Aussatz
(erst seit dem 14. Jahrh., vorher Miselsucht), auch Maalzei oder Lepra genannt, bezeichnet bei den ältern Ärzten eine Menge von langwierigen, entstellenden und mit abschreckenden Hautausschlägen oder Geschwüren verbundenen Krankheiten, welche man für ansteckend hielt, so daß man die davon Befallenen von der bürgerlichen Gesellschaft ausschloß, ans den Städten verjagte, also aussetzte, daher der Name Aussätzige oder Sondersieche (Leprosen).
Als im Mittelalter die Zahl solcher
Kranken zunahm, gründete man für sie besondere Aussatz
häuser (Leproserien), d.h. Hospitäler,
in welchen diese
Kranken verwahrt und gepflegt wurden. Vieles, was man ehedem zum Aussatz
gerechnet hat, mag
wohl jetzt zu den syphilitischen oder skrofulösen Krankheitsformen gerechnet werden. Aber auch jetzt bleiben noch
Krankheiten
übrig, welche man unter den obigen
Namen als lepröse Krankheitsformen begreift. Sie kommen hauptsächlich in Küstenländern
unter der ärmern Volksklasse einheimisch (endemisch) vor.
Dahin gehören besonders die tropischen Aussatz
krankheiten im
Ost- und Westindien,
[* 2]
Brasilien,
[* 3]
Surinam u. s. w.),
ferner die Aussatz
formen in der Levante und
Arabien, in Südeuropa, z. B. die Krimsche
Krankheit, die Lova in
Griechenland,
[* 4] die Falcadina in
Dalmatien, die
Asturische
Rose, der Galicische in Nordspanien u. s. w. In Nordeuropa sind hierher zu rechnen:
das norweg.
Spedalske Sygdom, die Liktraa in
Island,
[* 5] vielleicht auch die Radesyge
Skandinaviens und die
Dithmarsche
Krankheit Holsteins.
Der echte Aussatz
ist eine chronische konstitutionelle Erkrankung, welche sehr augenfällige
Veränderungen (Verfärbung, Knoten-
und Geschwürsbildung) auf der
Haut,
[* 6] den Schleimhäuten, in den
Nerven
[* 7] und
Knochen
[* 8] veranlaßt und zumeist ein langdauerndes
Siechtum mit schließlichem tödlichem Ausgang zur Folge hat. Man unterscheidet gewöhnlich zwei verschiedene
Formen des den
Knollenaussatz oder knotigen Aussatz
(Lepra nodosa), bei welchem sich große, anfangs harte Knoten unter der
Haut
und den Schleimhäuten bilden, die später allmählich erweichen und in fressende, die benachbarten Weichteile zerstörende
Geschwüre übergehen und den glatten oder an ästhetischen, wohl auch verstümmelnden Aussatz
(Lepra
anaestetica s. mutilans), wo erst einzelne Hautstellen mißfarbig (aschgrau oder rotbraun) und völlig
empfindungslos werden, dann aber ein
Glied
[* 9] nach dem andern brandig abstirbt und sich aus dem
Gelenke ablöst.
Die Verstümmelungen, welche der Aussatz
im Gefolge hat, sind mitunter geradezu entsetzlicher Art; bisweilen verlieren
die
Kranken
Nase
[* 10] und
Augen,
Hände und Füße, so daß nur noch
Kopf, Rumpf und ungestaltete
Stümpfe von den
Extremitäten übrigbleiben. Als
Vorzeichen (Aussatz
mäler, Morphaea) gelten seit alten
Zeiten bis jetzt die sich bei solchen
Kranken anfangs unter herumziehenden
Schmerzen einstellenden mißfarbigen, harten, meist schuppigen, auch wohl unempfindlichen
Flecke auf der
Haut.
Die mittlere
Dauer des knotigen Aussatz
beträgt etwa 9-10, die des glatten oder anästhetischen Aussatz 18 Jahre. Bisweilen
finden sich beide Formen des Aussatz
an einem und demselben
Kranken gleichzeitig vor.
Über die
Ursache dieser verstümmelnden
Krankheit,
um deren Kenntnis sich namentlich die norweg. Forscher Danielssen, Boeck und Armauer
Hansen, sowie
Hebra,
Virchow und Baetz verdient machten, haben erst die Forschungen der neuesten Zeit genügenden Aufschluß
gegeben: der Aussatz
entsteht, wie die
Tuberkulose, durch eigenartige
Bacillen (Leprabacillen), mikroskopisch kleinste niedrige
Organismen aus der
Klasse der
Bakterien, die sich in großer Menge in den Knoten und
Geschwüren der
Kranken vorfinden.
Der Leprabacillus, von Hansen und Neißer 1880 entdeckt, von Bordoni-Uffredazzi künstlich kultiviert, gleicht an Form und sonstigen Eigenschaften dem Tuberkelbacillus aufs genaueste; nur seine charakteristische Färbung geschieht etwas leichter, und seine Kulturen haben ein etwas anderes makroskopisches Aussehen. Bei diesen Analogien ist die Veränderung, welche von beiden Bacillenformen im Gewebe [* 11] hervorgerufen wird, zwar in vielen Stücken verschieden (so fehlt z. B. die Verkäsung im Lepraknoten), im wesentlichen aber doch gleicher Natur.
Ein specifisches Heilverfahren des Aussatz
ist bis jetzt noch nicht bekannt; man muß sich auf eine rein symptomatische
Behandlung, auf
Hebung
[* 12] der
Ernährung, Linderung der
Schmerzen, örtliche Behandlung und Ausschneidung der
Knoten und
Geschwüre u. s. w. beschränken. Nur in den Anfangsstadien der
Krankheit scheint eine
Heilung möglich, wenn der
Kranke die Gegend, in welcher er vom Aussatz ergriffen wurde, rechtzeitig und für immer verläßt. Neuerdings
sind wiederholt günstige Erfolge durch Einspritzungen mit
Tuberkulin erzielt worden.
Vgl. Danielssen und Boeck, Traité de la Spédalskhed ou Eléphantiasis des Grecs (aus dem Norwegischen, mit Atlas, [* 13] Par. 1847);
Zur Geschichte des und der Spitäler in Virchows «Archiv für pathol. Anatomie», Bd. 18-22 (Berl. 1860-62);
Virchow, Die krankhaften Geschwülste, Bd. 2 (ebd. 1865);
Häser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin.
Bd. 2 (3. Aufl., Jena [* 14] 1881); Münch, Die Zaraath (Lepra) der hebr. Bibel [* 15] (Hamb. 1893); Marsden, Reise zu den Aussätzigen in Sibirien (deutsch Lpz. 1894).
Über den der Schweine [* 16] s. Finnenkrankheit. [* 17]