Titel
Aussetzung
,
das
Verbrechen, welches derjenige begeht, der eine wegen jugendlichen
Alters, Gebrechlichkeit oder
Krankheit
hilflose
Person an einen
Ort versetzt, woselbst
Gesundheit oder
Leben derselben gefährdet ist (Aussetzung
im engern
Sinn), oder der eine solche
Person in hilfloser
Lage vorsätzlich verläßt, obgleich dieselbe seiner Obhut anvertraut war oder
die Sorge für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder
Aufnahme ihm oblag. Der barbarische Gebrauchter von
Kindern war und ist
noch bei nicht wenigen Völkern wenn auch nicht durch das
Gesetz, so doch durch
Sitte und Herkommen gestattet.
Bei den meisten Völkern des Altertums war das Aussetzen von Kindern gebräuchlich, wenigstens nicht verboten; so bei den Chinesen, Japanern, Hindu und andern asiatischen Völkern, aber auch bei den Griechen und Römern. Ausdrücklich verboten oder wenigstens nicht gebräuchlich war es nur bei den Juden, Ägyptern, Thebanern und den Germanen. Da bei den Spartanern der Mensch nur insofern berücksichtigt wurde, als er dem Staat nützte, so wurden von den neugebornen Kindern die schwächlichen und krüppelhaften in einen Abgrund am Berg Taygetos ausgesetzt.
Derselbe Gebrauch wie bei den Spartanern fand sich auch bei den Doriern auf Kreta. Auch in Athen [* 2] stand es dem Vater frei, ein Kind, das er nicht aufziehen wollte, gleich nach der Geburt auszusetzen. Ebenso scheint dieser Gebrauch bei den altitalischen Völkern geherrscht zu haben, wie schon die Sage von Romulus und Remus lehrt; daß der Fall auch bei den Römern nicht selten vorkam, zeigen viele Stellen bei den römischen Schriftstellern; erst im 2. Jahrh. der Kaiserzeit wurde Strafe darauf gesetzt.
Gleicherweise war auch bei den alten Kelten, Skandinaviern und den slawischen Völkerschaften bis zu ihrer Christianisierung die väterliche Gewalt über das neugeborne Kind unbeschränkt und ist es noch jetzt bei den Insulanern der Südsee und andern heidnischen Völkern. In dem übervölkerten China [* 3] werden noch heutzutage jährlich Tausende von Kindern getötet oder ausgesetzt, ebenso in Ostindien [* 4] und Japan. Das Christentum trat der Unsitte des Aussetzens der Kinder entgegen.
Weil aber dieselbe bei den bekehrten Heiden nicht sogleich ausgerottet werden konnte, so verordnete man hier und da, daß die Kinder wenigstens vor den Kirchenthüren, nicht aber an entlegenen Orten niedergelegt werden sollten, und es war zu diesem Zweck vor den Kirchenthüren zuweilen ein Becken angebracht. Für die Aufnahme solcher Kinder wurden vielfach Findelhäuser (s. d.) eingerichtet. Seitdem brach sich die Ansicht in immer weitern Kreisen Bahn, daß das Kinderaussetzen ein Verbrechen sei, welches nicht nur durch Kirchenbuße gesühnt, sondern auch von der weltlichen Obrigkeit geahndet werden müsse.
Die moderne Strafgesetzgebung erklärte nicht bloß die von
Kindern, sondern auch die von hilflosen
Personen überhaupt für
strafbar. Das deutsche
Reichsstrafgesetzbuch insbesondere bestraft die Aussetzung
(§ 221) mit Gefängnis nicht
unter 3 und, wenn sie von leiblichen Eltern gegen ihr
Kind begangen wird, nicht unter 6
Monaten bis zu 5
Jahren. Ist aber durch
die Aussetzung
eine schwere
Körperverletzung der ausgesetzten oder verlassenen
Person herbeigeführt, so tritt Zuchthausstrafe bis
zu 10
Jahren und, wurde der
Tod derselben dadurch veranlaßt, Zuchthausstrafe bis zu 15 und nicht unter 3
Jahren ein.
Vgl. Platz,
Geschichte des
Verbrechens der Aussetzung
(Stuttg. 1876).
Aussetzung des Verfahrens im Zivilprozeß (deutsche Zivilprozeßordnung, § 223 ff.), im Gegensatz zu dem durch den Parteiwillen veranlaßten Ruhen (s. d.) und zu der mit dem Moment des bezüglichen Ereignisses von selbst eintretenden Unterbrechung (s. d.) des Verfahrens, wird vom Gericht verfügt:
1) wenn
im Fall des Verlustes der
Prozeßfähigkeit einer
Partei oder des Wegfalls des gesetzlichen Vertreters eine Vertretung
durch einen Prozeßbevollmächigten stattfindet und dieser die Aussetzung
beantragt;
2) wenn
im Fall des
Todes einer
Partei Vertretung durch einen Prozeßbevollmächtigten stattfindet und dieser
oder der Prozeßgegner die Aussetzung
beantragt;
3) wenn sich eine
Partei zu Kriegszeiten im Militärdienst, oder wenn sie sich an einem
Ort befindet, welcher durch obrigkeitliche
Anordnung oder durch
Krieg oder durch andre
Zufälle von dem
Verkehr mit dem Prozeßgericht abgeschnitten
ist.
Im Fall 3) kann das
Gericht von
Amts wegen die Aussetzung
bis zur Beseitigung des Hindernisses anordnen. Bei Aussetzung hört der
Lauf jeder
Frist auf; nach Beendigung der Aussetzung
beginnt die volle
Frist von neuem zu laufen (s.
Aufnahme des Verfahrens). Gegen die
Anordnung
oder
Ablehnung der Aussetzung
findet
Beschwerde statt. - Landesrechtlich kann gemäß § 15, Nr. 1 des
Einführungsgesetzes
zur
Zivilprozeßordnung eine Aussetzung
auch bei
Kompetenzkonflikten stattfinden.