Avérrhoës
(Averroës, eigentlich Ibn Roschd oder Ruschd), berühmter Philosoph der Araber, vorzugsweise der »Ausleger« (des Aristoteles) genannt, geb. 1126 zu Cordova, wo sein Vater Oberrichter und Mufti war, wurde später selbst Richter, zuerst in Sevilla, [* 2] dann in Cordova. Von seinem Freund und Zeitgenossen Ibn Tophail dem Kalifen Abu Jakub Jussuf zu dem Zweck, eine Analyse der Aristotelischen Werke zu liefern, empfohlen, gewann er dessen Gunst und wurde sein Leibarzt (1183), stand auch unter Jussufs Nachfolger Almansur in hohen Ehren, bis er (nach 1195) der Abweichung von den Lehren [* 3] des Korans angeklagt, seiner Würden entsetzt und nach Lucena bei Cordova verwiesen ward.
Zuletzt wieder an den
Hof
[* 4] zu
Marokko
[* 5] berufen und mit Gunstbezeigungen überhäuft, starb er daselbst Avérrhoës
hatte in der
Theologie und
Philosophie Tophail, in der
Medizin
Ibn Zohr den ältern zum
Lehrer gehabt. Er war ein eifriger
Verehrer des
Aristoteles, den er als den
Menschen betrachtete, welchen Gott unter allen den höchsten Gipfel der Vollkommenheit
habe erreichen lassen. In der
Materie liegen nach Avérrhoës
keimartig die
Formen, die durch Einwirkung höherer
Formen und zu
oberst der
Gottheit entwickelt werden.
Doch erlaubte er sich Abweichungen von Aristoteles, insbesondere in der Psychologie, indem er die allgemeine Vernunft (in neuplatonischer Weise) von der individuellen absonderte und getrennt als Eine in Allen existieren ließ, daher auch die individuelle Unsterblichkeit leugnete. Den Koran erklärte und modifizierte er nach Aristoteles' Lehren, wodurch er der Schöpfer einer mohammedanischen Religionsphilosophie, zugleich aber auch Ahnherr vieler Ketzereien ward.
Bei den christlichen
Scholastikern stand er in hohem Ansehen; Streit unter ihnen erregte die erwähnte
Lehre
[* 6] von der
Einheit der
allgemeinen
Vernunft, bis endlich
Papst
Leo X. über dieselbe und ihre Verteidiger
(Averrhoisten) das
Anathema
aussprach. Auch in der
Medizin ist Avérrhoës
als tief eindringender Theoretiker und Verteidiger des
Aristoteles gegen Galenus berühmt.
Unter seinen
Schriften, die wir nur in lateinischer Übersetzung kennen, stehen seine (oft dreifachen)
Kommentare zu den
Schriften
des
Aristoteles obenan; da er jedoch die griechischen
Originale nicht kannte, auch weder
Griechisch noch
Syrisch verstanden haben soll, so war er oft genötigt, nur aus dem Zusammenhang zu schließen. Außerdem verfaßte er
eine Widerlegung der Algazelschen Widerlegung der
Philosophie unter dem
Titel: »Tehafot al Tehafot, d. h. destructio
destructionis« (»Zerstörung der Zerstörung«, ins
Lateinische übersetzt von Locatellus, Vened. 1497 u. 1527)
und eine medizinische Therapeutik unter dem
Titel: »Colliget« (Collijat, »Allgemeinheiten«).
Seine Werke erschienen zuerst 1472 in lateinischer Übersetzung, dann sehr häufig meist mit den
Aristotelischen Werken; beste
Ausgabe
Venedig
[* 7] 1489 in 11 Foliobänden. Die
»Philosophie und
Theologie« wurde herausgegeben von M. J.
^[Marcus
Joseph]
Müller
(Münch. 1859) und übersetzt von demselben (das. 1875).
Vgl.
Renan, Avérrhoës
et l'Averroïsme (2. Aufl., Par.
1860);