardanapal«),
Léon Bournonville in Kopenhagen (»Die Kirmes in Brunau«) und G. Ambrogio in Stuttgart [* 14] (»Der Blumen Rache«, nach Freiligraths Gedicht). Auch ausgezeichnete Tänzerinnen, wie Lucile Grahn (München), [* 15] thaten sich auf diesem Feld hervor.
Aus dieser Übersicht der Geschichte des Balletts geht der ästhetische Wert desselben als einer Gattung der mimischen Künste von selbst hervor. Daß ein bloßer figurierter Tanz auf der Bühne nicht den Namen eines eigentlichen Balletts verdient, lehrte schon Noverre. Nur durch Einflechtung des dramatischen Prinzips scheidet sich das Ballett als theatralische Tanzkunst von der bloß gesellschaftlichen, und es muß daher den Charakter eines Schauspiels notwendig an sich tragen. Während aber bei den von Noverre gewählten Stoffen der Tanz der Handlung, den Charakteren und den Situationen nichts weniger als analog erscheint, traf Galeotti das Rechte, indem er den Tanz im B. der Mimik unterordnete und ihn nur da, wo er aus der Handlung hervorgeht, einlegte.
Was die Musik zu dem Ballett betrifft, so hat sie nicht allein die Thätigkeit gewöhnlicher Tanzmusik, d. h. die Unterstützung der rhythmischen Bewegungen, zu verrichten, sondern sie interpretiert gewissermaßen auch die Situation und verleiht der mimischen und pantomimischen Darstellung eine Art von Sprache. [* 16] Es ist ihr daher vielfach Spielraum gegeben zu charakteristischen Instrumentalsätzen verschiedenster Art und zur Schilderung von allerlei Gefühlsmomenten; sogar große Musiker, wie Gluck, später Cherubini und selbst Beethoven (»Die Geschöpfe des Prometheus«),
haben es nicht unter ihrer Würde erachtet, Ballettmusik zu schreiben, und Bedeutendes auf diesem Feld geleistet. Aus dem Begriff des Balletts als einer theatralischen Handlung ergibt sich, daß in Beziehung auf alle die Künste, welche in ihrer Zusammenwirkung das wahre Ballett hervorbringen, die nämlichen Anforderungen an dasselbe gemacht werden müssen, die an das dramatische Schauspiel zu machen sind. Das erste also bei der Komposition eines Balletts ist die poetische Erfindung des Süjets, der Handlung, welche dramatisches Interesse und dramatische Wirkung haben muß, nichts enthalten darf, was dem Zuschauer dunkel oder unverständlich bleiben könnte.
Bei der Zeichnung der Charaktere sind die nämlichen Gesetze dramatischer Individualisierung zu befolgen, die dem Dramendichter vorgeschrieben sind. Alles, was der letztere durch die Sprache ausführt, soll der Komponist eines Balletts durch die Mimik und den Tanz zur Darstellung bringen. Derselbe muß also die Theorie des Tanzes vollkommen innehaben, dann aber vor allem die Natur und die Wirkungen der Gebärdensprache als Psycholog und Ästhetiker gründlich zu beurteilen verstehen.
Nach der Verschiedenheit ihres ästhetischen Charakters unterscheidet man tragische und komische Ballette mit verschiedenen Untergattungen;
in Rücksicht der für die Handlung gewählten Stoffe: rein poetische, denen ein Werk der Dichtkunst zu Grunde liegt, wie: »Blaubart«, »Don Juan« etc.;
historische, wie: »Belagerung von Troja«, [* 17] »Cäsars Tod«, »Hermannsschlacht« u. a.;
mythologische, wie: »Das Urteil des Paris«, »Die Geburt der Venus«, »Amor und Psyche«, das berühmte Gardelsche Ballett »Zephyr und Flora« etc.;
allegorische, wie z. B. »Die Elemente«, »Die Zeitalter«, »Der Triumph der Liebe« etc.;
lyrische, die bloß Darstellung von Gefühlen und Gemütsbewegungen ohne eine bedeutende dramatische Handlung enthalten, und idyllische Ballette (Pastorale).
Auch hat man die Entwürfe und Szenenfolge der Ballette von Dichtern entwerfen lassen, während der Ballettmeister danach nur arrangiert und ausführt (z. B. »Der Doktor Faust«, Tanzpoem von H. Heine).
Vgl. Czerwinski, Brevier der Tanzkunst (Leipz. 1880);
Voß, Der Tanz und seine Geschichte (Berl. 1869);
Bougin, Dictionnaire historique du théâtre etc. (Par. 1884), und von ältern Werken: Menétrier, Des ballets anciens et modernes (das. 1682);
Cahussac, Traité de la danse ancienne et moderne (das. 1753, 3 Bde.);
Noverre, Lettres sur la danse et les ballets (neue Ausg., das. 1807).