Ausweisung
(Landesverweisung), die amtliche Maßregel, durch welche jemand angewiesen und nötigen Falls
gezwungen wird, das Gebiet eines
Staats oder eines Gemeindebezirks zu meiden. Für die Beantwortung der
Frage, unter welchen
Voraussetzungen eine
Staats- oder Gemeindebehörde befugt sei, gegen eine bestimmte
Person die Ausweisung
zu verfügen, ist als oberster
Grundsatz der zu bezeichnen, daß nur der
Angehörige eines
Staats (Inländer,
Unterthan) ein
Recht darauf
hat, sich innerhalb des betreffenden Staatsgebiets aufzuhalten.
Das Wohn- und Aufenthaltsrecht des
Staatsbürgers ist eins der
Grundrechte desselben, und ebendeshalb ist gegen ihn weder eine
Ausweisung
noch eine
Auslieferung (s. d.) an eine fremde Staatsregierung zulässig. Dagegen wird
dem
Fremden, welcher sich im Inland aufhält, nach modernem
Völkerrecht der Aufenthalt zwar keineswegs
versagt, und auch ersteht, wie der Inländer, unter dem
Schatz der Staatsgesetzgebung. Es ist aber das unbestrittene
Recht
des
Staats, einem
Fremden den Aufenthalt im Inland zu versagen, wenn es die Rücksicht auf das Gemeinwohl erheischt.
Wird z. B. auf
Grund des deutschen
Strafgesetzbuchs gegen einen
Ausländer auf Zulässigkeit der
Polizeiaufsicht
erkannt, so ist die höhere Landespolizeibehörde befugt, denselben aus dem Reichsgebiet auszuweisen
(Reichsstrafgesetzbuch,
§ 39). In gewissen
Fällen kann ferner nach dem deutschen
Strafgesetzbuch (§ 361, Nr. 3-8; 362) auf
Überweisung des Verurteilten
an die Landespolizeibehörde erkannt werden, so gegen Landstreicher, Bettler etc. Ist nun gegen
einen
Ausländer auf
Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt, so
kann statt jener
Überweisung
die Ausweisung
aus dem Reichsgebiet erfolgen.
Endlich bestimmt das
Reichsstrafgesetzbuch (§ 284), daß ein
Ausländer, der wegen verbotenen Glücksspiels verurteilt wurde,
des
Reichs verwiesen werden kann. Die Rückkehr eines Ausgewiesen wird nach § 361 des
Strafgesetzbuchs mit
Haft bis
zu sechs
Wochen bestraft. Aber abgesehen von solchen speziell im
Gesetz vorgesehenen
Fällen, in welchen die Ausweisung
mehr den
Charakter
einer
Strafe trägt, kann dieselbe auch als polizeiliche Maßregel
zur Anwendung kommen. Freilich wird sich eine Staatsregierung,
die hier in engherziger und inhumaner
Weise vorgeht, gerechtem
Tadel aussetzen und möglicherweise eine
Intervention derjenigen Staatsregierung veranlassen, deren
Unterthan durch diese Maßregel betroffen ward. So erschien es z. B.
geradezu als ein Gewaltakt, wenn
Frankreich im deutsch-französischen
Krieg von 1870/71 sämtliche Deutsche,
[* 2] einerlei ob dem
Zivil- oder Militärstand angehörig, aus dem französischen Gebiet verwies.
Die hierdurch verursachte Schädigung wurde jedoch bekanntlich bei Feststellung der von Frankreich zu zahlenden Kriegskosten berücksichtigt, und ein Reichsgesetz vom bestimmte ausdrücklich, daß zur Gewährung von Beihilfen an die während des Kriegs ausgewiesenen Deutschen außer den für diesen Zweck in Frankreich erhobenen besondern Kontributionen die Summe von 6 Mill. Mk. aus der von Frankreich zu zahlenden Kriegsentschädigung zu verwenden sei.
Auf der andern Seite können aber sehr wohl
Fälle vorkommen, in denen die Ausweisung
eines Ausländers als geboten erscheinen muß;
so namentlich mit Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit und auch dann, wenn ein
Ausländer der öffentlichen
Armenpflege
anheimfällt, denn der
Staat ist nicht verpflichtet, fremden
Personen auf die Dauer öffentliche Unterstützung
zu gewähren. Dabei ist aber zu beachten, daß die einzelnen
Staaten, welche jetzt zum
Deutschen
Reiche gehören, vermöge des
gemeinsamen
Bundesindigenats im
Verhältnis zu einander nicht mehr als
Ausland erscheinen; vielmehr ist jeder
Angehörige eines
jeden
Bundesstaats in jedem andern
Bundesstaat als ein Inländer zu betrachten, und das nunmehrige
Reichsgesetz
über die
Freizügigkeit vom erklärt ausdrücklich: »Die polizeilichem Bundesangehöriger
aus dem
Ort ihres dauernden oder vorübergehenden Aufenthalts in andern als in den durch dieses
Gesetz vorgesehenen
Fällen
ist unzulässig«.
