Teerfarbstoffe, welche ihrer Mannigfaltigkeit, Leichtigkeit der Darstellung und Farbenpracht halber
eine hohe, noch immer wachsende Bedeutung gewonnen haben. Sie wurden von Grieß entdeckt, welchem man auch die Kenntnis der
Diazoverbindungen verdankt, aus denen die neuen Farben bereitet werden. Die Diazokörper entstehen bei
der Einwirkung von salpetriger Säure auf die Salze der Amidoprodukte der Benzolreihe. Man löst die Amidokörper in zwei Äquivalenten
verdünnter Salpetersäure oder Schwefelsäure und setzt die äquivalente Menge von salpetrigsaurem Kali hinzu. Aus Amidobenzol
(Anilin) C6H5.NH2 ^[C6H5.NH2] entsteht dann salpetersaures Diazobenzol C6H5.N2.NO3
^[C6H5.N2.NO3]. Die Salze der
mehr
Diazoverbindungen sind meist kristallinische farblose Körper, die sich an der Luft leicht bräunen. Sie lösen sich leicht
in Wasser, wenig in Alkohol, sind meist sehr unbeständig und zersetzen sich beim Erhitzen oder durch Schlag unter heftiger
Explosion. Diese Körper sind außerordentlich reaktionsfähig und liefern ganz allgemein bei der Einwirkung auf
Amine und Phenole Farbstoffe. Läßt man die salpetrige Säure nicht auf Salze der Amidokörper, sondern auf die freien Amidokörper
in alkoholischer oder ätherischer Lösung einwirken, so entstehen die Diazoamidoverbindungen, z. B. aus Anilin das Diazoamidobenzol
C6.H5.N2.NH.C6H5 ^[C6H5.N2.NH.C6H5].
Die Diazoamidokörper sind meist gelb, neutral, löslich in Alkohol und Äther, nicht in Wasser und viel
beständiger als die Diazokörper. Sie verbinden sich nicht mit Säuren, erleiden aber ganz ähnliche Reaktionen wie die Diazokörper.
Den Diazokörpern stehen die Azokörper nahe. Reduziert man Nitrokörper in saurer Lösung, so entstehen Amidokörper, aus Nitrobenzol
erhält man z. B. Amidobenzol (Anilin); wenn man aber reduzierende Körper in alkalischer Lösung auf Nitrokörper
einwirken läßt, so entstehen Azokörper: Nitrobenzol C6H5NO2 liefert Azobenzol C6.H5.N2.C6H5
^[C6H5.N2.C6H5].
Diese Azokörper erhält man auch durch Oxydation von Amidokörpern in alkalischer Lösung und durch mehrere andre Reaktionen.
Sie sind viel beständiger als die Diazokörper, meist gelb bis braun gefärbt und verbinden sich nicht mit Säuren. Aus
den Azokörpern kann man auf gewöhnliche Weise Nitroazokörper darstellen, und wenn man diese reduziert, so erhält man Amidoazokörper,
wie z. B. aus Nitroazobenzol C6.H5.N2.C6H4.NO2 ^[C6H5.N2.C6H4.NO2]
das Amidoazobenzol C6H5.N2.C6H4.NH2 ^[C6H5.N2.C6H4.NH2].
Diese Amidoazokörper sind gelb bis braun, schwach basisch und bilden mit Säuren rote Salze. Das Amidoazobenzol bildet gelbe
rhombische Kristalle und löst sich schwer in heißem Wasser. Seine kristallinischen Salze sind gelb oder
violett und zeigen einen stahlblauen Schimmer. Das käufliche Anilingelb (Echtgelb) besteht im wesentlichen aus Amidoazobenzol
oder in neuerer Zeit aus dem Natriumsalz der Sulfosäure dieses Körpers und wird dargestellt, indem man salpetrigsaures Natron
auf eine stark saure Lösung von salzsaurem Anilin oder Anilin auf Diazobenzolchlorid wirken läßt.
