Bürgerliches
Gesetzbuch
für
das
Deutsche Reich.
[* 2] Im
Deutschen
Reich bestehen in bürgerlichen
Rechtssachen
immer noch
verschiedene Rechtssysteme, die sich aus der frühern staatlichen Zerrissenheit heraus entwickelt haben.
Im großen und ganzen sind das
vier Rechtssysteme: das des gemeinen (auf der Grundlage des römischen beruhenden)
Rechts,
gültig für
über 15 Millionen Deutsche
, das
des
Preuß. Allg.
Landrechts für
über 19 Millionen, das
des franz.
Rechts für
etwa 9 Millionen, das
des Sächs.
Bürgerl. Gesetzbuchs für
etwa 3 Millionen. Daneben stehen noch die kleinern Rechtsgebiete des Jütischen Low, des fries.
und des dän.
Rechts. Das
Geltungsgebiet des gemeinen
Rechts spaltet sich wieder in eine Menge im einzelnen voneinander abweichender
Unterabteilungen; selbst in
Preußen
[* 3] gelten neben dem Allg.
Landrechte noch Provinzialrechte. Auch die
einzelnen deutschen
Staaten haben in sich nicht durchweg einheitliches
Recht.
Preußen hat sechs Rechtsgebiete,
Bayern
[* 4] drei,
in
Nürnberg
[* 5] gilt innerhalb der
Mauer anderes
Recht als vor den
Thoren, in Hessen-Darmstadt, Oldenburg,
[* 6]
Sachsen-Weimar bestehen
je zwei Rechtsgebiete; alles dies bei einer noch sehr viel größern Mannigfaltigkeit der Gestaltungen z. B.
für
das
eheliche Güterrecht.
Deutsche
leben auf dem Gebiete des bürgerlichen
Rechts wie Fremde nebeneinander, sie schließen ihre
Verträge, sie leben
und beerben sich, sie verfolgen ihre
Rechte vor Gericht nach zum
Teil sehr voneinander abweichenden Gesetzen. Diese Rechtsverschiedenheit
kann durch Rechtsübung, Rechtswissenschaft und Rechtsprechung der Gerichte nicht ausgeglichen werden. Hier muß
die Reich
sgesetzgebung, die sich seit dem Gesetz vom auch auf das bürgerliche
Recht zu erstrecken hat, einschreiten,
wie sie bereits einen einheitlichen Civilprozeß,
Strafprozeß und ein einheitliches
Strafrecht geschaffen hat; denn ein
Volk
bedarf eines einheitlichen
Rechts.
Seit dem wird denn auch an der Herstellung eines einheitlichen f. d. D. R. gearbeitet. Es trat infolge Beschlusses des Bundesrats an jenem Tage unter dem Vorsitz des damaligen Präsidenten des Reichsoberhandelsgerichts Pape eine aus 9 praktischen Juristen und 2 Professoren bestehende Kommission zur Ausarbeitung eines Entwurfes zusammen. Die Kommission hat sich dann noch durch 11 Hilfsarbeiter verstärkt. Aus ihrem Schoße ist der 1888 der Öffentlichkeit übergebene Entwurf eines f. d. D. R. (Berl., Guttentag) hervorgegangen (auch kurz als Deutscher Entwurf bezeichnet).
Dazu erschien dann noch der
Entwurf eines Einführungsgesetzes und der
Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Zwangsvollstreckung
in das
unbewegliche Vermögen. Dcr
Entwurf hat einzelne Materien von der Bearbeitung ausgeschlossen, z. B.
das
Wasserrecht, das
Bergrecht, das
Recht der Familienfideikommisse, der
Lehn- und der Bauergüter, das Versicherungsrecht und
das Verlagsrecht. Im übrigen umfaßt er das gesamte bürgerliche
Recht in 5
Büchern und 2164
Paragraphen.
Das erste Buch enthält in 205 Paragraphen den allgemeinen Teil mit den Unterabteilungen: Rechtsnormen, Personen (einschließlich der jurist. Personen), Rechtsgeschäfte, Fahrlässigkeit und Irrtum, Zeitbestimmungen, Anspruchsverjährung, Selbstverteidigung und Selbsthilfe, Urteil, Beweis, Sicherheitsleistung. Das zweite Buch (§§. 206-777) enthält das Recht der Schuldverhältnisse, das dritte (§§. 778-1226) das Sachenrecht, das vierte (§§. 1227-1748) das Familienrecht, das fünfte ¶
mehr
(§§. 1749-2164) das Erbrecht. Trotz aller Anfechtungen, die der Entwurf erfahren hat, ist ihm das Zeugnis nicht zu versagen,
daß er eine gründliche, ernste, im einzelnen wohlerwogene Arbeit ist, die sich als Grundlage für
eine allerdings notwendige
weitere Bearbeitung wohl eignet. Die weitere Bearbeitung ist bereits seit 1891 in Angriff genommen. Unter
dem Vorsitz des Staatssekretärs im Reich
sjustizamt Bosse, an dessen Stelle im März 1892 sein Nachfolger, der Staatssekretär
Hanauer trat, ist eine Revisionskommission, bestehend aus Juristen, Geschäftsmännern und Parlamentariern, zusammengetreten.
Nach den Eröffnungen, welche im Deutschen Reichstage gemacht sind, steht zu erwarten, daß das neue Gesetzbuch
um die Wende
des 19. Jahrhunderts wird in das Leben treten können.