Titel
Avignon
1) Arrondissemeut im franz. Depart. Baucluse in der
Provence, hat 534,62 qkm, (1891) 84134 E., 21 Gemeinden und zerfällt in die 5 Kantone Avignon
-Nord und Avignon-Sud (98,73
qkm, 44467 E.), Bédarrides (101,63 qkm, 10903 E.),
Cavaillon (161,7i qkm, 14671E.), L'Isle (172,55 qkm, 14093 E.).
- 2) (lat.
Avenio), Hauptstadt des franz. Depart.
Vaucluse und des
Arrondissements Avignon
, links an der Rhone, die hier die
Sorgues
aufnimmt, an einem
Kanal
[* 2] der Durance und an den Linien
Paris-Lyon-Marseille-Nizza und Avignon
-Pertuis (77 km) der
Franz.
Orleansbahn, in 55 m Höhe, in herrlicher Ebene, ist durch ihre anmutige
Lage sowie durch ihre histor.
Erinnerungen eine der anziehendsten
Städte
Frankreichs, allerdings berüchtigt wegen der Heftigkeit des Alpenwindes. Die Stadt,
im Mittelalter stark bevölkert, hatte nach den
Stürmen der Revolution 17000 E., 1876 wieder 33189 (als Gemeinde 38008) und
(1891) 31616, als Gemeinde 43453 E.; in Garnison das 58. Infanterie- und das 1. Pontonierregiment. Sie
ist Sitz der Departementsbehörden, eines Erzbischofs (bis 1475 eines
Bischofs; Diöcesen: Montpellier,
[* 3] Nimes,
[* 4]
Valences, Viviers),
des Kommandos der 30. Infanteriedivision und einer Filiale der
Bank von Frankreich. Avignon
hat Post,
Telegraph,
[* 5] ein Lyceum, ein
Großes und ein
Kleines theol.
Seminar, eine Gewerbe-, eine Zeichen- und eine Musikschule, die Académie de Vaucluse, einen botan. Garten, [* 6] ein nach seinem Stifter, dem Arzte Calvet, benanntes Museum, mit einer Gemäldegalerie, einer archäol. Sammlung, einer Galerie von Skulpturen und Architekturstücken des Altertums, Mittelalters und der Neuzeit; ferner eine Porträtgalerie, ein Münz- und Naturalienkabinett, eine öffentliche Bibliothek (85000 Bände und 2500 Handschriften); das naturhistor.
Museum «Requin»" mit großer
Bibliothek, eine
Acker- und Gartenbaugesellschaft und einen
Verein für Kunstfreunde. Die 1303 gestiftete
Universität wurde 1794 aufgehoben, seit 1857 besitzt die Stadt ein prot. Bethaus und eine prot. Schule. Avignon
hat
gewaltige, 1349-68 aufgeführte, meist 3,12 m starke
Mauern mit zackigen Zinnen, 39 mächtigen
Türmen
und schönen
Thoren und ist von prächtigen Baumgängen umgeben. Eine Platanenallee führt zu den Quais der Rhone. Wiewohl
die Häuser gut gebaut sind, ist das
Innere der Stadt winklig, düster und schmutzig.
Von
Gebäuden sind bemerkenswert das
Stadthaus mit got.
Turme aus dem 14. Jahrh., das Hotel Crillon in got.
Stile, der erzbischöfl.
Palast, das Hospital, das
Theater
[* 7] (1846), ferner die
Standbilder Crillons, eines Feldherrn
Heinrichs
IV., Petrarcas (1874 errichtet) und ein
Denkmal Philippe
Henri de
Girards enthüllt).
Außer einer Menge von
Kirchen
hatte Avignon
früher 20 Mönchs- und 15 Nonnenklöster, so daß es von Rabelais wegen des häufigen
Glockengeläutes «la ville sonnante» genannt wurde.
Noch 1762 zählte es 900 Geistliche. In der Revolutionszeit wurden viele der geistlichen Gebäude teils zu andern Zwecken benutzt, teils zerstört, wie z. B. 1791 die Franziskanerkirche mit dem Grabe der vielbesungenen Geliebten Petrarcas, Laura de Sade, die hier 1348 an der Pest starb. Die schöne Synagoge brannte 1845 ab. Die Cölestinerkirche enthält das Grabmal des Papstes Clemens VII. und des heil. Benezet, des Erbauers der großartigen Steinbrücke, die das gegenüber im Depart. Gard liegende Städtchen Villeneuve-lès-Avignon (gekrönt durch die von betürmten Mauern umgebene Abtei St. André) zu einer Vorstadt A.s macht.