Läßt man Diazobenzolsulfosäure auf Diphenylamin einwirken, so entsteht die Sulfosäure des Phenylamindiazobenzols, deren
Kalisalz als Tropäolin 00 oder oder Orange Nr. 4 in den Handel kommt und goldgelb färbt. Läßt man eine Mischung von Salpetersäure
und Schwefelsäure in Nitrobenzol einfließen, so entsteht Dinitrobenzol, welches, mit Eisen und Salzsäure
reduziert, Phenylendiamin liefert. Dieses gibt mit Diazobenzolsalzen Chrysoidin, dessen Chlorwasserstoffsalz in den Handel
kommt und orange färbt.
Eine Mischung von salpetrigsaurem Natron und Salzsäure gibt mit salzsaurem Phenylendiamin Phenylenbraun (Vesuvin, Bismarckbraun).
Dies ist Triamidoazobenzol und wird in der Wollfärberei und in der mikroskopischen Anatomie benutzt.
Aus dem bei der Fuchsinfabrikation (s. Anilin) abfallenden Destillat, welches aus Toluidin und Anilin besteht, bereitet man
das Safranin. Das Öl wird mit salpetriger Säure in Diazoamidokörper verwandelt, diese gehen in die Amidoazoverbindungen
über, und diese werden nach dem Abpressen mit überschüssiger Anilin und Toluidinmischung behandelt.
Dann oxydiert man mit Arsensäure oder chromsaurem Kali. Das Safranin ist das salzsaure Salz einer Base C21H20O4
,
bildet ein braunrotes Pulver, löst sich mit prachtvoll hellroter Farbe in Wasser und hat in der Woll-
und Seidenfärberei den Safflor vollständig verdrängt. Der in Wasser und Salzsäure unlösliche Teil der Fuchsinschmelze gibt
beim Erhitzen mit Anilin Violanilin, welches, mit Anilin und Essigsäure erhitzt, bis kein Ammoniak mehr entweicht,
dann mit Natron neutralisiert und gereinigt, Indulin liefert.
Dies ist in Alkohol löslich, kann aber in eine wasserlösliche Sulfosäure übergeführt werden und färbt Tier- und Pflanzenfaser
grau bis schwarz. Sehr ähnlich ist das Nigrosin, welches ebenfalls durch Oxydation von Anilin, z. B. mit
Hilfe von Arsensäure, bei 220° gewonnen wird; es färbt tierische und pflanzliche Farbstoffe blau und bei Anwendung eines
toluidinhaltigen Anilins blauschwarz. Was den Azofarbstoffen eine besonders großartige Bedeutung verleiht, ist der Umstand,
daß dieselben einen Ersatz für die natürliche Kochenille bieten und diese ebenso sicher wie das künstliche
Alizarin den Krapp aus dem Feld schlagen werden.
Unter den zahllosen Azofarbstoffen, welche in der letzten Zeit dargestellt wurden, sind nämlich zwei, welche sich durch
ihre prächtige Ponceau-, bez. Scharlachfarbe auszeichnen. Sie sind prozentisch gleich zusammengesetzt
(isomer) und entstehen bei der Einwirkung von Diazoxylolchlorid auf die beiden Disulfosäuren des Naphthols.
Die Kali- und Natronsalze dieser Azoxylolnaphtholdisulfosäuren werden als Xylidinponceau und Xylidinscharlach in den Handel
gebracht und als Surrogat der Kochenille benutzt.
Den mächtigen Aufschwung, den die Teerfarbenindustrie in den letzten Jahren genommen hat, verdankt
sie vor allem den Azofarbstoffen, welche durch die Mannigfaltigkeit ihrer Farbe und die Leichtigkeit ihrer
Darstellung bei fast theoretischer Ausbeute dem Fabrikanten hohen Gewinn brachten, zumal die einfache Art, diese Farbstoffe auf
der Faser zu fixieren, den Konsum derselben ganz enorm steigerte. Es genügt, die wässerige verdünnte Lösung des Farbstoffs
mit einer geringen Menge Säure zu versetzen, zu kochen und die Faser tüchtig in dem Bade durchzuziehen,
um letzteres vollständig zu erschöpfen.