Was aber diese Fälle im einzelnen anbelangt, so kann namentlich solchen Personen, welche in einem Bundesstaat innerhalb der letzten zwölf Monate wegen wiederholten Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden sind, der Aufenthalt in jedem andern Bundesstaat verweigert werden. Ferner ist nach dem Freizügigkeitsgesetz jede Gemeinde befugt, einen Neuanziehenden auszuweisen, wenn sie nachweisen kann, daß derselbe nicht hinreichende Kräfte besitzt, um sich und seinen nicht arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen, und wenn er solchen weder aus eignem Vermögen bestreiten kann, noch von einem dazu verpflichteten Verwandten erhält.
Die bloße Besorgnis vor künftiger Verarmung berechtigt aber den
Gemeindevorstand noch nicht zur Ausweisung
Macht sich ferner nach
dem Anzug eine öffentliche Unterstützung nötig, bevor der Neuanziehende an dem Aufenthaltsort einen
Unterstützungswohnsitz erworben hat, so ist die
Gemeinde zur nachträglichen Ausweisung
befugt, wofern sie nachweist, daß die Unterstützung
aus andern
Gründen als wegen einer nur vorübergehenden Arbeitsfähigkeit notwendig war. Die thatsächliche Ausweisung
aus
einem
Orte darf aber niemals erfolgen, bevor nicht entweder die Annahmeerklärung der in Anspruch genommenen
Gemeinde oder eine wenigstens vorläufig vollstreckbare
Entscheidung über die Fürsorgepflicht erfolgt ist. Eine gemeinsame
Norm über diese Fürsorgepflicht fehlte jedoch bei dem
Erlaß des Freizügigkeitsgesetzes, und ebendarum blieb für den
Fall,
daß ein der öffentlichen
Armenpflege Anheimfallender dem
¶
mehr
Staat seines Aufenthaltsorts nicht angehörte, nichts andres übrig, als ihn aus dem Staatsgebiet in seinen Heimatstaat zu verweisen. Für diesen Fall blieben der zur Zeit des frühern Deutschen Bundes von den deutschen Staaten abgeschlossene Gothaer Vertrag vom und die Eisenacher Konvention vom welche die Ausführungsbestimmungen zu dem erstern enthält, maßgebend. Das norddeutsche Bundesgesetz vom über den Unterstützungswohnsitz (s. d.) regelte die Fürsorgepflicht für das Gebiet des Norddeutschen Bundes in einheitlicher Weise, so daß nunmehr die von Gemeinde zu Gemeinde ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit erfolgt. Dies Gesetz ist auch auf Südhessen, Baden [* 4] und Württemberg, [* 5] nicht aber auf Bayern [* 6] und Elsaß-Lothringen [* 7] ausgedehnt, so daß im Verhältnis dieser beiden Staatskörper zu den übrigen deutschen Staaten die Bestimmungen jener Verträge noch maßgebend sind, für Elsaß-Lothringen durch Vermittelung des dort eingeführten Freizügigkeitsgesetzes.
Als Strafmittel kommt die Ausweisung
, wie oben ausgeführt, im modernen Strafrecht nur noch gegen Ausländer vor,
und so statuiert denn auch das Reichsgesetz vom betreffend den Orden
[* 8] der Gesellschaft Jesu, die von Jesuiten aus dem
Bundesgebiet nur dann, wenn sie Ausländer sind. Das Reichsgesetz vom betreffend die Verhinderung der unbefugten
Ausübung von Kirchenämtern, verstößt freilich gegen den an die Spitze gestellten Grundsatz. Denn nach
ebendiesem Gesetz kann auch ein inländischer Geistlicher oder ein andrer Religionsdiener, welcher durch gerichtliches Urteil
aus seinem Amt entlassen ist und sich gleichwohl dies Amt anmaßt oder dasselbe thatsächlich ausübt, aus dem Bundesgebiet
ausgewiesen werden. Es ist jedoch zur Wahrung jenes Prinzips in diesem Gesetz ausdrücklich bestimmt, daß
ein solcher Geistlicher durch Verfügung der Kontrollbehörde seines Heimatstaats der Staatsangehörigkeit verlustig erklärt
(sogen. Expatriierung) und dann erst ausgewiesen werden kann.
Die Ausweisung
trifft also auch in diesem Fall keinen Staats- oder Reichsangehörigen, da die Bundes- oder Reichsangehörigkeit mit der
Staatsangehörigkeit erworben und verloren wird und das in Frage stehende Reichsgesetz ausdrücklich erklärt:
»Personen, welche nach den Vorschriften dieses Gesetzes ihrer Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat verlustig erklärt sind,
verlieren dieselbe auch in jedem andern Bundesstaat und können ohne Genehmigung des Bundesrats in keinem Bundesstaat die Staatsangehörigkeit
von neuem erwerben«. Auch auf Grund des sogen. Sozialistengesetzes (Reichsgesetz vom kann eine
Ausweisung
nicht aus dem Reichsgebiet, sondern nur aus einzelnen Bezirken oder Ortschaften, für welche der sogen. kleine Belagerungszustand
proklamiert worden ist, erfolgen (s. Sozialdemokratie).