Die Brücke [* 8] ward 1185 vollendet, aber 1669 durch die Rhone bis auf 4 ihrer 19 Bogen [* 9] und eine Kapelle des Heiligen zerstört. Jetzt führt eine Hängebrücke hinüber. Den Glanzpunkt der Stadt bilden die großartigen Bauten auf dem Roc-des-Doms, einem 58 m über die Rhone aufsteigenden Kalkfelsen, der sich gegen S. und O. zur Stadt hinabsenkt, während auf der steilen Nordseite die Patertreppe von 100 Stufen hinaufführt. Den Felsen krönt die große, unregelmäßige got. Kathedralkirche Notre-Dame-des-Doms, ein Bollwerk von mächtigen Türmen, dessen Portal für den Rest eines Herculestempels gilt, mit dem merkwürdigen byzant. päpstlichen Stuhle aus weißem Marmor, Fresken und zahlreichen Gemälden, den Mausoleen der Päpste Benedikt XII. und Johann XXII., und dem Grabe Crillons.
Etwas tiefer, am Südabhange, steht das alte, große päpstl. Residenzschloß, 1336-64 aufgeführt, eine Festung [* 10] von Steinblöcken, mit starken krenelierten Mauern, Türmen, Schießscharten, weiten got. Hallen und schönen Fresken aus dem 14. Jahrh.; sie war später Sitz des päpstl. Vicelegaten, dient seit 1815 als Gefängnis und Kaserne. Die Plattform des Felsens gewährt einen großartigen Rundblick über die Ebenen der Provence mit den dunkeln, scharfgezackten Gebirgsausläufern, den rötlichen Gipfeln des Mont-Ventoux u. s. w. Die Industrie erstreckt sich auf Seiden- und Baumwollspinnerei, sowie Fabrikation von Papier, Ackergeräten, Blech-, Kupfer- und andern Metallwaren, Herren- und Damenhüten, Posamentierwaren, Sammet, Florence, Taffet, Indiennes; ferner bestehen bedeutende Färbereien und Gerbereien, Krappmühlen, Kanonen- und Eisengießereien, Maschinenbauanstalten, Buchdruckereien sowie lebhafter Handel mit Seide, [* 11] Wein, Branntwein, Olivenöl, Getreide [* 12] und Mehl. [* 13]
Auch wird
Garten-, Krapp-, Obst-,
Wein-, Seidenbau und
Bienenzucht
[* 14] getrieben. Die Seidenindustrie beschäftigt
12-14000
Arbeiter und liefert jährlich Waren im Wert von 1½ Mill.
Frs. Für Getreide ist der Stapelplatz für die Provence,
Niederdauphiné und Languedoc; auch werden daselbst die Ladungen der zur Ausfuhr kommenden
Weine des Departements gemacht.
Wichtig ist die Kultur der
Gelbbeeren oder
Avignonbeeren (Avignon
körner,
Graines d'Avignon, s. Rhamnus)
und besonders des Krapps
(Garance), der teils in den
Handel kommt, teils zur Färbung der roten Hosenstoffe der franz.
Armee
dient. Dieses wichtige Produkt, das dem Departement jährlich über 15 Mill.
Frs. einbringt, verdankt Avignon
einem landesflüchtigen
Perser,
Jean Althen, dessen
Vater Gesandter des Schahs Thamas
Kuli-Chan war, und der 1774 in
Armut starb;
sein
Standbild steht in den Gartenanlagen beim
Dom. Die
Anmut und Schönheit der Frauen von Avignon
wird allgemein gerühmt. Die
Stadt ist der Geburtsort von Petrarcas Laura und des Malers J.
Vernet. - Avignon
hieß zur Römerzeit
Avenio
(Avenio
Cavarum, Avenicorum civitas) und war die Hauptstadt der gallischen Cavares; es
¶
mehr
bietet nebst der Umgegend noch viele Überreste aus der Römerzeit dar. Im Mittelalter gehörte es mit seinem Gebiete den Grafen von Toulouse [* 16] und Provence gemeinschaftlich, bis es die Päpste, die bereits die Grafschaft Venaissin 1273 von König Philipp III. zum Geschenk erhalten hatten, von Johanna, Königin von Neapel [* 17] und Gräfin von Provence, 1848 kauften. Beide Länder regierte der Papst durch einen Vicelegaten und besaß sie bis 1790, wo nach mehrern stürmischen und blutigen Auftritten (zuletzt die Stadt mit ihrem Gebiete sich an Frankreich anschloß. Im Frieden von Tolentino leistete dann der Papst auf und Venaissin förmlich Verzicht.
Merkwürdig ist in der Kirchengeschichte, indem auf Anordnung König Philipps IV. von Frankreich Papst Clemens V. und dessen
sechs Nachfolger bis Gregor XI. 1309-78 ihren Sitz daselbst nehmen mußten. Später hielten bis 1409 in Avignon
noch mehrere nicht
anerkannte Päpste Hof.
[* 18] Auch fanden dort mehrere Kirchenversammlungen statt, z. B. 1209 über
die Albigenser, 1320 über kirchliche Sitte und Verfassung, 1327 über die klerikale Zucht, 1328 wider den kaiserl. Gegenpapst.
Am wurde in der Marschall Brune ermordet. -
Vgl. Penjon, la ville er le palais des Papes (Besancon 1878): Höfler,
Die avignon
esischen Päpste, ihre Machtfülle und ihr Untergang (Wien
[* 19] 1871);
Joanne, Avignon (Par. 1888).