Die gefärbte Wolle und Seide erleidet durch Waschen mit Seife u. am Licht wenig Veränderung. Baumwolle freilich nimmt Azofarbstoffe nicht
auf. Nur die Krocine lassen sich mit Hilfe von Thonerdesalzen auf Baumwolle niederschlagen, die Färbung ist
aber unecht und konkurriert nicht entfernt mit Alizarinrot. Erst in der neuesten Zeit ist eine Gruppe von Azofarbstoffen, die
Kongofarbstoffe, entdeckt worden, welche sich nicht auf Wolle, dagegen in der einfachsten Weise auf Baumwolle fixieren lassen,
indem man letztere lediglich durch die mit wenig Alkali versetzte kochende Farbstofflösung durchzieht.
Die kongorot gefärbte Baumwolle ist nicht so echt wie die alizarinrote, doch hat die Einfachheit des
Färbeprozesses der Alizarinrotfärberei enormen Abbruch gethan. Zur Herstellung der ältern Azofarbstoffe benutzt
man primäre aromatische Amine, welche neben dem Benzolkern eine Amidogruppe enthalten (Anilin C6H5.NH2 ^[C6H5.NH2]),
und verwandelt sie durch Behandeln in saurer kalter Lösung mit salpetrigsaurem Natron in eine Diazoverbindung
(Diazobenzol C6H5.NN.OH ^[C6H5.NN.OH]), welche mit einer alkalischen Lösung eines Phenols oder Amins den Farbstoff
erzeugt.
Die aus verschiedenen Aminen und Phenolen erhaltenen Azofarbstoffe zeigen große Mannigfaltigkeit in Nüance, Löslichkeit und Echtheit.
Die Kongofarbstoffe werden aus Diaminen dargestellt, welche zwei Amidogruppen enthalten. Nitrobenzol C6H5.NO2 ^[C6H5.NO2]
wird in saurer Lösung zu Anilin C6H5.NH2 ^[C6H5.NH2] reduziert, in alkalischer Lösung dagegen (Nitrobenzol
mit Zinkstaub und Natronlauge) tritt aus zwei Molekülen Nitrobenzol Sauerstoff in Form von Wasser aus, und die Nitrobenzolreste
verketten sich mit ihren Stickstoffatomen zu Azobenzol C6H5NNC6H5 , welches unter Aufnahme
von Wasserstoff in Hydrazobenzol C6H5.NH.NH.C6H5 ^[C6H5.NH.NH.C6H5] übergeht.
Dies reduziert sich in saurer Lösung weiter und bildet Benzidin C6H5.NH2.NH2.C6H5 ^[C6H5.NH2.NH2.C6H5],
welches nun wie Anilin diazotiert werden kann. Es entsteht Tetrazodiphenyl C6H4.NN.OH.OH.NN.C6H4 ^[C6H4.NN.OH.OH.NN.C6H4],
welches nun bei der Einwirkung auf Phenol oder Amine Azofarbstoffe, die Kongofarbstoffe, liefert. Man hat rote, blaue und gelbe Farbstoffe
hergestellt, erstere aus αNaphthylaminαsulfosäure, die blauen aus αNaphtholαsulfosäure, die gelben
aus Salicylsäure. Die schönsten roten und blauen Kongofarbstoffe liefert das dem Benzidin homologe Tolidin, nämlich Benzopurpurin
und Benzoazurin.
Azofarben, eine Gruppe künstlich dargestellter Farbstoffe, die feit 1876 in großer
Zahl und Mannigfaltigkeit hergestellt werden und in den Handel kommen. Sie enthalten wie z alle Azoverbindungen (s.d.) die
Gruppe –N:N- beiderseits mit aromatischen (Benzol-, Naphthalin-) Kernen verbunden (chromopbore Gruppe). Aber erst durch den
Eintritt salzbildender (chromogener) Gruppen an Stelle von Wasserstoff der aromatischen Kerne entstehen echte
Farbstoffe.
