Wissenschaften, die Neigung für das Große und Prunkhafte. Ueberlegen zeigen sie sich an Einbildungskraft und an regsamer Beweglichkeit; sie halten nicht gar so zähe an dem Ueberlieferten fest und gelangen daher rascher zu Fortschritten, auch schließen sie sich nicht gegenüber fremden Einflüssen ab. Das hatte seine Vorteile, aber auch die Folge, daß die semitische Kultur sich nicht so lange in ihrer Eigenart erhielt, wie die ägyptische, sondern von dem indogermanischen Geiste - zuerst durch die Perser - völlig umgestaltet und endlich ganz in den Hintergrund gedrängt wurde. Dies gilt am meisten von der Kunst.
Dichtkunst. Die Dichtkunst wurde weitaus mehr gepflegt, als in Aegypten, wenigstens sind uns viel zahlreichere Schöpfungen erhalten geblieben. Der Sinn für Dichtungen gehört übrigens zu der Eigenart der Semiten. Religiöse Lieder und erzählende Dichtungen sind die Hauptarten, Liebeslieder sind selten. Die Tonkunst wird wohl auch entsprechende Pflege gefunden haben.
Baukunst. Auf dem Gebiete der bildenden Künste bethätigte sich die Begabung selbstverständlich zunächst in den Bauwerken. Während die Aegypter durch wuchtige Massen zu wirken suchten, erzielten die Chaldäer Eindruck durch räumliche Ausdehnung, Weitläufigkeit bei großer Einfachheit der Anlage. Von den ältesten Werken, welche in den Berichten und Sagen bewundernd genannt werden, ist allerdings nichts auf uns gekommen. Es waren dies ungeheure Turmbauten; die Bezeichnung Stufen-Pyramiden erscheint mir weniger zutreffend, weil sie im Hinblick auf die ägyptischen Pyramiden irrige Vorstellungen erwecken könnte.
Jene bestanden aus einer Reihe (7-8) von viereckigen Geschossen, deren Umfang nach oben zu immer sich verjüngte, so daß um jedes ein mehr oder minder breiter Absatz herumlief. Die Verbindung zwischen diesen Absätzen wurde entweder durch schiefe Ebenen (Rampen) oder durch Treppen hergestellt. Auf der obersten Plattform befand sich das Heiligtum, Altar und Standbild der Gottheit. Diesen Tempelbauten ähnlich wurden auch die Königspaläste angelegt. Sie standen gleichfalls auf abgestuften Unterbauten von ansehnlicher Höhe und zeichneten sich durch eine ungemeine Weitläufigkeit aus.
Die Ausgrabungen zu Khorsabad haben ein bezeichnendes Beispiel dieser Art Paläste zutage gefördert, welches die Grundzüge der üblichen Anlage erkennen läßt. Eine Doppelfreitreppe führt an der Vorderseite, eine schiefe Ebene (Rampe für Wagen und Reiter) an der Längsseite zu der Höhe des Unterbaues empor; hier wie dort gelangt man durch mächtige, mit Riesenstierbildern geschmückte Thorbauten in große Höfe. Der Haupthof ist jener an der Freitreppe; rechts und links sind teils Wohnräume für Weiber und Hofgesinde, teils Wirtschaftsräume, Ställe und Vorratskammern, welche weitere kleinere Höfe einschließen.
Der eigentliche Königspalast erhebt sich dem Thorbau gegenüber und hat einen zweiten Haupteingang auch von dem anderen großen Hofe her, in den man über die Rampe gelangt. Der Hauptpalast besteht aus einer Anzahl von Prunkgemächern und langen Wandelgängen - solche umschließen auch an den anderen Seiten den Hof -, zwischen denen kleinere Höfe sich befinden. Alle diese Räume hingen zusammen. Außerdem befanden sich auf dem Unterbau noch eine Stufen-Pyramide
^[Abb.: Fig. 38. Kopf aus Tello.
Wahrscheinlich zu einem der Fig. 39 ähnlichen Standbilde gehörig. Paris, Louvre.]
^[Abb.: Fig. 39. Steinbild des Königs Gudea.
Etwa 3000 v. Chr. (Nach de Satzec und Heuzey.) Gefunden in Tello. Der König sitzt auf einem Sessel; auf seinem Schoße der Plan einer Festung. Paris. Louvre.] ¶
mit einem Tempel und ein freistehendes Gebäude, vielleicht eine Versammlungshalle. Im ganzen zählte dieser (assyrische) Palast über 200 Gemächer und Wandelgänge und etwa 30 Höfe.
