Autonomīe
(griech., Selbstgesetzgebung, Selbstsatzung), die Befugnis eines Gemeinwesens, unbeschadet des staatlichen Gesetzgebungsrechts, zur Regelung innerer Angelegenheiten Bestimmungen mit rechtsverbindlicher Kraft [* 2] für seine Angehörigen zu erlassen. Der Umstand, daß die staatliche Autorität im Mittelalter nur wenig entwickelt, und daß der moderne Grundsatz der Zentralstation auf dem Gebiet der Gesetzgebung noch nicht zu einer konsequenten Aus- und Durchführung gelangt war, mußte der autonomischen Rechtsbildung im Mittelalter ganz besonders günstig sein.
Die deutsche Reichsgesetzgebung war leider eine nur spärlich fließende Rechtsquelle, und die
Autorität der Reichsregierung
sank mehr und mehr.
Kein
Wunder also, daß die partikulare
Gesetzgebung in den einzelnen Territorien, die
Landesordnungen der
Dynasten, die
Statuten der
Gemeinden, die
Satzungen der
Zünfte und andrer
Korporationen die Reichsgesetzgebung
überwucherten. Besonders waren es die
Städte, welche sich ihr eignes
Stadtrecht und namentlich auf dem Gebiet des
Privatrechts
ein besonderes
Recht schufen, so daß neben den durch
Gewohnheitsrecht entstandenen
Normen ganz besonders die Autonomie
für jene
Zeiten
als Rechtsquelle zu bezeichnen ist.
Wie aber das Gewohnheitsrecht heutzutage fast aufgehört hat, eine fließende Quelle [* 3] des Rechts zu sein, so ist auch die der Gemeinden von der modernen Gesetzgebung mehr und mehr absorbiert worden. Gleichwohl besteht auch noch heutzutage das Recht der der Gemeinden und andrer Kommunalverbände (Provinzen, Kreise, [* 4] Bezirke), wenngleich in beschränktem Umfang und mit dem Charakter einer von der staatlichen Gesetzgebung abgeleiteten Befugnis. Diese Verbände haben nämlich regelmäßig das Recht, innere Angelegenheiten durch rechtsverbindliche Statuten zu ordnen.
Dies wird auch von der gegenwärtigen Reichsgesetzgebung anerkannt. So bestimmt z. B. die deutsche Gewerbeordnung (§ 142), daß die durch das Gesetz bezeichneten gewerblichen Gegenstände durch Ortsstatuten, welche auf Grund eines Gemeindebeschlusses nach Anhörung der beteiligten Gewerbtreibenden erlassen werden, mit verbindlicher Kraft geordnet werden können. Derartige Statuten bedürfen jedoch der Genehmigung der höhern Verwaltungsbehörde; auch ist die Zentralbehörde befugt, Ortsstatuten, welche mit den Gesetzen im Widerspruch stehen, außer Kraft zu setzen.
Aber auch auf andre Verhältnisse des Staatslebens wird der
Begriff der Autonomie
übertragen. So werden insbesondere
diejenigen
Staaten autonome genannt, welche zu einem größern Staatsganzen gehören und, unbeschadet des
Gesetzgebungsrechts
des letztern, in eignen Angelegenheiten eine
gesetzgebende Gewalt ausüben, soweit die staatliche Vereinigung, zu welcher
sie gehören, von ihrem
Gesetzgebungsrecht keinen
Gebrauch macht. In diesem
Sinn kann man z. B. die einzelnen
deutschen
Bundesstaaten als autonome
Staaten bezeichnen. Auch
Bulgarien
[* 5] ist ein autonomes
Fürstentum. Von praktischer Bedeutung
ist ferner die Autonomie
des deutschen hohen
Adels. Die deutsche
Bundesakte (Art. 14) sicherte nämlich den 1806 und seitdem mittelbar
gewordenen ehemaligen
Reichsständen und Reichsangehörigen zu, daß ihre noch bestehenden Familienverträge aufrecht
erhalten werden sollten, und daß ihnen die Befugnis zustehen solle, über ihre
Güter- und Familienverhältnisse verbindliche
Verfügungen zu treffen, welche jedoch dem
Souverän vorzulegen und bei den höchsten Landesstellen zur allgemeinen Kenntnis
und Nachachtung zu bringen seien. Nach manchen Staatsgesetzen
(Baden,
[* 6]
Bayern,
[* 7]
Preußen)
[* 8]
¶
mehr
müssen übrigens derartige Hausgesetze dem Souverän nicht nur zur Kenntnisnahme, sondern zur Bestätigung unterbreitet werden.
Übrigens steht dies Recht der Autonomie
auch den regierenden Häusern und ihren Oberhäuptern und zwar unabhängig von der Zustimmung
der Stände zu. Mitunter kommt auch beim niedern Adel eine sogen. Privatautonomie in Angelegenheiten des Erb-
und Familienrechts vor. Auch die Kirche hat ein Recht der Autonomie
, sofern es sich um innere kirchliche Verhältnisse, z. B.
um Liturgie und Kirchendisziplin, handelt, unbeschadet des staatlichen Oberaufsichtsrechts, welches in einzelnen Staaten, z. B.
in Bayern, dadurch zum besondern Ausdruck gebracht ist, daß zu solchen autonomen Satzungen der Kirche das landesherrliche
Placet eingeholt werden muß.
Endlich haben auch die Geschäftsordnungen der parlamentarischen Körperschaften gewissermaßen den Charakter autonomer Satzungen, wie man denn auch nicht selten die Selbstverwaltung der Kommunen und der Kommunalverbände als eine autonome Verwaltung zu bezeichnen pflegt.
Vgl. Heffter, Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten Häuser Deutschlands [* 10] (Berl. 1871);
Schulze, Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser (Jena [* 11] 1862-83, 3 Bde.).