Solche Gruppen, welche die Azoverbindungen zu Farbstoffen machen, sind die Amido- und die Hydroxylgruppc, NH2 und
OH. Man unterscheidet demnach Amido- und Oxyazofarbstoffe. Amidoazobenzol (als salzsaures Salz Anilingelb), C6H5NNC6H4NH2
^[C6H5 N:N C6H4NH2], und Oxyazobenzol, ^[C6H5 N:N C6H4OH] (nicht zu verwechseln mit Azoxybenzol,
s. Azoverbindungen), sind die einfachsten Azofarbstoffe. Zur technischen Darstellung von Azofarbstoffe gebt man von Diazoverbindungen
(s. d.) aus, die man durch Einwirkung von Natriumnitrit auf saure Lösungen von
Anilin und andern primären aromatischen Aminbasen erhält (Diazotierung), z. B.:
Man isoliert die im trocknen Zustande explodierenden Diazoverbindungen nicht, sondern setzt zu der direkt erhaltenen mit
Eis gekühlten Lösung aromatische Amine oder Phenole. Aus Diazobenzolchlorid und Anilin entsteht beispielsweise auf diese Weise
zuerst das gelbe nicht sehr beständige Diazoamidobenzol (nicht zu verwechseln mit dem isomeren Amidoazobenzol):
C6H5.N:N.Cl + C6H5NH2 ^[C6H5 N:N Cl + C6H5NH2] =
C6H5.N:N.NH.C6H5 ^[C6H5·N:N·NH·C6H5 + HCl.
Diazoamidobenzol
Dieses geht durch Erwärmen mit Anilinsalz unter einer eigentümlichen Umlagerung in Amidoazobenzol, einen echten Azofarbstoff,
über:
C6H5 N:N NH C6H5 ^[C6H5 N:N NH C6H5] =
C6H5 N:N C6H4 NH2 ^[C6H5 N:N C6H4NH2]
Mit tertiären aromatischen Ammen, mit Phenolen, Naphthylaminen und Naphtholen geben die Diazoverbindungen
aber direkt Azofarbstoffe nach folgenden Beispielen:
Ebenso wie das Anilin geben alle aromatischen primären Amine Diazoverbindungen, die nach den beschriebenen Reaktionen
einer
weitern Kombination mit den verschiedensten aromatischen Aminen und Pbenolen fähig sind, und es wird dadurch die Zahl der
Azofarbstoffe eine ungemein große. Um die Farbstoffe in Wasser löslich zu machen, was für das Färben notwendig ist, führt man die
Sulfongruppe SO3H an Stelle von Wasserstoff ein, am besten, indem man Amidosulfonsäuren
diazotiert (z. B. Sulfanilsäure, C6H4(NH2) SO3H ^[C6H4(NH2) SO3H]), oder indem man die Diazoverbindungen
mit bereits sulfonierten Aminen und Phenolen kombiniert. Es entstehen dadurch Sulfonsäuren der Azofarbstoffe, deren leicht lösliche
Natriumsalze dann die in den Handel kommenden Präparate sind. So ist z. B. das Tropäolin das Natriumsalz der Benzol-Azo-α-Naphtholsulfonsäure
Auch durch Zusatz von Natriumsulfit werden Azofarbstoffe löslich gemacht.
Werden Verbindungen wie das Amidoazobenzol nochmals diazotiert und mit Aminen oder Phenolen kombiniert, so entstehen Azofarbstoffe, welche
die Azogruppe N2 zweimal enthalten (Tetrazofarbstoffe). Zu diesen gehören die wertvollsten Azofarbstoffe, wie z. B.
das Biebricher Scharlach (s. d.).
Die Azofarbstoffe färben Wolle direkt, Baumwollstoffe dagegen nur unter Zuhilfenahme von Beizen. Eine Ausnahme bilden die sich von dem
Benzidin, NH2 C6H4 C6H4 NH2 ^[NH2 C6H4 C6H4 NH2] ableitenden, welche Pflanzenfasern
direkt färben. Man bezeichnet die Azofarbstoffe meist mit willkürlichen Namen unter Beifügung der Buchstaben G oder Y (gelb,
yellow), 0 (orange) und R (rot). Die Anzahl der beigefügten Buchstaben soll ungefähr die Intensität der Färbung andeuten.
In neuester Zeit ist es gelungen, auch violette, blaue und schwarze Azofarbstoffe (meist Tetrazoverbindungen) darzustellen, über die
wichtigsten Azofarbstoffe, wie Tropäoline, Ponceaus, s. die Einzelartikel.