Bagdad
(Baghdad), im Mittelalter in der abendländ. Form auch
Baldach genannt, von den Mohammedanern mit
dem Ehrennamen
Dar
[* 2] as-Salâm («Stadt des
Heils») ausgezeichnet, Hauptstadt des asiat.-türk. Wilajets Bagdad
(142000
qkm, 850000 E.) im mittlern
Mesopotamien, zu zwei Dritteilen auf dem linken Ufer, d. h. der Ostseite des in der Landessprache
Schatt genannten
Tigris, über den zwei je auf 17–19 Pontons ruhende, 200–220 m lange Schiffbrücken führen,
während das alte Bagdad
, die Residenz der abbâsidischen
Chalifen und einst die größte Stadt der mohammed. Welt, an der Westseite
des
Flusses lag.
Die ansässige Bevölkerung [* 3] beträgt gegen 100000, eine Zahl, die vor 1831 überschritten, aber durch beständige Überschwemmungen stark vermindert worden war. Sie ist gemischt aus Arabern, Osmanlis, Kurden, Israeliten, Armeniern, Syrern, Nestorianern, zahlreichen Persern und wenigen Hindus. Die Mohammedaner zerfallen zu ziemlich gleichen Teilen in die feindlichen Sunniten und Schiiten. Die Perser treiben unter dem Schutze der türk. Regierung einen ausgebreiteten Handel.
Die Israeliten (20000) sind auf einen abgesonderten Bezirk beschränkt. Die Straßen beider Stadthälften sind ebenso eng und schlecht gepflastert als in den meisten andern türk. Ortschaften; die Backsteinhäuser bestehen nur aus einem Keller- und einem Erdgeschoß mit darüber gelegener Terrasse. Fast alle Fenster öffnen sich nach der Seite des Hofs, der in den Wohnungen der Vornehmen mit Springbrunnen verziert und mit Ziegelsteinen gepflastert ist. Unter den Gebäuden der Stadt sind außer der halbverfallenen Citadelle in der nordwestl.
Stromecke der
Konak (der
«Palast» des
Generalgouverneurs) und das engl.
Konsulat, letzteres mit schönem
Garten,
[* 4] zu nennen. Unter
der kurzen Statthalterschaft
Midhat-Paschas (1868–72) wurde viel für Erleichterung des Verkehrs gethan: enge Gassen wurden
erweitert, die
Straßen gesäubert, Aus- und Einladeplätze am Stromufer angelegt. Aber seit seiner
Abberufung
ist alles wieder in den frühern Zustand verfallen. Im Zeitalter der abbâsidischen
Chalifen war Bagdad
der Sitz hoher
Bildung
und Gelehrsamkeit.
Heute überwiegt das Handelsinteresse, und die von dem
Chalifen Mostansir 1233 gegründete berühmte Medresse (Hochschule)
ist längst in eine Karawanserai verwandelt worden, deren es an 30 giebt. Nächst den Handeltreibenden,
deren
Geschäfte stark von dem jeweiligen Verhältnis der Regierung zu den räuberischen Beduinenstämmen abhängen, strömen
alle Fremden, namentlich
Perser und
Bekenner des
Islams aus
Indien hier zusammen, um die
Gräber der von den Muselmanen verehrten
Heiligen zu besuchen, unter denen das des von allen Mohammedanern hochgeachteten Scheich
Abd el-Kader Ghilain
und die am westl. Tigrisufer in der Nähe von Bagdad
befindlichen, besonders von den Schiiten
verehrten
Gräber der Imam Mohammed Kâsim und Mohammed Taki Erwähnung verdienen.
Für die Handelsstellung B.s war die Eröffnung des Sueskanals von großer Bedeutung, insofern dadurch ein kommerzieller Frontwechsel bedingt wurde. Bis zum J. 1869 liefen die Verbindungslinien B.s für den Verkehr mit Europa [* 5] ausschließlich durch die Syrische Wüste nach Damaskus und das armenische Hochland nach Norden. [* 6] Jetzt kommt vor allem der Weg durch den Persischen und Arabischen Meerbusen in Betracht. Als Handelsstation zwischen Europa und Indien hat Bagdad durch den abgekürzten Seeweg nach Indien verloren, ist aber dafür dem Abendland bedeutend näher gerückt worden. Bagdad war seither eine Hauptniederlage für arab., ind. und pers. Erzeugnisse sowie für europ. Manufakturwaren und versah Kleinasien, Syrien und einen Teil Europas mit ind. Waren, die, zu Basra eingeführt, den Tigris in Booten stromaufwärts und in Karawanen weiter nach Konstantinopel, [* 7] Haleb, Damaskus und in die westl. Teile Persiens gebracht wurden. Bagdad selbst bringt Wolle, Datteln und Pferde [* 8] zur Ausfuhr. Auch mit Juwelen wird einiger Handel getrieben. Einen glänzenden Anblick gewähren die besonders von Dawud Pascha erbauten, im ganzen Orient ausgezeichneten Bazars mit ihren 1200 Läden, gefüllt mit allen Gattungen orient. Waren. Die Hauptfabrikate bestehen in vielgerühmtem rotem und gelbem Leder, auch in seidenen, ¶
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baumwollenen und wollenen Zeugen, besonders Musselinen, Taffet, Teppichen und Shawls. In Bagdad sind Österreich-Ungarn, [* 10] England, Frankreich, Rußland, die Vereinigten Staaten [* 11] von Amerika [* 12] und Persien [* 13] durch Konsuln vertreten.
Geschichtliches. Die Stadt ward 763 vom abbasid. Chalifen Almansor gegründet; im 9. Jahrh. erhob sie Harun al-Raschid, der hier einen Palast baute und seiner Lieblingsgemahlin Sobeide ein Grabmal errichtete, zu hohem Glänze. 1258 eroberte sie Dschingis-Chans Enkel, Hulagu, der den regierenden Chalifen ums Leben bringen ließ und das Chalifat vernichtete. Die Nachkommen des Eroberers vertrieb Timur aus dem Besitze der Stadt, der sie 1393 eroberte. Zu Anfang des 16. Jahrh, bemächtigte sich ihrer Schah Ismael, der erste Regent Persiens aus dem Hause Sofi, und fortan blieb sie ein Zankapfel zwischen den Türken und Persern. Nach einer denkwürdigen Belagerung ward sie 1638 vom Sultan Murad IV. erobert, und vergebens versuchte im 18. Jahrh. Schah Nadir, sie den Türken zu entreißen. Als der Schauplatz vieler Märchen in «Tausendundeine Nacht» erlangte auch romantische Berühmtheit.
Vgl. Wellstedt, Travels to the City of Caliphs (Lond. 1840; deutsch von Künzel, 2 Tle., Pforzh. 1841);
Schläfli, Reisen in den Orient (als zweites Heft der «Mitteilungen schweiz. Reisender», Winterth. 1864);
I. Braun, Gemälde der mohammed. Welt (Lpz. 1870): Kremer, Kulturgeschichte des Orients unter den Chalifen, Bd. 2 (Wien [* 14] 1877).