Böhmen
,
[* 2] Geschichte. Der günstige Verlauf der Ausgleichsverhandlungen im
Januar 1890 (s.
Österreich,
[* 3] Bd. 17) rief
in den
Kreisen der deutsch-böhmischen
Bevölkerung
[* 4] aufrichtige Befriedigung hervor. Auf dem am zu
Teplitz abgehaltenen
deutsch-böhmischen Parteitag wurden die von den Parteiführern getroffenen
Abmachungen einmütig sanktioniert und zugleich
beschlossen, daß sich die Deutschböhmen
an der
Prager Landesausstellung des
Jahres 1891 beteiligen werden.
Auch die Alttschechen erklärten sich, wenn schon mit einer gewissen Beklommenheit, durch die Vereinbarungen für befriedigt, während sich die Jungtschechen, welche zu den Verhandlungen nicht zugezogen worden waren, zunächst nicht als Partei über den Ausgleich vernehmen ließen. Mit der Durchführung der Ausgleichsbestimmungen trat am raschesten der Justizminister Graf Schönborn hervor. Am 5. Febr. erschienen nämlich bereits zwei Verordnungen, von welchen die eine der Bildung einer Kommission beim Prager Oberlandesgericht galt, welche unter Zuziehung von je zwei Vertrauensmännern der Deutschen und Tschechen die Abgrenzung der Gerichtsbezirke vorzunehmen hat, während die andre die Bildung eines deutschen und eines tschechischen Senats beim Prager Oberlandesgericht, ferner die Verfügungen über das Erfordernis der Sprachkenntnisse nach dem praktischen Dienstbedarf für die richterlichen Beamten zum Gegenstand hatte.
Während der durch die Ostertage veranlaßten Unterbrechung der Reichsratssession fand 14.-16. April eine Nachkonferenz zum deutsch-böhmischen Ausgleich statt. Es handelte sich hauptsächlich um die Abänderung der Landtagswahlordnung, betreffend den allodialen Großgrundbesitz, dessen Wählerschaft in fünf territoriale Wahlkörper zum Zwecke der Wahl von je einer Anzahl von Landtagsabgeordneten eingeteilt werden sollte. Nach dem Regierungsentwurf wären der deutschen Partei von den 54 in Betracht kommenden Landtagsmandaten nur 13 zugefallen. Da sich die deutschen Großgrundbesitzer mit dieser geringen Vertretung nicht zufrieden gaben, kam eine Einigung nicht zu stande, und wurde daher die Austragung dieser Angelegenheit dem Landtag vorbehalten.
Inzwischen hatten die
Jungtschechen nach ihrer anfänglichen Zurückhaltung in einem
Manifest vom 20. Febr. den
Ausgleich in der
vorliegenden Form für nicht annehmbar erklärt. Im einzelnen erhoben sie keine prinzipiellen Bedenken gegen die
Teilung des
Landesschul- und des
Landeskulturrats sowie gegen die Errichtung zweier
Senate beim
Prager
Oberlandesgericht.
Auch sprachen sie sich für die Wahlreform und für die Errichtung einer neuen
Handelskammer im östlichen Böhmen
aus, verlangten
aber zunächst die Erledigung der nationalen Desiderien der
Tschechen.
Bei dieser Kundgebung und bei ihrer weitern
Haltung gegenüber dem
Ausgleich handelte es sich übrigens
bei den
Jungtschechen hauptsächlich darum, ein neues Agitationsmittel in die
Massen zu werfen und den
Alttschechen möglichst
viele
Reichsrats- und Landtagsmandate abzunehmen. Die von den
Jungtschechen gegen den
Ausgleich eingeleitete
Bewegung machte
denn auch in Böhmen
reißende Fortschritte und wurde durch die von der
Regierung dagegen eingenommene
Haltung, speziell
die
Taktik des
Statthalters
Grafen
Thun, welche sich in der
Konfiskation von
Zeitungen, in dem Verbot und der
Auflösung von Wählerversammlungen
äußerte, nur noch genährt.
Einen schwerwiegenden
Sieg errang die jungtschechische
Partei am 16. April bei der
Wahl des Reichsratsabgeordneten im
Jungbunzlauer
Städtebezirk, welcher bisher durch den gemäßigten Alttschechenführer Mattusch vertreten war und nun
den
Jungtschechen zufiel. Sofort nach
Schluß der Reichsratssession, 19. Mai, trat in
Prag
[* 5] der böhmische
Landtag, in welchem zum
erstenmal seit dem
Exodus vom die Vertreter des deutschen
Volkes in Böhmen
wieder erschienen, zu seinen Beratungen
zusammen, welche die im
Januar zu
Wien
[* 6] getroffenen Vereinbarungen verwirklichen sollten.