Es zeigt sich hierbei, daß die Semiten nicht so verbissene Anhänger des Grundsatzes der «Regelmäßigkeit» waren, wie die Aegypter. Die ganze Anordnung der Räume und Höfe ist zwar im Sinne der Zweckmäßigkeit, aber sonst eine völlig freie. Jede Seite ist anders gestaltet; einige Teile springen vor, andere zurück, kurz, es herrscht eine große Mannigfaltigkeit, und der Grundriß stellt keine regelmäßige Figur dar. Daß diese Gestaltung der Anlage nicht durch Platzrücksichten bedingt war, ist klar; ob nun «künstlerische» sie bestimmten - man durch die Mannigfaltigkeit einen gefälligen, «schönen» Eindruck erzielen wollte - läßt sich freilich nicht erweisen, aber daß man solche überhaupt vermuten kann, gereicht den Erbauern schon zur Ehre. Der bewegliche semitische Geist war der Gleichförmigkeit und Eintönigkeit abhold und liebte Abwechslung.
Bauformen. Auch hinsichtlich der Bauformen zeigen die Babylonier
-Assyrer einen Fortschritt; sie kannten
die Wölbung und wandten die Rundbogenform mit Vorliebe an. Hier muß ich nun vorerst von den Baustoffen sprechen. Der Natur
des Landes gemäß wird in den ältesten Zeiten zwar auch der Holzbau vorwiegend gewesen sein, wahrscheinlich aber ziemlich
gleichzeitig die Verwendung des Lehms stattgefunden haben. Schon bei den frühesten Bauten sind die Wände
teils aus festgestampftem Thon, teils aus Lehmziegeln hergestellt.
Die Erzeugung von Backsteinen gedieh bald zu hoher Vervollkommnung, und diese bildeten nun den hauptsächlichsten Baustoff. Stein war wohl in dem nördlichen Bergland zu finden, aber immerhin in weiterer Entfernung, als in Aegypten; und im babylonischen Reiche stand offenbar nicht jene sklavische Menschenmasse zur Verfügung, wie im Nillande. Der ausgedehnten Verwendung von Stein stand die Kostspieligkeit der Herbeischaffung im Wege, und so wurde dieser Baustoff nur zu Zierzwecken benutzt.
Der Backstein hat nun zwar den Nachteil der geringeren Haltbarkeit, dafür bietet er manche andere Vorteile,
es lassen sich mit ihm die Formen leichter und mannigfaltiger gestalten. Deshalb konnten auch die Babylonier
zur Erfindung
der Wölbung und des Rundbogens - sowie der Giebelform - gelangen. Sie verwandten dabei keilförmige Ziegel und brachten
Wölbungen bis zu 2 m Spannweite zu stande. (Selbst Spitzbogen wurden ausgeführt.) Große Säle vermochten
sie freilich nicht zu überwölben und bei diesen wurde die Decke daher aus Holz aufgeführt; besonders große Räume waren
nur rings an den Seiten eingedeckt, während die Mitte deckenlos blieb. Bemerkenswert ist nämlich, daß die Chaldäer weder
Pfeiler noch Säulen als Deckenstütze anwandten; wenigstens nicht in erheblichem Maße.
Die Erklärung dafür scheint mir ziemlich einfach zu sein. Die ältesten Bauten waren kleineren Ursprungs, und da reichten Holzstämme völlig zur Eindeckung aus; diese bedurften auch keiner weiteren Unterstützung in der Mitte, welche bei den schweren Steinbalken der Aegypter nötig wurde. Auch gab es hier im Euphratlande keine in natürlichem Fels ausgemeißelten Höhlenräume, bei denen Pfeiler gleichfalls nötig waren. Dazu kam dann die Erfindung des Wölbens, welches auch die Säulen in mancher Hinsicht entbehrlich machte. Wir sehen solche, sowie Pfeilergebilde nur als Außenschmuck verwendet, zur Gliederung der Wandflächen, und ich möchte glauben, daß sie überhaupt erst später unter fremdem Einflüsse aufkamen. Sicher ist, daß die Chaldäer keine besonderen eigentümlichen Säulenformen ausbildeten. Bei den wenigen erhaltenen Wandsäulen besteht das Kapitäl aus zwei übereinander liegenden Schneckengliedern (Voluten). - Erwähnt habe ich, daß die Wölbungen und Bogen mit keilförmigen
^[Abb.: Fig. 40. Fußbodenplatte aus Kujundschik.