Dem Landtag wurden vorgelegt die Gesetzentwürfe hinsichtlich der Teilung und Einrichtung des Landesschul- und des Landeskulturrats, hinsichtlich der Minoritätsschulen, der neuen Landtagskurien und der Reform der Landtagswahlordnung für den allodialen Großgrundbesitz; doch erledigte er bis zu seiner Vertagung am 3. Juni infolge der jungtschechischen Verschleppungs- und Obstruktionspolitik nur eine einzige Ausgleichsvorlage, nämlich den Gesetzentwurf, betreffend die Zweiteilung des Landesschulrats, welcher nach endlosen Debatten, wobei die Deutschen die größte Geduld und Mäßigung bewiesen, ohne wesentliche Änderung angenommen wurde. Das Gesetz wurde noch im Juni 1890 vom Kaiser sanktioniert, welcher auch bei Gelegenheit der Vorstellung der Delegierten Anlaß nahm, den Ausgleich unter seinen persönlichen Schutz zu nehmen, indem er erklärte, daß das begonnene Ausgleichswerk unter allen Verhältnissen durchgeführt werden müsse, und zugleich ¶
mehr
betonte, daß die tschechische Bevölkerung ohne jeden Grund verhetzt und in Aufregung versetzt sei. Übrigens dauerte auch nach der Vertagung des Landtags die jungtschechische Agitation ungeschwächt fort, wogegen die Alttschechen, welche fühlten, daß sie den Boden unter ihren Füßen verloren, ein neues Mittel versuchten, um ihre Position zu retten. Sie verlangten nämlich plötzlich die Einführung der tschechischen Amtssprache im internen Dienste [* 8] der Gerichte der rein tschechischen Bezirke als Bedingung für die Annahme der weitern Ausgleichspunkte. In diesem Sinne hatte sich auch der Landtag mit einer gegen die Stimmen der Deutschen angenommenen Resolution ausgesprochen.
Die Regierung und die Deutschen verhielten sich gegenüber dieser neuen Forderung, welche zufolge der Wiener
Vereinbarungen vom Ausgleich ausgeschlossen bleiben sollte, ablehnend. Ja der Kaiser erklärte, als bei einem Delegationsempfang
Rieger ihm gegenüber diese Frage berührte, es dürfe nicht dahin kommen, daß die Beamten in Böhmen
der deutschen Sprache
[* 9] nicht mehr mächtig seien. Neuerliche Konzessionen der Regierung an die Tschechen in der Schulfrage, wie
die Komplettierung der tschechischen Universität durch die Errichtung einer theologischen Fakultät, die Übernahme von tschechischen
Privatgymnasien in die Staatsverwaltung, Anerkennung und Unterstützung der neuen tschechischen Akademie der Wissenschaften und
Künste, übten nur geringe Wirkung auf die erregten Gemüter aus, anderseits verursachte es bei der Durchführung
des neuen Gesetzes über den Landesschulrat auf seiten der Deutschen großen Unmut, daß die Prager tschechische Stadtvertretung
den Reichsratsabgeordneten Heinrich, welcher immer mit den Tschechen stimmte, als Vertreter der Deutschen in den Landesschulrat
entsandte. Am 14. Okt. wurde der böhmische Landtag zur Fortsetzung seiner Beratungen über die Ausgleichsvorlagen
einberufen.
Die kurz vorher stattgefundenen Verhandlungen zwischen den Alt- und Jungtschechen über den Ausgleich waren, wie vorauszusehen
war, an der Weigerung der Jungtschechen, für die Ausgleichspunktationen ohne vorherige Zugeständnisse an die Tschechen in
sprachlicher und staatsrechtlicher Beziehung, insbesondere hinsichtlich der Wahlordnung, einzutreten, gescheitert. In dieser
zweiten Ausgleichssession wurde die Vorlage, betreffend die Zweiteilung des Landeskulturrats, jedoch in
einer Art in Verhandlung gezogen, daß die Beratung des Gesetzes in der Session nicht zu Ende geführt werden konnte und bis
zu der im Januar 1891 in Aussicht genommenen dritten Session vertagt werden mußte. Unter diesen Umständen beschlossen die
Vertrauensmänner der Deutschböhmen
, daß von der Beschickung der Landesausstellung 1891 seitens der
Deutschen Abstand zu nehmen sei.