Das Schmuckwerk mit geöffneten und geschlossenen Lotosblumen, Rosetten und Palmetten wahrscheinlich nach Teppichmustern gebildet.] ¶
Ziegeln hergestellt wurden, und da will ich gleich einschalten, daß die Assyrer für diese Keilform eine ganz besondere Vorliebe hatten und sie auch in der Verzierungskunst vielfach verwendeten. (Bekanntlich beruht auch ihre Schrift auf dieser Form.)
Die großen Wandflächen verlangten natürlich nach Schmuck. Zuerst mochten die Wände im Innern mit
Teppichen verkleidet worden sein, da die Babylonier
in der Weberei schon frühzeitig Meister waren, wie dies aus den Nachrichten
hervorgeht. Darauf deutet auch hin, daß die wahrscheinlich ältesten Reste von Wandbekleidung, die man gefunden hat, Teppichmuster
nachahmen. Diese Wandbekleidung wurde in der Weise hergestellt, daß in den Mörtelbewurf - wobei Erdharz
verwendet wurde - Keile aus gebranntem, verschiedenfarbig verglastem Thon eingedrückt wurden.
Flachbilder und Malerei. Der weitere Fortschritt bestand dann in der Verwertung der Flachbildnerei und Malerei für den Wandschmuck. Namentlich mit Werken der ersteren Art waren die Paläste der Könige und Vornehmen überreich bedacht. Meist wurde weißer Alabaster, bisweilen ein gelblicher Kalkstein dazu verwendet, und wahrscheinlich waren in der Regel diese Bildwerke auch bemalt, wenn auch bei den erhaltenen Resten die Farbe vielfach verloren ging.
Die Gestalten sind auch weit mehr erhaben ausgearbeitet, als bei den ägyptischen Bildwerken, vielfach sogar «hocherhaben». Gegenstand der Darstellung sind natürlich vor allem die Herrscher, deren Thaten und Umgebung, sodann Vorgänge des gewöhnlichen Lebens: letztere kommen jedoch in geringerem Maße vor.
Eigentümlichkeit der Darstellungsweise. Was nun die Darstellungsweise anbelangt, so bekunden auch die Semiten in erster Linie das Streben nach Naturtreue, sowie eine scharfe Auffassungsgabe für das Bezeichnende und Eigentümliche. Auf die genaue Wiedergabe der Aeußerlichkeiten - Gewandung, Waffen, Schmuck - wird jedoch mehr Gewicht gelegt, als auf den einzeln-persönlichen Ausdruck der Gesichtszüge. So scharf daher die einzelnen Stände und Völker durch äußere Kennzeichen und allgemeine (typische) Züge unterschieden werden, so zeigen dagegen die Köpfe eine ziemliche Gleichförmigkeit. Ich möchte dies dahin ausdrücken, daß die Bildner nur eine Anzahl von Hauptformen des Gesichtsausdrucks verwendeten, wobei die bezeichnenden Leitlinien scharf herausgearbeitet wurden, daß sie aber die feineren Abweichungen von der Hauptform, welche eben das Eigenpersönliche ausmachen, nicht berücksichtigen. Zu der unbedingten Naturtreue in letzterer Hinsicht
^[Abb.: Fig. 41. Grundriß des Palastes von Khorsabad.] ¶
Berōsus,
Zeitgenosse Alexanders d. Gr., Priester des Bel zu Babylon, schrieb in griech. Sprache [* 6] drei Bücher babylonisch-chaldäischer Geschichten («Chaldaica»),
für die er das uralte Tempelarchiv von Babylon als Quelle [* 7] benutzt haben soll. Die Arbeit stand bei den griech. und röm. Historikern in großem Ansehen. Erhalten sind nur Bruchstücke bei Josephus, Eusebius, Syncellus u.a., die von großer Bedeutung sind, weil sie über die dunkelsten Teile der ältesten Geschichte Vorderasiens wichtige Aufschlüsse geben. Eine Sammlung der Fragmente findet sich in den «Fragmenta historicorum graecorum», hg. von C. Müller, Bd. 2 (Par. 1848). Die zu Rom [* 8] zuerst 1498 von Eucharius Silber in lat. Sprache bekannt gemachten und häufig wieder gedruckten «Antiquitatum libri quinque cum commentariis Joannis Annii» des Berosus sind ein Machwerk des Dominikaners Giovanni Nanni zu Viterbo.